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# taz.de -- Olympische Winterspiele in Sotschi: Die Angst aus den Bergen
> Der Geheimdienst ist in Alarmbereitschaft, Straßen sind gesperrt, ein
> Dorf steht im Weg und die Einheimischen stören: Russland baut Sotschi zur
> Hochsicherheitszone aus.
Bild: Die Infrastruktur von Sotschi muss nahezu völlig neu errichtet werden.
SOTSCHI taz | Geschickt lavieren die Wagen über die Schlaglochpiste. Die
Fahrer kennen sich aus. Kaum einer bremst, auch wenn Ausweichmanöver auf
die Gegenfahrbahn zwingen. Knietiefe Krater übersäen den Asphalt. Wer hier
so halsbrecherisch fährt, kennt sich nicht nur aus, er darf es auch, weil
er einen "Propusk" besitzt - einen Passierschein.
Kilometerlang schlängelt sich die Straße am Nordhang des kaukasischen
Gebirgskammes entlang, der im Badeort Weseloje am Schwarzen Meer in einen
schmalen Küstenstreifen übergeht. Der Kamm markiert auch die Grenze zur
Republik Abchasien, der Russland nach einem Krieg 2008 die Unabhängigkeit
von Georgien schenkte, Weseloje - zu Deutsch das "fröhliche" Dorf.
Abertausende Urlauber verbringen hier die Ferien, Russen, die es nicht so
dicke haben, um im benachbarten Sotschi abzusteigen. Weseloje ist gerade
noch erschwinglich und auch sonst kommt man hier auf seine Kosten. Nicht so
fröhlich geht es am Grenzübergang zu, vor dem endlose Autoschlangen auf die
Einreise in die befreundete Nachbarrepublik warten.
## An der Sicherheitszone
Einige hundert Meter vom Strand, wo die holprige Straße in die Berge
abzweigt, hört der Spaß dann endgültig auf. Die No-go-Area beginnt, keine
Wegweiser mit Ortsangaben, sondern Warnschilder auf Russisch: "Grenzgebiet,
betreten nur mit Sondergenehmigung". Wer nicht genau hinschaut, übersieht
die Schilder leicht. Sie sind im EU-Blau gehalten, die identische Tafeln
nutzt, um auf Projekte hinzuweisen, die mit EU-Geld gefördert werden.
Zufall? Wer nicht des Russischen mächtig, aber neugierig ist, macht sich
strafbar. Diese Sicherheitszone liegt nur wenige Kilometer vom Zentrum der
Olympischen Winterspiele 2014 entfernt, das in der Imeritinski-Bucht
zwischen Sotschi und Weseloje errichtet wird.
Am anderen Ende der verbotenen Straße, versteckt in den Bergen, befindet
sich die abchasische Ortschaft Aibga, das eigentliche Ziel der Reise. Ein
Weiler mit einigen hundert Seelen, den bislang nur Einheimische und
Wanderer kannten. Seitdem Sotschi den Zuschlag für die Olympischen Spiele
erhalten hat, entwickelt sich das gottverlassene Nest zum Zankapfel.
Russland drängt die Abchasen, den Ort abzutreten, und je näher die Spiele
rücken, desto stärker wird der Druck aus Moskau.
Aibga liegt am Nordhang des Kaukasus und ist von der russischen Seite
leichter zugänglich als von Abchasien - zumindest mit Blick auf die Karte.
Bis nach Krasnaja Poljana, wo die hochalpinen Wettkämpfe stattfinden, sind
es nur zehn Kilometer Luftlinie. Früher gingen die Poljaner an den Hängen
des Aibgakammes auf Steinbock- und Bärenjagd.
Das aber sei lange her, meint Janis, ein griechischstämmiger Hirte aus
Krasnaja Poljana. "Seit Beginn der Bauarbeiten sitzen wir im Käfig", klagt
der rüstige Achtzigjährige und warnt vor unnötigen Eskapaden: Aibga sei
nicht weit, die Wege aber zugewachsen und die Gegend ein Dschungel.
Russland fürchtet, Terroristen könnten sich dieses Dickicht zunutze machen.
Die Sicherheit der Spiele bereitet Kopfzerbrechen, und Moskau lenkt dabei
den Blick auf den Konflikt mit Georgien um die abtrünnigen Republiken
Südossetien und Abchasien. Doch das ist nur vorgeschoben. Georgien wird
nicht in Russland einfallen.
## Drohungen vom Emirat
Die eigentliche Bedrohung ist hausgemacht und geht von islamistischen
Fundamentalisten aus dem russischen Nordkaukasus aus. Dezentrale Kommandos
des nordkaukasischen Emirats trieben schon vor der Vergabe der Spiele in
der Nachbarschaft des Wintersportorts ihr Unwesen. Dem IOC war das
entgangen, als er sich von den Weichzeichnern des Kreml 2007 umwerben ließ.
Von offizieller Seite gibt es zu den Sicherheitsbedenken denn auch keine
Stellungnahme. Das Thema wird totgeschwiegen.
