# taz.de -- Olympische Winterspiele 2014: Mondänität mit Folklore | |
> Für die Spiele von Sotschi wird im Kaukasus ein Winter-Sportzentrum | |
> geschaffen – auf sehr russische Art. Es ist das erste Großprojekt im | |
> neuen Russland. | |
Bild: Das Gebirgsdorf Krasnaja Poljana am Schwarzen Meer wird Dank Milliardenin… | |
SOTSCHI taz | Im Minutentakt donnern die Sattelschlepper die Straße von der | |
Küste des Schwarzen Meeres nach Krasnaja Poljana hinauf. Jede Schraube, | |
jeder Stein muss über die in den Fels gehauene Trasse in den Austragungsort | |
der Winterspiele 2014 geschafft werden. Von der Küste aus sind es 40 | |
Kilometer bis in den Ort. Das "schöne Feld" liegt, versteckt hinter einem | |
Bergrücken, 500 Meter über dem Meer. | |
Früher dauerte die Fahrt anderthalb Stunden auf einer atemberaubenden | |
Bergstraße, noch früher zog sich die Reise über Tage hin. In Krasnaja | |
Poljana ließ sich nieder, wer Ruhe haben wollte und wer dem russischen | |
Frieden nicht traute. Bis Skiläufer Wladimir Putin das Dorf Anfang 2000 | |
entdeckte, war Krasnaja Poljana ein gottverlassenes Nest mit einem Hotel | |
und ein paar privaten Pensionen. Ein Dorf im sicheren Hinterland, wo | |
Griechen, Kaukasier, Esten und Russen siedelten. | |
Heute wird es in dem Tal nicht mehr dunkel. Unter Flutlicht schuften nachts | |
billige Arbeitskräfte aus Zentralasien auf den unzähligen Baustellen aus | |
Zentralasien. Auf riesigen Plakaten an der Hauptstraße bewerben | |
Cateringfirmen die Verpflegung für Arbeiter. "Kompakte Tagesrationen" gibt | |
es für 200 Rubel, umgerechnet 5 Euro. Dafür ist nicht einmal ein lauwarmer | |
Kaffee in einem der neuen Etablissements zu haben. | |
Offiziell läuft alles nach Plan. Nur bei den Bob- und Rodelanlagen hinkt | |
der Bauherr dem Zeitplan hinterher. Die olympischen Anlagen sind seit mehr | |
als einem Vierteljahrhundert das erste Großprojekt im neuen Russland. Ein | |
Prestigeunternehmen, mit dem Moskau an die Tradition der Sowjetunion | |
anknüpfen möchte. Weder Mühen noch Kosten werden gescheut. Anscheinend | |
konnte auch der alte Glaube überleben, die Natur lasse sich ungestraft | |
bezwingen. | |
## Dicker Staub erstickt alles Leben | |
Das Tal liegt unter einer ewigen Staubglocke. Eine Mischung aus Sand und | |
Zement. Es knirscht zwischen den Zähnen. "Bei uns wächst nichts mehr, | |
zentimeterdicker Staub erstickt alles Leben, früher ernteten wir zweimal im | |
Jahr", erzählt Jannis. Er sitzt auf einer Holzbank vor seinem Haus im alten | |
Ortsteil von Krasnaja Poljana. Der 81-jährige Grieche war Hirte und | |
Schlosser. | |
In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts kam er mit den Eltern nach | |
Poljana. Viele zogen damals von der Küste in die Berge, um sich vor den | |
Repressionen des Diktators Stalin in Sicherheit zu bringen. Janis klagt, | |
Krasnaja Poljana sei nicht mehr sein Ort. Er spricht russisch. Wenn er | |
aufgebracht ist, fällt er in ein altertümliches Griechisch. | |
"Ich sitze den ganzen Tag hier, und kein bekanntes Gesicht kommt vorbei", | |
meint der Alte. Er übertreibt - gerade hat er noch mit einer Nachbarin | |
gesprochen. In der Tat jedoch verlassen immer mehr Einheimische den Ort. | |
Vorarbeiter und Ingenieure aus anderen Teilen Russlands, Tourismusmanager | |
und Marketender nehmen ihre Plätze ein. | |
So wie es Bewohnern des Küstenstreifens bei Sotschi erging, der zur | |
