# taz.de -- Rebellion bei Wikipedia: Ringelreihen der Experten | |
> Aus Protest gegen zwei Gesetzentwürfe aus den USA hat die englische | |
> Ausgabe der Wikipedia ihre Seiten geschwärzt. 24 Stunden lang. Was soll | |
> das bringen? | |
Bild: Nach nur 24 Stunden ist alles vorbei und Wikipedia liefert wieder Wissen … | |
BERLIN taz | "Über ein Jahrzehnt haben wir Millionen von Stunden darauf | |
verwandt, die größte Online-Enzyklopädie in der Geschichte der Menschheit | |
aufzubauen. In diesem Moment plant der US-Kongress Gesetze, die das freie, | |
offene Internet massiv bedrohen." | |
So stand es auf der englischsprachigen Wikipedia-Seite, einen ganzen Tag | |
lang. Der Rest des Online-Lexikons war nicht abrufbar. Bis auf einen | |
Artikel, der die beiden Gesetzesvorhaben beschreibt. Es geht um SOPA (Stop | |
Online Piracy Act) und PIPA (PROTECT IP Act), die dem Kampf gegen | |
Urheberrechte dienen sollen, was so viel heißt wie: die Interessen der | |
Film- und Musikindustrie schützen. | |
Allein diese ersten beide Sätze zeigen das Problem vieler Netzproteste: Sie | |
sind für Außenstehende schwer zu durchschauen. Hier ist der Zusammenhang | |
völlig unklar. Was soll das mit dem Schwärzen der Seite? Heißt das, wenn | |
der US-Kongress dieses Vorhaben durchwinkt, gibt es keine Wikipedia mehr? | |
Ist das Ende des Weltwissens nahe? Die Wikipedia antwortet darauf im | |
FAQ-Artikel, Zitat: No, not at all. Überhaupt rein gar nicht. Aber, große | |
pathetische Geste, gleichwohl bedrohen die Vorlagen das freie und offene | |
Netz, und das heißt, sie bedrohen auch die Wikipedia. | |
Tatsächlich ist es so: Sie bedeuten mehr Arbeit für Wikipedia, sollten sie | |
überhaupt kommen. Die Gesetzesinitiativen sollen es Rechteinhabern | |
ermöglichen, nicht nur gegen Seiten zu klagen, die ihre Rechte verletzen, | |
sondern auch gegen solche, die auf diese Seiten verweisen. Theoretisch | |
könnte man damit Facebook verklagen, wenn ein User einen Link auf einen | |
illegalen Stream gesetzt hat. Außerdem verschärft es massiv die Strafen, | |
die gegen Copyrightverletzungen verhängt werden. | |
## Was geht uns das an? | |
Das Problem der Proteste gegen Internetzensurgesetze war bisher immer | |
dieses: Experten kritisieren die Vorhaben vor anderen Experten. Es ist ein | |
Ringelreihen der Selbstvergewisserung. Jedem, der ein paar Blogs liest, ist | |
klar, was (zum Beispiel) Vorratsdatenspeicherung ist und warum man sie um | |
jeden Preis verhindern sollte. | |
Aber gilt das auch für den durchschnittlichen Netznutzer? Für den ist das | |
Internet immer noch: Google, YouTube, Facebook, ein paar Nachrichtenseiten, | |
ein paar Onlinekaufhäuser, ein bisschen Urlaub buchen. Dieser Nutzer sagen | |
sich: Was geht mich das eigentlich an? | |
Natürlich geht ihn das sehr viel an, die lustigen Katzenbilder auf Facebook | |
bringt ja nicht der Storch. Das Internet würde deutlich leerer werden, und | |
wenn soziale Plattformen aktiv nach Urheberrechtsverletzungen suchen | |
müssen, könnte das Teilen fremder Links, Fotos und Videos bald Geschichte | |
sein. | |
Man kann das drastisch darstellen, um es Menschen nahezubringen, die sich | |
bisher für unbeteiligt hielten. Oder es in die Medien tragen. Das immerhin | |
hat die Wikipedia geschafft: dass es in allen großen Medien ist. Dass jetzt | |
wohl ein paar Leute mehr wissen, was SOPA und PIPA bedeutet. | |
## Die Aktion – eine Eintagsfliege? | |
Aber welchen Effekt wird das haben? Markus Beckedahl, Vorstand des Vereins | |
für Digitale Gesellschaft, hat vollkommen recht, wenn er sagt: "Musik- und | |
Filmindustrie versuchen, das Netz scheibchenweise kaputtzumachen". Auch | |
wenn SOPA und PIPA jetzt kritischer betrachtet werden - der Tag, an dem | |
Wikipedia Schwarz trug, vergeht, die Interessen der Unterhaltungskonzerne | |
bleiben. Diese Aktionen sprechen kurz einmal ein breiteres Publikum an, und | |
dann versinkt das Thema wieder. | |
Immerhin, es gibt inzwischen einige kreative Protestformen, die auch den | |
normalen Internetnutzer erreichen: Zum Beispiel ein Lied zur Melodie von | |
"American Pie". Es heißt: The day the LOLcats died. Da immerhin verstehen | |
viele, was gemeint ist. | |
Um sich der Übergriffe von Musik- und Filmindustrie zu erwehren, bräuchte | |
man langfristig aber ein wenig mehr Substanz: Man bräuchte eine echte | |
Alternative zum jetzigen Urheberrecht. Ohne diese Grundlage werden über | |
kurz oder lang die Proteste gegen solcherlei Vorhaben verpuffen. Das ist | |
nur eine Frage der Zeit. | |
18 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Frédéric Valin | |
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