# taz.de -- Wahlkampf im russischen Netz: Putin unter Online-Beschuss | |
> Lange hat Wladimir Putin über die Nutzer sozialer Netzwerke gespottet. | |
> Nun versucht er selbst Online-Wahlkampf zu machen - und erntet Kritik. | |
Bild: Rentner gelten als Putins sichere Bank. Doch bei den Demonstrationen der … | |
MOSKAU taz | Wahlkämpfer Wladimir Putin ist nun auch ins Netz gegangen. | |
Lange hatte der russische Premierminister den Einfluss der sozialen Medien | |
unterschätzt und die User öffentlich als Netz-Hamster verunglimpft. Nachdem | |
Hunderttausende im Dezember als Demonstranten gegen sein Regime auf die | |
Straße gingen, haben Putins Berater dem Kremlanwärter nun auch ein | |
modischeres Image verschrieben. | |
Unter [1][www.putin2012.ru] stellt der Präsidentschaftskandidat sein | |
Programm für die Wahl am 4. März vor. Nach der Einführung am Donnerstag | |
hagelte es zunächst Häme und zahlreiche Rücktrittsforderungen. "Eine | |
gutgemeinte Bitte, verlassen Sie die Politik", fordert ein Blogger. Kehre | |
Putin in den Kreml zurück, drohe dem Land "ein korrupt stabiler | |
Stillstand", meint ein anderer User. | |
Wenn er nicht Auslöser einer Revolution werden wolle, solle er sich | |
zurückziehen, so eine weitere kritische Stimme. "Ich wünsche Ihnen eine | |
krachende Wahlniederlage. Es ist Zeit, dass sie sich von der Galeere | |
erholen und wir uns von den Amphoren und Mähdreschern". | |
Damit spielte der Kritiker auf Putins Äusserung an, er habe im Amt "wie ein | |
Sklave auf einer Galeere geschuftet". Im Sommer war der Premier überdies | |
zur Imagepflege im Schwarzen Meer nach griechischen Amphoren getaucht, die | |
Archäologen auf dem Meeresgrund vorher platziert hatten. Im Herbst fuhr er | |
auf einem Mähdrescher die Ernte ein. | |
## Die Zensur greift nach ein paar Stunden | |
Die meisten kritischen Anmerkungen waren nach ein paar Stunden von der | |
Website verschwunden. Die Blogger wollen auch beobachtet haben, dass an | |
Stelle der Rücktrittsforderungen, die den höchsten Zuspruch erhielten, nach | |
einiger Zeit die Forderung stand, die Finanzierung ausländischer | |
Nichtregierungsorganisationen zu verbieten. Es gehört zum Standardrepertoir | |
des Premierministers und seiner Entourage, westliche Geheimdienste für | |
Proteste und hausgemachte Misserfolge in Russland verantwortlich zu machen. | |
Trotz aller beißenden Kritik waren die Bürger, die Wladimir Putin Erfolg | |
bei der Wahl wünschten, dennoch in der Mehrheit. Dass trotzdem die | |
negativen Beiträge entfernt wurden, zeigt wie verunsichert die herrschende | |
Schicht ist. Sie hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt und reagiert | |
hilflos. Nach Umfragen des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts, | |
Lewada-Zentrum, sind zurzeit immer noch 44 Prozent der Wähler bereit für | |
Putin zu stimmen. Noch würde dies sogar für eine Wiederwahl im ersten | |
Wahlang reichen. | |
Das veröffentlichte Wahlprogramm ist nur eine vorläufige Kurzversion. Am | |
12. Februar will Putin ein umfangreichereicheres vorlegen. Bereits die | |
knappere Variante verrät unterdessen, dass mit einer einschneidenden | |
Richtungsänderung nicht zu rechnen ist. Die innenpolitischen Verwerfungen | |
der letzten Wochen spricht der Premier nicht an. | |
Die unzufriedene Mittelschicht ist auch nicht der Adressat, auf ihre Fragen | |
gibt Wladimir Putin keine Antwort. Das Programm ist populistisch und | |
richtet sich an die traditionelle Klientel des Ex-Präsidenten. | |
Staatsbedienstete, Rentner und jene Kräfte, die von Zuwendungen des Staates | |
abhängig sind. | |
## Populistisches Programm für traditionelle Putin-Wähler | |
Viele wohl klingende Worte und wenig Konkretes. Allerdings verspricht der | |
Wahlkämpfer, dass er dafür sorgen wolle, dass sich die Einstellung des | |
Staates gegenüber dem Volk verändern werde. Mit der Neigung der | |
Sicherheitsorgane zu "übertriebenen Repressionen" müsse aufgeräumt werden. | |
"Die Situation deformiert unsere Gesellschaft und macht sie moralisch | |
krank", schreibt Putin und gelobt eine "effektive Regierung", die "vom Volk | |
kontrolliert wird". Den Weg dorthin zeichnet Wladimir Putin nicht auf. | |
Die repressiven Sicherheitsorgane sind Putins wichtigste Stütze. Ihnen | |
erlaubte er in den letzten 12 Jahren, den Staat zu privatisieren und | |
auszunehmen. Vielmehr als ein taktisches Manöver steckt wohl nicht hinter | |
dieser Absichtserklärung. Dafür spricht auch, dass der | |
Präsidentschaftskandidat - nach Auskunft seines Presseadjutanten – es nicht | |
für nötig hält, an einer Fensehdebatte aller Kandidaten teilzunehmen. Der | |
Premier habe für so etwas keine Zeit, hiess es. Arroganz der Macht oder | |
Angst? Es wird wohl eine Mischung aus beidem sein. | |
13 Jan 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.putin2012.ru/ | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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