# taz.de -- Die Wulff-Affäre: Dialektische Präsidenten | |
> Die Medien kritisieren den Bundespräsidenten für seinen Umgang mit der | |
> Presse. Doch liegt der Schauplatz unfreier Berichterstattung woanders: im | |
> Lokalen. | |
Bild: Linke Schuhe für die Pressefreiheit hätten noch mehr Würdenträger als… | |
Ehemalige DDR-Heimkinder schicken dem Bundespräsidenten linke Schuhe: Wie | |
es beim Verein "die ehemals minderjährigen Opfer" heißt, um gegen "die | |
Kriegserklärung unseres Bundespräsidenten an die Pressefreiheit" zu | |
protestieren. Doch nicht nur die bislang eher unbekannte Organisation mit | |
Sitz in Fürstenwalde/Spree macht sich so ihre Gedanken um die | |
Medienfreiheit im Lande. | |
Auch für den ehemaligen Deutschlandfunk-Chefredakteur Rainer Burchardt ist | |
der umstrittene Aufsager von Christian Wulff auf der wohl berühmtesten | |
Mailbox der Republik der "Versuch einer Nötigung". Auch die behauptete | |
Bitte um Aufschub sei ein Eingriff in die Pressefreiheit – und ein Verstoß | |
gegen Artikel 5 des Grundgesetzes, in dem die Medienfreiheit | |
festgeschrieben ist, hatten die Agenturen am Wochenende geschrieben. | |
Dass ein Verfassungsorgan wie der Bundespräsident sich ans Telefon hängt | |
und sich eine Berichterstattung über noch dazu schnöde Privatinteressen wie | |
krumme Kredite mit popeligen Zinsvorteilen von 7.000 Euro pro Jahr oder | |
über eine von ihm offenbar nicht sonderlich geliebte Halbschwester | |
verbittet: das hatten wir noch nicht. | |
Geht auch nicht, da liegen die Proteste von Journalistenverbänden, | |
Presserat und allen anderen schon ganz richtig. Allein, es scheint in der | |
aktuellen Kontroverse nicht so sehr die Pressefreiheit am Ende dran glauben | |
zu müssen, sondern eher Christian Wulff selbst mit seinem Drohbumerang. | |
## Der Bundespräsident hat keine Macht | |
Zumal der Bundespräsident der Presse mit der ihm ganz eigenen Dialektik | |
eine hohe Bedeutung beimisst und auf sie dann auch wiederum in ganz eigener | |
Sache setzt: Sowohl in der von der Welt ausgegrabenen Posse um die | |
Halbschwester als auch bei der Geschichte um den Hauskredit in Bild hatte | |
Wulff damit gedroht, er werde umgehend "eine Pressekonferenz" einberufen, | |
natürlich "mit meiner Frau" und zur Not auch zwischen wichtigen Terminen, | |
wie dem Empfang von Regierungschefs. | |
Eigentlich schade, dass es dazu nicht gekommen ist. Ein | |
Bundespräsidentenehepaar, das vor laufenden Kameras der Springer-Presse die | |
Freundschaft aufkündigt und über den Wegfall von anscheinend bisher | |
bestandenen Geschäftsgrundlagen mit Boulevardblättern greint, ist natürlich | |
noch schöner als jede Mailbox. Mit einem Angriff auf die Pressefreiheit hat | |
das allerdings nur sehr theoretisch zu tun. Denn auch hier gilt: Der | |
Bundespräsident hat keine Macht – und Christian Wulff sich außerdem noch | |
dämlich hoch drei angestellt. | |
Was im Umkehrschluss aber nicht heißt, dass in Sachen Medienfreiheit alles | |
bolle ist. Wenn es um echte Drangsalierung der Presse geht, ist jeder | |
Provinzbürgermeister effizienter als der Bundespräsident: indem der | |
gesetzliche Auskunftsanspruch der Presse, gerade im Lokalen oder im | |
Regionalen, ignoriert wird. | |
Indem missliebigen Medien der Zugang verwehrt, sie indirekt abgestraft oder | |
andere eben bevorzugt informiert werden. Denn wo es – anders als auf | |
Bundesebene, wo man einfach ein Ministerium weiter noch mal nachfragt – | |
keine "Ausweichmöglichkeiten" bei der Recherche gibt, wird dann oft | |
tatsächlich eine kritische Berichterstattung behindert. Dass es theoretisch | |
sogar einen Rechtsanspruch auf Auskunft gibt, hilft auch nur theoretisch. | |
Denn wenn die Gerichte endlich geurteilt haben, ist die Geschichte von | |
gestern. | |
Noch direkter ist der Einfluss beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dass | |
PolitikerInnen und Amtsträger böse Briefe an ChefredakteurInnen wie | |
IntendantInnen schreiben oder auch mal telefonisch angehen, ist Alltag. Es | |
wäre auch nicht der Rede wert, wenn nicht ebendiese PolitikerInnen und | |
Amtsträger die Öffentlich-Rechtlichen nicht auch noch ganz offiziell | |
"kontrollieren" würden. | |
Doch das Rauskannten von Nikolaus Brender beim ZDF unter Regie des | |
damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) 2009 zeigte in | |
schöner Eindeutigkeit, wie hier gespielt wird. Die Zahl versuchter | |
Einflussnahmen ins redaktionelle Geschäft ist hoch, leider manchmal auch | |
deren Erfolg. Nur dass darüber in ARD- und ZDF-Kreisen diskreter | |
geschwiegen wird als in der Presse. | |
Und dann sind da natürlich noch die Medienanwälte. Jene schizophrene Kaste, | |
die heute für und mit einer Redaktion für die hehre Medienfreiheit kämpft. | |
Und die am nächsten Tag mit Hilfe der Gerichte für PolitikerInnen, Promis | |
oder Konzernlenker versucht, JournalistInnen bei ihrer Arbeit zu behindern, | |
Veröffentlichungen im Vorhinein zu unterbinden oder gleich | |
Recherchemöglichkeiten einzuschränken. | |
Auch der Zugang zum Grundbuch von Großburgwedel, mit dem alles begann, | |
musste erst über Jahre bis hoch zum Bundesgerichtshof erstritten werden - | |
weil schon der Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) seine Anwälte mauern | |
ließ. | |
13 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
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