# taz.de -- Patagonische Schokolade: Die Confiserie am Rande der Antarktis | |
> Pampa, Pinguine, Perito-Moreno-Gletscher: Patagonien ist ein einsamer | |
> Landstrich: ein Drittel chilenisch, zwei Drittel argentinisch. | |
Bild: Der Perito Moreno in Patagonien. | |
Man kneift die Augen zusammen. Es ist windig hier am 53. Breitengrad in | |
Punta Arenas. Etwa 120.000 Einwohner leben in der größten südlichsten Stadt | |
dieser Welt. Wind, Eisstürme, Hagel, Sonne, Regen, blauer Himmel, alles ist | |
möglich. Die Jahreszeiten vermählen sich in Patagonien an einem einzigen | |
Tag, sagt man. 1520 war der portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan bis | |
zum Zipfel Südamerikas gesegelt und hatte bei Punta Arenas eine Passage | |
zwischen Atlantik und Pazifik entdeckt. | |
Doch es sollte bis 1848 dauern, bis eine richtige Stadt gegründet wurde. | |
Damals galt Patagonien als ein Wunderland, ein Terra incognita, Fantasieort | |
ruheloser Abenteurer und Auswanderer. Vor allem aus dem fernen Europa. | |
Heute leben auf einer Fläche, die knapp dreimal so groß wie Deutschland | |
ist, etwa so viele Menschen wie in Hamburg. | |
Die wenigen Städte wie Punta Arenas sind wie Fremdkörper umgeben von der | |
endlosen Pampa, dem Weideland der Schafe. Der Reichtum Patagoniens sind bis | |
heute das Öl und die Schafwolle geblieben. Das schwarze und das weiße Gold. | |
„Und Schokolade“, ergänzt María Isabel Baeriswyl stolz. Hier, nur knapp | |
1.400 Kilometer von der Antarktis entfernt, wird tatsächlich Schokolade | |
produziert - vor allem zu Weihnachten. „Alles in Handarbeit“, erzählt die | |
49-Jährige, „und nach alten Familienrezepten.“ | |
Zusammen mit ihrer 82-jährigen Mutter hat sie eine kleine Fabrik im Zentrum | |
von Punta Arenas aufgebaut, die in ganz Chile für ihr Naschwerk bekannt | |
ist. Bonbons werden hier hergestellt, alle Sorten von Schokolade, sogar | |
Pralinen, Trüffel, Kuchen, karamellisierte Früchte und Konfitüre. Schon auf | |
der Straße hat man den süßlichen Duft in der Nase. „Fábrica de Chocolates… | |
steht in schwarzen und roten Lettern auf dem Schild über dem Eingang. | |
Willkommen in der „Chocolatta Baeriswyl“! | |
Trotz der Weihnachtsvorbereitungen hängen im Geschäft an den Wänden die | |
Schweizer Fahne und zahlreiche Gletscherfotos. Alpenlandschaft. Die Bilder | |
erzählen von den Schweizer Vorfahren, die Ende des 19. Jahrhunderts nach | |
Chile ausgewandert sind. Die Baeriswyls leben und arbeiten in Punta Arenas | |
bereits in der vierten Generation. | |
María Isabel steht mit ihrer weißen Schürze und ihrer braun-weiß | |
gestreiften Bluse zwischen all den Rührgeräten und Schokoladenförmchen in | |
der kleinen improvisierten Fabrik. „Schon meine Großmutter konnte | |
wunderbare Süßigkeiten zubereiten. Aber es dauerte, bis mein Interesse an | |
einer Schokoladenmanufaktur erwacht ist.“ | |
Zunächst war alles nur ein Hobby - Süßigkeiten für Familie und Freunde. | |
Doch aus der Passion wurde ein Beruf, und es entstand ein florierender | |
Betrieb. Heute sind neun Personen mit der Herstellung der Schokolade | |
beschäftigt und neun mit dem Verkauf und dem Café. Der Kakao kommt aus | |
Brasilien, die Zutaten wie Zucker und Milch kommen aus Chile. Tausende von | |
Kilogramm. Jahr für Jahr. Alles wird per Lkw oder Flugzeug geliefert, um | |
dann als Schokolade, im Handgepäck der Kreuzfahrttouristen verstaut, wieder | |
um die Welt zu reisen. | |
## | |
María Isabel Baeriswyl antwortet ein wenig aufgeregt, wenn sie von ihren | |
Vorfahren berichtet. Die kamen Mitte des 19. Jahrhunderts aus der Gegend um | |
Fribourg nach Patagonien. Chile und die Schweiz hatten einen Vertrag | |
geschlossen. Danach wurden den Schweizern Land angeboten, um sich in | |
Patagonien anzusiedeln. | |
Der Urgroßvater war Uhrmacher, bevor er 1876 mit seiner Familie nach Punta | |
Arenas ging, erzählt die begeisterte Hobbypianistin, die noch immer ein | |
paar Brocken Deutsch versteht. Der Laden, in der Hauptstraße Bories | |
gelegen, besteht seit 1902, allerdings immer mit verschiedenen Geschäften: | |
Mal war es ein Uhrenladen, dann eine Drogerie, und seit 2000 ist es ein | |
Café mit angeschlossener Schokoladenfabrik. | |
„Die Geschichte ist schon merkwürdig“, ergänzt Mutter Elena Rada, „zuer… | |
hat meine Tochter als Kosmetikerin Parfüm verkauft. Und nun eine Fachfrau | |
für Süßigkeiten!“ Elena Rada sitzt in einem Büroraum. Ihr knallig farbiger | |
Lippenstift und ihr Halstuch geben ihr etwas Jugendliches. Mit flinken | |
Händen ist sie dabei, die hübschen Geschenkboxen aus Holz mit bunten | |
Schleifen zu dekorieren. „Das Auge kauft mit!“ | |
Etwa ein bis zwei Tage dauert die Schokoladenherstellung. Jeden Tag wird | |
eine andere Sorte produziert. Auf engstem Raum, per Hand und ohne | |
Maschinen. „An Feiertagen ist die Chocolateria voll“, berichtet María | |
Isabel Baeriswyl.Touristen kommen vorbei, auch die Bewohner von Punta | |
Arenas. „Zum Valentinstag, zu Ostern und vor Weihnachten gibt es viele | |
Bestellungen.“ | |
Die größte Herausforderung im Schokoladengeschäft? „Das ist doch klar“, | |
sagt María Isabel Baeriswyl. „Immer gleiche Qualität herzustellen!“ Das s… | |
irrsinnig schwierig. Vor allem die Güte des Kakaos ist entscheidend. „Wir | |
verwenden nur Naturprodukte, keine Konservierungsmittel. Deshalb ist unsere | |
Schokolade nur begrenzt haltbar. Mit Konservierungsmitteln verändert sich | |
der Geschmack.“ Aber was, wenn Touristen nicht mehr bis ans Ende der Welt | |
kommen? „Von der Wirtschaftskrise haben wir nichts gemerkt. Wir werden | |
bestimmt die Letzten sein, die davon etwas mitkriegen.“ | |
24 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Michael Marek | |
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