# taz.de -- Debatte EU und Datenschutz: Papierkraken und Datentiger | |
> Datenschutz funktioniert nur gemeinsam. Die EU-Kommission will den | |
> lukrativen Datenhandel unterbinden. Von der Bundesregierung kann sie kaum | |
> Unterstützung erwarten. | |
Was bringt uns die EU überhaupt? Nutzern von Facebook und Google oder | |
Smartphone-Besitzern bringt die Europäische Union eine ganze Menge. | |
Immerhin sind sie es, die bisher kaum geschützt sind gegen Datenklau und | |
den Weiterverkauf intimster Informationen. Jetzt – endlich – will die | |
EU-Kommission das ändern. | |
Mit den Vorschlägen für eine grundlegende Reform des europäischen | |
Datenschutzrechts soll den VerbraucherInnen und BürgerInnen ein | |
einheitlicher EU-Standard für den effektiven Schutz ihrer Daten an die Hand | |
gegeben werden. Neben besseren Informations- und Kontrollmöglichkeiten für | |
die Einzelnen sieht die Reform auch hohe Geldstrafen für Missbrauch vor, | |
etwa bei Verlust oder Weiterverkauf von NutzerInnendaten. | |
In Anbetracht des Selbstbewusstseins, mit dem globale Datensammler wie | |
Facebook oder Google agieren, ist dies ein überfälliger Schritt. Doch der | |
im Ansatz vernünftige Vorschlag der Kommission könnte an Konzernen und | |
Sicherheitsbehörden scheitern, die ein Interesse an umfassenden | |
Datensammlungen haben. | |
Gerade die deutsche Politik und insbesondere die Bundesregierung sind daher | |
jetzt gefragt. Leider aber sind die für den privaten Datenschutz zuständige | |
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) und mit ihr die schwarz-gelbe | |
Bundesregierung mit inhaltlichen Forderungen zur Reform bislang kaum | |
aufgefallen, obwohl diese in Brüssel bereits seit zwei Jahren diskutiert | |
wird. | |
Stattdessen profilierte sich Aigner mit einem medienwirksamen | |
Facebook-Austritt, der den deutschen VerbraucherInnen aber wenig half. Auch | |
der für den behördlichen Datenschutz zuständige Innenminister Hans-Peter | |
Friedrich (CSU) hat das von seinem Vorgänger noch in den Vordergrund | |
gestellte Thema Datenschutz vollends ins Abseits verbannt. | |
Dabei meldet die Bundesregierung im Brüsseler Ministerrat – zumindest | |
kleinlaut am Rande ihrer Enthaltung zu diesen wichtigen Themen – regelmäßig | |
verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Verarbeitung von | |
Telekommunikations-, Passagier- und Bankdaten zum Zwecke der | |
Strafverfolgung an. Und auch hierzu schlägt die EU-Kommission jetzt neue | |
Regeln im Rahmen einer Richtlinie für den Polizei- und Justizbereich vor, | |
die den Wildwuchs von Überwachungsmaßnahmen einzugrenzen versucht. | |
## Lobbyhilfe vom US-Wirtschaftsminister | |
Die neuen Vorschläge der EU-Kommission bringen für BürgerInnen vor allem | |
mehr Transparenz und Kontrolle über ihre Daten. Gerade bei alltäglichen | |
Anwendungen und Dienstleistungen werden immer mehr Informationen | |
gespeichert, deren Löschung und Korrektur in Zukunft deutlich vereinfacht | |
werden soll. Da aber konstruktive Unterstützung aus Ländern wie Deutschland | |
für einen hohen Schutzstandard bislang fehlt, wird der Vorschlag zunehmend | |
verwässert. | |
Seit Monaten schon laufen Unternehmensverbände Sturm gegen die Vorschläge. | |
Sie verdienen gut an den derzeitigen Lücken und Unzulänglichkeiten im | |
Datenschutz. Gern nehmen sie neuerdings auch die massive Lobbyhilfe des | |
US-amerikanischen Wirtschaftsministeriums in Anspruch, dem der europäische | |
Datenschutz schon länger ein Dorn im Auge ist. | |
Statt in Brüssel für hohe Standards zu kämpfen, beschränken sich einige | |
deutsche DatenschützerInnen darauf, den Verlust nationaler Souveränität | |
durch die neuen EU-Regeln zu beklagen. Dabei können wir Souveränität über | |
unsere Daten nur durch eine europaweite Garantie gewinnen. Ganz egal, ob es | |
um Konzerne, Unternehmen oder Behörden geht – sie alle tauschen längst | |
umfassend grenzübergreifend Informationen aus oder sind vollends in der | |
Cloud. | |
Wer glaubt, dass Deutschland seine gewohnten Standards auf eigene Faust | |
halten kann, der hat dies nicht verstanden. | |
Und auch die Kritik des Bundesverfassungsrichters Johannes Masing am | |
mangelnden Grundrechtsschutz auf EU-Ebene kann angesichts der Realität seit | |
dem Vertrag von Lissabon nicht mehr überzeugen. Der Vorschlag der | |
EU-Kommission fußt ja gerade auf den neuen verbindlichen Bestimmungen in | |
Vertrag und Grundrechtecharta. | |
## Datenschutz ist ein Grundrecht | |
Er ist eine gute Grundlage, um einen effektiven Datenschutzstandard mit | |
einem erheblichen Gewinn an Rechtssicherheit für Unternehmen, Behörden und | |
VerbraucherInnen zu verbinden. Dies sollte gerade den DatenschützerInnen | |
und den VertreterInnen der deutschen Perspektive Anlass sein, sich jetzt | |
für eine Mehrheit im Sinne eines starken EU-Standards einzusetzen. Sonst | |
werden sie im Brüsseler Gesetzgebungsverfahren unter die Räder kommen. | |
Die 15 Jahre alten Datenschutzbestimmungen in der EU gewährleisten keinen | |
effektiven Schutz personenbezogener Daten. Im EU-Binnenmarkt bestimmt | |
leider Irland – das Land mit dem schwächsten Datenschutzrecht – den | |
Standard. Facebook etwa hat seinen Sitz dorthin verlagert. Es ist also | |
richtig, dass jetzt eine EU-weite Regelung angestrebt wird, die die | |
nationalen Datenschutzgesetze partiell ersetzen wird und eine | |
verpflichtende Zusammenarbeit der Datenschutzbeauftragten vorsieht. Umso | |
mehr kommt es jetzt darauf an, für einen EU-Standard auf hohem Niveau zu | |
kämpfen. | |
In grundrechtssensiblen Bereichen gehen auch mir die vorgeschlagenen | |
Regelungen noch nicht weit genug. Das EU-Parlament hat bereits deutlich | |
gemacht, dass es ein Zurück hinter den hohen Standard der alten Richtlinie | |
nicht akzeptieren wird. Die Bundesregierung sollte sich deshalb hinter die | |
Pläne von Kommission und Parlament stellen. Gleichzeitig muss sie deutlich | |
machen, dass der Grundrechtsschutz auf EU-Ebene auf hohem Niveau geschieht | |
– auch mit einem Europäischen Gerichtshof, der die Möglichkeiten der | |
Individualbeschwerde stark verbessern muss. | |
Mit dem Vertrag von Lissabon ist Datenschutz als Grundrecht ein leitendes | |
Prinzip im EU-Recht geworden. Es muss in ganz Europa zur Praxis werden. Nur | |
so können wir unseren hohen Datenschutzstandard auch international | |
durchsetzen und eine Benachteiligung europäischer BürgerInnen und | |
Unternehmen verhindern. | |
26 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Jan Philipp Albrecht | |
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