# taz.de -- Bahn-Experiment in Ostfriesland: Mit dem Nahverkehrsticket im Inter… | |
> In Ostfriesland können Nahverkehrskunden bald ohne Aufpreis | |
> Fernverkehrszüge nutzen. Grundlage ist ein umstrittener Deal mit der | |
> Deutschen Bahn. | |
Bild: Gibts bald auch von Bremen nach Ostfriesland: Intercity in der Abenddämm… | |
HAMBURG taz | Die Länder Niedersachsen und Bremen gehen neue Wege beim | |
Schienennahverkehr. Statt weitere Regionalexpresszüge von Bremen nach | |
Ostfriesland fahren zu lassen, spendieren sie den Fahrgästen die Fahrt im | |
Intercity: Die Kunden können die Fernverkehrszüge zu den gleichen | |
Bedingungen nutzen wie die Regionalexpresszüge. Die Mehrkosten tragen die | |
niedersächsische Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG) und das Land Bremen. | |
Der Bahn erleichtert das Modell, Fernverkehrszüge zur Küste durchfahren zu | |
lassen, die sich ohne den Zuschuss nicht rechnen würden. | |
Das Modell rührt an einen wunden Punkt der Organisation des | |
Schienenverkehrs in Deutschland. Im Zuge der 1993 beschlossenen Bahnreform | |
wurden der Fern- und Nahverkehr finanziell getrennt. Der Fernverkehr sollte | |
nach rein wirtschaftlichen Kriterien betrieben werden. Den Nahverkehr | |
sollten die Länder bestellen. Um den Verkehr für die gewünschten Strecken | |
einkaufen zu können, erhielten sie vom Bund sogenannte | |
"Regionalisierungsmittel" - im Falle der LNVG 300 Millionen Euro pro Jahr. | |
Mit diesem Geld subventioniert sie die Regional- und Regionalexpresszüge zu | |
zwei Dritteln. | |
Auf der Strecke von Bremen über Oldenburg und Emden bis Norddeich Mole wird | |
sich jetzt erstmals eine Mischfinanzierung zwischen dem Nah- und | |
Fernverkehr ergeben: Die Länder bestellen keine zusätzlichen Züge, sondern | |
bezahlen die Bahn dafür, dass sie LNVG-Kunden ohne Aufschlag in ihren | |
Intercitys mitnimmt. Einige dieser Intercitys fahren heute schon, weitere | |
sollen hinzukommen, sodass zusammen mit den Regionalexpress-Zügen ein | |
Stundentakt entsteht. | |
Die Regionalexpress-Züge nach Ostfriesland seien wegen der vielen Urlauber | |
und Ausflügler sehr gut gefüllt, sagt LNVG-Sprecher Rainer Peters. Sie | |
seien aber die einzigen im LNVG-Gebiet, die noch nicht im Stundentakt | |
führen, was sich jetzt ändern solle. Der Vorteil des Arrangements mit der | |
Bahn liege dabei auf der Hand: "Wir kriegen für weniger Geld den | |
Stundentakt hin." | |
Engelbert Recker vom Interessenverband der Wettbewerbsunternehmen im | |
öffentlichen Personenverkehr (Mofair) warnt, dass sich dieser Präzedenzfall | |
rächen könnte. "Die Regionalisierungsmittel sind nicht dazu da, den | |
Fernverkehr der Deutschen Bahn zu subventionieren", sagt der | |
Interessenvertreter der Privatbahnen. Das stärke die Bahn im Fernverkehr zu | |
Lasten ihrer Wettbewerber. | |
"Das Modell ist keine Antwort auf die grundsätzliche Frage, welche | |
Fernverkehre in Randlagen benötigt und wie sie finanziert werden", sagt | |
Recker. Wenn der Fernverkehr in bestimmten Regionen Zuschüsse benötige, | |
müssten alle Eisenbahnunternehmen von den Subventionen profitieren können. | |
Die Bahn sei hier im Vorteil, weil sie praktisch als einzige | |
Fernverkehrszüge anbiete, die hier aber als Nahverkehrszüge fungierten. | |
Klaus-Peter Naumann von Fahrgastverband Pro Bahn spricht von einer Lücke im | |
Gesetz zur Bahnreform. Es sei für die Politik einfach zu verlockend | |
gewesen, eine klare Grenze zwischen sich selbst tragendem Fern- und | |
subventioniertem Nahverkehr zu ziehen. In der Folge wandelte die auf einen | |
künftigen Börsengang getrimmte Bahn ihre Interregio-Mittelstreckenzüge in | |
Intercitys um. "Die rechneten sich immer weniger, weil sie nicht die | |
Nahverkehrskunden hatten", sagt Naumann. | |
Der Fahrgastvertreter sieht in der niedersächsisch-bremischen Lösung eine | |
Wiederauflage des Interregio. "Das ist die einzige Chance, eine vernünftige | |
Kombination zwischen Nah- und Fernverkehr zu machen", findet er. | |
Ob sich das bewährt, wird sich jedoch erst mit dem Fahrplanwechsel im | |
Dezember 2013 zeigen. Dann soll das Modell umgesetzt werden. | |
Die entsprechenden Verträge laufen bis 2022. So lange ist die Bahn | |
verpflichtet, die vereinbarten Intercitys rollen zu lassen, und zwar | |
unabhängig davon, ob sich die Sache tatsächlich trägt. "Das wirtschaftliche | |
Risiko liegt bei der Bahn", sagt eine DB-Sprecherin. Denn was die Länder | |
zuzahlen, bemisst sich nach der Zahl der Fahrgäste. | |
22 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
## TAGS | |
Bahnreform | |
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