| # taz.de -- Parteileute vor Fachlichkeit: Beamte meutern gegen Niebel | |
| > Kaum ein Politiker hat das Prinzip, Parteileute ins Ministerium zu | |
| > hieven, so perfektioniert wie Dirk Niebel. Nun regt sich Widerstand unter | |
| > seinen Beamten. | |
| Bild: Sammelt seine Freunde im Ministerium: Dirk Niebel. | |
| BERLIN taz | Die Masse jubelt, die Halle bebt, der Mann begeistert. | |
| "Deutschland braucht uns Liberale", ruft er, "lassen Sie uns gemeinsam | |
| kämpfen. Für unsere FDP, für unser Deutschland!" Standing Ovations. | |
| Gesprochen hat allerdings nicht FDP-Chef Philip Rösler, die Rede hat ein | |
| anderer gehalten. Dirk Niebel. | |
| Mit dem eindeutigen Bekenntnis zu seiner Partei wird der | |
| Entwicklungsminister zum heimlichen Star des Dreikönigstreffens von | |
| vorvergangener Woche in Stuttgart. Damit sich Niebel auch weiter höchster | |
| Beliebtheit in seiner Partei erfreuen kann, hat der ehemalige | |
| Fallschirmspringer einige Weichen in seinem Ministerium gestellt. | |
| Er hat jüngst zahlreiche neue Führungsposten geschaffen, sogar eine neue | |
| Abteilung, und da einige FDP-Freunde untergebracht. "Das nötigt mir Respekt | |
| ab", sagte schon vor einiger Zeit ein Liberaler hinter vorgehaltener Hand | |
| über Niebels Personalpolitik. | |
| Doch nun belegt ein interner Bericht des Personalrats, der der taz | |
| vorliegt, dass Niebels Rückhalt im Beamtenapparat schwindet. Unverhohlen | |
| wird gefragt, ob sich der Minister eine Wahlkampftruppe zusammenstellt, | |
| statt sich um Entwicklungspolitik zu kümmern. "Entsteht mit Abteilung P&K | |
| die "Kampa" für 2013? Wird das BMZ fit gemacht für den Wahlkampf?" | |
| ## Fachliche Verbesserung der Entwicklungshilfe geschieht nicht, sagen die | |
| Kritiker | |
| Der Hintergrund ist ein seltener Glücksfall für den Entwicklungsminister: | |
| Er darf sein Ressort personell verstärken wie niemals zuvor in der | |
| Geschichte. Allein in diesem Jahr wird es einen Zuwachs um 182 Personen | |
| geben, weitere sollen folgen. Dies alles ist eine Folge der Fusion dreier | |
| Entwicklungsorganisationen. Denn ein Ziel der Reform ist es, das | |
| Ministerium zu stärken, die "Steuerungsfähigkeit" des Hauses gegenüber der | |
| neu geschaffenen Riesenorganisation GIZ mit ihren rund 17.000 | |
| Mitarbeitenden zu optimieren, die für das Ministerium vor Ort die Projekte | |
| leiten. | |
| Kurz: Es geht darum, die Entwicklungshilfe fachlich zu verbessern, indem | |
| unabhängig von Unternehmensinteressen über Projekte entschieden werden | |
| kann. Doch genau das geschieht nicht, kritisieren nun die | |
| Entwicklungsbeamten. | |
| Bei dem internen Dokument handelt es sich um einen elfseitigen | |
| Halbjahresbericht des Personalrats im Entwicklungsministerium, also der | |
| Vertretung der Beschäftigten. Für Dirk Niebel fällt er vernichtend aus. | |
| Nach der Kritik aus der Opposition und vom Koalitionspartner scheint ihm | |
| damit auch das eigene Haus nicht mehr zu vertrauen. | |
| "Die Leitung begibt sich mit ihrem Aufblähungskonzept in einen drastischen | |
| Widerspruch zu ihrem eigenen Versprechen einer angemessenen | |
| Personalausstattung der Referate", schreibt der Personalrat, "2012 ist | |
| nicht der richtige Zeitpunkt, um neue Häuptlinge zu krönen. Es besteht | |
| schlicht kein Spielraum für ein solches Aufpumpen der Strukturen." | |
