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# taz.de -- Kolumne Fernsehen: Im kollektiven Wohnzimmer
> Bei Tee mit Ingwerstückchen und Orangina kann Public Viewing mitunter
> sehr privat und einfach öde sein: Szenen eines
> "Tatort"-in-der-Kneipe-Guckens.
Ich habe nichts gegen den "Tatort". Viele meiner besten Freunde gucken
"Tatort". Sogar ich, ab und zu, wenn das richtige Mädchen es von mir
verlangt. Aber - und das wird man ja wohl noch sagen dürfen! – das Phänomen
des öffentlichen "Tatort"-in-der-Kneipe-Guckens werde ich nie verstehen.
Kennen Sie nicht? Dann leben Sie offenbar weder in einer Studentenstadt
noch in Berlin. Da machen die Menschen in den gentrifizierten Vierteln so
was nämlich. Auch am 4. Advent, auch in Nordneukölln, und sowieso im Ringo,
einer ansonsten unverdächtigen Bar, in der meine "Tatort"-kundige
Begleitung F. uns zum Glück die letzten Plätze freigehalten hat, denn es
ist proppenvoll.
Dann geht es schon los. Der Kellner bittet uns, die Stehlampe in unserer
Ecke auszuknipsen. Es wird sehr schnell sehr still. Und sehr ernst. Rund 40
Menschen starren aus zu tiefen Sitzmöbeln, die für andere Zwecke erschaffen
wurden, auf die runtergelassene Leinwand. Viele von ihnen trinken Orangina
und diese Art von Tees, wo Ingwerstücke und Pfefferminzblätter im Glas
schwimmen.
Public Viewing ist in Deutschland ja die Ausnahme. Fernsehen ist
Privatsache. Außer: besondere Events wie der Eurovision Song Contest. Und
Fußball. Aber das sind Sachen, die schon in ihrer Real-Aufführung vor
Publikum stattfinden, da ist das Geschehen Gesprächsanlass, erfordert keine
ungeteilte Aufmerksamkeit, man kann also auch mal fünf Minuten verpassen
und entsprechend quatschen.
Beim "Tatort" geht das alles nicht. Der verlangt Konzentration. Fußball
schaut man miteinander. "Tatort" nebeneinander. Und jetzt kommen Sie mir
nicht mit Kino! Klar, der Vergleich liegt nahe, aber ins Kino gehe ich,
weil ich Filme sehen will, die im Fernsehen noch nicht laufen, und zwar
unter High-End-Technik-Bedingungen: Mit Dolby Surround und auf einer
Leinwand mit den Ausmaßen von drei aufeinandergestapelten Pottwalen.
Die Leinwand im Ringo ist so groß wie eine Opossumfamilie und die
Bildqualität ist … was war gleich das Gegenteil von HD? Der Ton ist sogar
nur ein bisschen schlechter. Wenn es wenigstens eine Wettbörse gäbe. Bis 21
Uhr könnte man auf den Mörder setzen, dazu kämen Spezialwetten, etwa "Droht
der Täter in der Schlussszene mit Selbstmord?" oder "Verliebt sich einer
der Kommissare?" oder "Wie viele Nebendarsteller sprechen den korrekten
Dialekt?" Aber nichts.
Man sieht einfach nur gesittet fern, selten bricht die Außenwelt in das
meditative Schweigesetting ein: Ab und an blenden Scheinwerfer kehrender
Autos das halbe Beamerbild weg. Einmal kommt ein Rosenverkäufer rein,
bleibt total überfordert in der Tür stehen und dreht sich, um sein
professionelles Dauerlächeln ringend, wieder um.
Als die Ermittler den geplanten Anschlag verhindern, gibt es keinen
kollektiven Jubel. Am Ende klatscht auch keiner. Alle gehen einfach nach
Hause. Zu "Waltzing Mathilda" läuft auf der Leinwand noch ein bisschen
Günther Jauch, dann wird sie eingerollt. Nein, ich werde dieses Konzept
wirklich nie verstehen. Na ja. Für Leute mit einer kaputten Heizung ist das
vielleicht was. Aber auch nur für die.
29 Dec 2011
## AUTOREN
Michael Brake
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