# taz.de -- Bundeswehr in Afghanistan: "Wir können sie nur verdrängen" | |
> Der deutsche Kommandeur in Kundus spricht über die Aufständischen, | |
> militärische Erfolge und Einsatzperspektiven. Sein Hauptanliegen ist die | |
> Nachhaltigkeit. | |
Bild: Deutsche Truppenpräsenz am Hindukusch. | |
taz: Herr Kuhn, in Berlin wird Ihre Truppe "Ausbildungs- und | |
Schutzbataillon" genannt. Hier in Afghanistan hört man nur den Namen "Task | |
Force Kunduz". Was gilt denn nun? | |
Lutz Kuhn: "Ausbildungs- und Schutzbataillon" ist die deutsche Bezeichnung, | |
wir nutzen hier tatsächlich immer den englischen Begriff. Natürlich bilden | |
wir auch aus. Und wir schützen auch. Aber wir machen auch noch viele andere | |
Dinge, die sind in dem Namen nicht drin. "Task Force Kunduz" passt einfach | |
besser. | |
Dann bleiben wir bei Task Force. Seit Juli 2011 sind Sie ihr Kommandeur. | |
Was hat sich seitdem verändert? | |
Es gibt keine umwälzenden Veränderungen, aber es gibt kleine Schritte, die | |
für mich den Erfolg zeigen. Wir haben im südlichen Chahar Darreh die | |
Raumverantwortung an die afghanische Nationalarmee übergeben. Wir | |
unterstützen sie noch weiter, aber immerhin ist es ein Fortschritt. | |
Wird dieser von Ihnen gesehene Erfolg von Dauer sein? | |
Das ist in der Tat die Frage, an der wir alles messen müssen. Natürlich | |
übergibt man jetzt die Raumverantwortung und die Verantwortung für die | |
Sicherheit in diesem Raum an Afghanen. Aber wenn man mich jetzt fragt, ist | |
das hundertprozentig nachhaltig, dann könnte ich nie Ja sagen. Aber es gibt | |
eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es nachhaltig ist. | |
Welche Rolle spielen die sogenannten Local Security Forces, die bewaffneten | |
Milizen außerhalb von Polizei oder Armee? | |
Sie spielen natürlich eine große Rolle. Allein schon aufgrund der Menge, | |
die da ist, sind sie ein Faktor im Raum. Wenn Sie mich jetzt fragen, ob sie | |
dieselbe Qualität haben wie die afghanischen Sicherheitskräfte, die schon | |
länger ausgebildet sind, dann muss ich natürlich sagen: Nein, haben sie | |
nicht. Sie haben oft noch ein mangelhaftes Verständnis von Recht und | |
Ordnung. Das muss man noch ausbilden, ohne Frage. Sie sind ein | |
Sicherheitsfaktor in der Region, der - ich sage es einmal so - stärkerer | |
Dienstaufsicht bedarf, um sie in die richtige Richtung zu lenken. | |
Direkter Beschuss ist hier seltener geworden, aber die Sprengfallen, die | |
sogenannten improvised explosive devices oder die IEDs, gibt es weiterhin. | |
Wie hat sich die Gefährdung Ihrer Truppe verändert? | |
In der Tat, die Gefährdung der eigenen Truppe besteht größtenteils durch | |
IEDs. Die Isaf-Truppen sind mittlerweile so gut ausgerüstet und können so | |
gut auftreten, dass ein offener Kampf gegen unsere Kräfte nicht zweckmäßig | |
ist für die Insurgenten. Deshalb bekämpfen sie uns mit IEDs, das kann man | |
aus dem Hintergrund machen. Es ist ein perfider Kampf. Aber wir haben | |
unsere Einsatzgrundsätze darauf ausgerichtet, die IEDs zu finden. Damit | |
haben wir einigen Erfolg. | |
Die Stärke der Isaf-Truppen in der Luft hat hier in Kundus in zwei Jahren | |
deutlich zugenommen - durch unbemannte Drohnen, durch Helikopter und durch | |
US-Kampfflugzeuge … | |
Das spielt eine ganz große Rolle. Das ist eine unserer großen Stärken, die | |
wir haben als Isaf. Bei jeder Operation, die wir planen, ist eine | |
Unterstützung aus der Luft selbstverständlich. | |
Ist diese Dominanz in der Luft nicht eher der Grund für die Ausweitung des | |
kontrollierten Gebiets als die Zusammenarbeit mit der afghanischen Armee? | |
Man kann nicht sagen, das eine ist mehr dafür verantwortlich als das | |
andere. Sie müssen boots on the ground haben, also Kräfte, die auf dem | |
Boden sind. Und Sie müssen natürlich auch die Kräfte in der Luft haben, die | |
die Truppen am Boden unterstützen können. Das Ganze müssen Sie sich als | |
System vorstellen, das ineinanderwirkt. Aber: Nur am Boden reicht nicht, | |
Unterstützung aus der Luft ist absolut notwendig. | |
Ihre Zeit hier geht bald zu Ende. Welche Perspektive sehen Sie für den | |
Einsatz? | |
Das ist sehr schwer. Man soll ja auch immer nur über seinen eigenen Bereich | |
reden. Für meinen kleinen Bereich, den ich habe, kann ich sagen, das die | |
afghanischen Sicherheitskräfte zusammen mit der Isaf ihre | |
Einflussmöglichkeit immer weiter ausdehnen, dass die Insurgenz eigentlich | |
im Rückzug ist. Das heißt aber nicht, dass die Aufständischen bedeutend | |
reduziert werden. Es kann auch sein, dass wir sie nur hinausdrängen aus | |
diesem Distrikt und dass sie dann in einem anderen Distrikt wirksam werden. | |
Dann hätte ich das Problem bei mir gelöst, aber vielleicht ein Problem | |
woanders geschaffen. | |
Und es könnte auch sein, dass sie zurückkommen? | |
Es könnte auch sein, dass sie zurückkommen, keine Frage. Deshalb ist es so | |
wichtig, dass man auch den Aufständischen eine Perspektive bietet. Dieses | |
Reintegrationsprogramm darf man in seiner Wichtigkeit wirklich nicht | |
unterschätzen. Man muss auch Taliban eine Möglichkeit bieten, wieder in die | |
Gesellschaft reinzukommen. Nur so wird man diese Form des Aufstands, diese | |
Untergrundbewegung, auf Dauer bekämpfen können. Und nur so wird der Kampf | |
nachhaltig sein. | |
2 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Eric Chauvistre | |
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