| ## Neue Abteilungsleiterin gilt als unerfahren | |
| Besonders greift das Gremium die von Niebel neu eingestellte | |
| Abteilungsleiterin für Europa und Asien, Uta Böllhoff, an. Die ehemalige | |
| McKinsey-Beraterin hat sich in ihrem bisherigen beruflichen Leben vor allem | |
| mit Personalabbau beschäftigt und gilt als entwicklungspolitisch | |
| unerfahren. | |
| "Für den Personalrat ist nicht erkennbar", schreiben die Beamten, "dass die | |
| neue Kollegin von außen sachdienliche Erfahrungen, insbesondere in | |
| Personalführung, für eine B9-Position [AbteilungsleiterIn; die Red.] in | |
| einer obersten Bundesbehörde mitbringt." Das sitzt. | |
| Auch habe man wiederholt darauf verwiesen, dass es ausreichend geeignete | |
| interne Kandidaten mit mehr Erfahrung gegeben hätte. "Leider hat die | |
| Leitung eine andere Entscheidung getroffen." Schließlich geht es nicht nur | |
| um Böllhoff, sondern um weitere Spitzenposten. So ist FDP-Mann Ulrich von | |
| Bebber seit Neuestem zuständig für Personalpolitik, drei weitere | |
| Unterabteilungsleitungen sind vakant. | |
| ## Grüne kritisiert, dass die Haltung auf eigenen Vorteil abzielt | |
| Im Ergebnis lehnt der Personalrat die Umstrukturierung ab und fordert eine | |
| Überarbeitung: "Hier wurde ein Organigramm geschneidert, das nicht der | |
| Stärkung der Fachreferate, sondern der Schaffung von Steuerungseinheiten | |
| dient", schreiben die Beamten. Die Grüne Ute Koczy kritisiert die Vorgänge | |
| als "rücksichtslose Haltung Niebels, die auf den eigenen Vorteil abzielt". | |
| Bereits vergangene Woche hatte die CDU-Politikerin Sibylle Pfeiffer die | |
| Personalpolitik Niebels in einem Brief an Bundeskanzlerin Merkel | |
| angegriffen. Pfeiffer beklagte darin auch, eine vertrauensvolle | |
| Zusammenarbeit mit Niebel sei für die Union nur noch "schwer zu | |
| bewerkstelligen", die Personalpolitik sei nicht abgesprochen oder vom | |
| Haushaltsausschuss abgesegnet. | |
| Niebel tobte vor Wut: Pfeiffer habe "die neue Entwicklungspolitik nicht | |
| verstanden", sagte er im Interview mit dem Westfalen-Blatt. Die Union möge | |
| doch bitte "kompetente Abgeordnete mit der Begleitung dieses politischen | |
| Fachbereiches betrauen." Mittlerweile ist Unions-Fraktionschef Volker | |
| Kauder eingeschaltet. Den Umgang will man sich nicht gefallen lassen. | |
| ## Niebel hat sich an die pausenlose Kritik gewöhnt | |
| Zu der neuen Kritik aus dem Haus gibt sich die Leitungsebene verschlossen. | |
| "Von einer Aufblähung kann keine Rede sein", sagte ein Ministeriumssprecher | |
| auf Anfrage, es gelte bei Einstellungen das Leistungsprinzip. Mittlerweile | |
| hat sich auch die Pressestelle an Anfragen dieser Art gewöhnt. Nahezu | |
| pausenlos steht Niebel in der Kritik, auch der Personalrat hatte ihn | |
| bereits im vergangenen Jahr kritisiert. Aber noch nie so verbittert und | |
| hart wie jetzt. | |
| In Stuttgart, bei seinem großen Auftritt, sprach Dirk Niebel auch über sein | |
| Ministerium. Stolz sei er auf den Vorwurf, er habe zu viel für die | |
| Wirtschaft getan. Und auch die Kritik seiner SPD-Amtsvorgängerin Heidemarie | |
| Wieczorek-Zeul ehre ihn, denn für eine andere Politik sei die FDP gewählt | |
| worden. "Wir", sagte Niebel, "haben das Ministerium verändert." | |
| 17 Jan 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Gordon Repinski | |
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