Doch die Einheimischen beklagen sich. "Unternehmer, die aus dem Kaukasus
stammen, erhalten keine Aufträge", erzählt ein Handwerker, der anonym
bleiben möchte. Um sie herum boome es, aber die Anwohner gingen leer aus.
Auch die Arbeiter auf den Baustellen kommen aus anderen Teilen Russlands.
Die billigen ungelernten Arbeitskräfte werden in Zentralasien angeworben.
Moskaus Furcht vor radikalen Islamisten, die über ansässige Unternehmen
Sabotage verüben könnten, ist verständlich. Der Bann stellt jedoch die
Bevölkerung einer ganzen Region unter Generalverdacht.
Auch die Helfer, die während der Spiele eingesetzt werden sollen und die
demnächst ausgewählt werden, dürfen angeblich keinen kaukasischen
Hintergrund haben. Der Inlandsgeheimdienst ist jetzt schon in
Alarmbereitschaft. Gelegentlich gehen vor Sportveranstaltungen in Sotschi
Sprengsätze hoch. Der Geheimdienst verweist dann auf georgische Agenten,
ohne aber jemals einen dingfest gemacht zu haben. Meistens stecken
aufgebrachte Bürger dahinter, die unter die Räder der Olympiamaschine
geraten sind und sich ungerecht behandelt fühlen.
Warum Moskau in dieser Situation auch noch einen territorialen Konflikt mit
Abchasien vom Zaun bricht, ist ein Rätsel. Abchasien hatte sich vielmehr
von den Spielen Aufschwung versprochen. Wie wenig der Nachbar in die
Vorbereitungen einbezogen ist, wird schon am Flughafen in Sotschi klar:
"Mit dem Auto nach Abchasien?", fragt der Autoverleiher barsch. "Nein, das
ist Ausland!" Aber doch befreundetes Ausland?
## "Auch noch Ausländer"
Der junge Mann zieht eine Grimasse. Der Gedanke, dass in zwei Jahren
Olympiabesucher auch die einstige sowjetische Riviera erkunden möchten, ist
dem Mann fremd. Schon die Frage macht ihn grantig. Die Abchasen
verabschiedeten inzwischen ein Gesetz, das den Verzicht auf Territorium
untersagt. Nach internationalem Recht müsste sich Russland ohnehin mit
Georgien verständigen.
Die Fahrt auf der Straße von Weseloje in die Berge endet nach zwanzig
Kilometern in der Nähe der Ortschaft Jermolowka. Dort geht die Straße in
einen steilen Knüppelweg über, der von Soldaten bewacht wird. Nur ein
angeheiterter armenischer Bauarbeiter ist auf der Straße. Von einer
Passierscheinstelle ist weit und breit nichts zu sehen. Zuständig sei die
Verwaltung in Weseloje, heißt es schließlich.
"Aibga war immer russisch, sollen die Abchasen behaupten, was sie wollen",
ruft der freundliche Bürovorsteher in dem Badeort später wie aus der
Pistole geschossen. Der Sachbearbeiter für Sondergenehmigungen sei erst am
nächsten Tag wieder im Büro. "Sind Sie überhaupt von hier? Ach, auch noch
Ausländer! Da können wir sowieso nichts für Sie tun", sagt er und verweist
an die Grenztruppen in Sotschi. Die Grenzer sind an diesem Nachmittag auch
nur mit einer Notmannschaft vertreten und halten sich nicht für zuständig.
Beim Inlandsgeheimdienst FSB solle man es probieren.
Der FSB residiert in einem modernen Bau in einer Seitenstraße des
Kurort-Boulevards. Die Empfangsherren hinter undurchsichtigen Scheiben
schieben ein Formular unter dem Glas durch. Ausfüllen und abwarten. Es kann
Tage dauern. Zwar handelt es sich um einen Routinevorgang, sein Ausgang
bleibt aber offen. Meist hilft nur Bakschisch.
## Zwei Tage Verhör
Ein letzter Versuch, doch noch nach Aibga zu gelangen, führt in den
"Medweschij Ugol", zu Deutsch Bärenwinkel. Auf der Autobahn Richtung
Krasnaja Poljana galoppiert eine Herde Pferde. Auch die abgesackten
Gullideckel auf der neuen Trasse dürfen nicht übersehen werden. Vom
Bärenwinkel wäre der Aufstieg nach Aibga am einfachsten.
Der Lärm der Lkws, die im Halbminutentakt zu den Baustellen nach Krasnaja
Poljana donnern, haben die Bären vertrieben. Gelegentlich schauen noch ein
paar Touristen vorbei, erzählt der Wächter am Schlagbaum. Auch diese Ecke
ist schon abgeriegelt. "Überall in den Wäldern stehen Soldaten", sagt er.
Eindringlinge würden zwar nicht mehr nach Sibirien deportiert, meint er
augenzwinkernd, mit zwei Tagen Verhör müsse aber rechnen, wer keine
Sondererlaubnis habe.
"Gnade Gott dem, der von der Polizei festgenommen wird", warnte ein
reisender Europäer Ende des 19. Jahrhunderts: "Gott verzeiht, der Mensch
vergisst, die geheime Polizei vergisst nie, noch verzeiht sie."
12 Jan 2012
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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