Olympiaanlage ausgebaut wird. Tausende wurden umgesiedelt, zwangsgeräumt | |
und enteignet. "Stalin hat uns Griechen Ende der 1940er nach Kasachstan | |
deportiert", erzählt Janis. Der Tyrann traute den umtriebigen griechischen | |
"Kosmopoliten" an der Küste nicht. "Wir sind dem entgangen, weil wir hier | |
oben lebten." Dass die Spiele der Weltoffenheit ihn nun doch noch | |
vertreiben könnten, lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. | |
## Größer und pompöser | |
Poljana ist nicht mehr wiederzuerkennen. An den alten Ort erinnert nur noch | |
der Name. Moskaus Elite lässt sich einen zünftigen Wintersportort | |
errichten, der europäischen Vorbildern folgt. Das neue Poljana wird eine | |
Melange aus Courchevel, wo sich die neureiche russische beau monde | |
besonders gern aufhält, ein bisschen St. Moritz, Kitzbühel und | |
norditalienische Kolonnaden-Grandezza. Größer und pompöser, versteht sich. | |
Auch die alten Pensionen an der Hauptstraße im Ortsteil Estodok, stattliche | |
Neubauten der letzten 15 Jahre, fielen den Abrissbirnen zum Opfer. Das | |
melancholische Kolorit ist verschwunden. Unter dem Baulärm rumoren schon | |
Mondänität und Ramasuri. Die Planer haben sich Mühe gegeben, das Pariser | |
Büro des Stararchitekten Pierre Denier ist für einen der vier alpinen | |
Großkomplexe, das "Karussel", zuständig, wo die Skisprungwettbewerbe | |
stattfinden. Denier baute schon Courchevel und Valmorel in den | |
Französischen Alpen. | |
Auch das Bemühen um Authentizität und Folklore ist erkennbar. Die Chalets | |
erinnern an russische Landhäuser, die fertigen Holzbausätze wurden jedoch | |
aus Österreich importiert. Auf der Suche nach Vorbildern schaute sich der | |
Architekt in Zentralrussland um und ließ sich von der Holzbaukunst im | |
nordrussischen Kischi begeistern. | |
Seine folkloristischen Motive entlehnte Denier bei dem Märchen- und | |
Sagenillustrator Iwan Bilibin aus dem 19. Jahrhundert. Engagiert, rührend, | |
gutwillig, aber auch ein wenig blauäugig. Denn mit der kaukasischen | |
Tradition der Bergvölker hat der russische Baustil nichts gemein. | |
## Imitation und Ekletik | |
Das Zarenreich eroberte den Süden erst in der zweiten Hälfte des 19. | |
Jahrhunderts. Das neue Krasnaja Poljana verwehrt den Berglern wieder die | |
kulturelle Eigenheit, als sollten die Spiele die unruhige Region ein für | |
alle Male botmäßig machen. Wie einst europäische Adlige in Zarendiensten | |
den Kaukasus unterwarfen, vollenden nun ahnungslose Profis aus Europa das | |
Werk. | |
Ein unprätentiöses, gleichwohl gelungenes Projekt im alpinen Normstil ist | |
der Komplex Rosa Chutor, wo am Wochenende der Ski-Weltcup der Männer | |
Station gemacht hat. Ganz anders der Bahnhof von Krasnaja Poljana. Der Bau | |
spiegelt die russische Freude an Imitation und Eklektik wider. | |
Zwar reicht die Bergstation nicht an den Dogenpalast heran, die | |
venezianischen Blaupausen sind jedoch nicht zu übersehen - samt einer | |
Venusstatue als Dachzierrat. Durch die Übernahme von Form und Stil legt | |
sich Russland im Kaukasus ein europäisches Gewand an. | |
Das wiederum passt in eine lange Tradition. Prestigeobjekte von nationaler | |
Bedeutung und Symbolik übertrugen russische Herrscher seit je europäischen | |
Fachleuten. Auch der Moskauer Kreml, so wie er bis heute steht, ist ein | |
europäischer Entwurf. | |
14 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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