# taz.de -- Proteste gegen Fluglärm bei Frankfurt: "Diese Stadt verlässt man … | |
> Über Flörsheim donnern bis zu 700 Flugzeuge täglich. Vor 30 Jahren | |
> verkaufte die Stadt den Wald für den Bau der Startbahn West. Heute ist | |
> sie die Hochburg des Protests. | |
Bild: Zeichen des Protestes gegen den Fluglärm. | |
FLÖRSHEIM taz | Entscheidend ist, woher der Wind bläst. Am 21. Oktober 2011 | |
wehte der Wind von Osten, also flog die Maschine mit Angela Merkel an Bord | |
über Flörsheim, um die neue Landebahn Nordwest des Frankfurter Flughafens | |
einzuweihen. Doch während Merkels Flugzeug im sanften Gleitflug über die | |
Kleinstadt am Untermain schwebte, dröhnte wenige Minuten darauf das nächste | |
Flugzeug in 200, allenfalls 250 Metern Höhe über die Köpfe der Flörsheimer | |
hinweg. | |
So geht es seither jeden Tag, von fünf Uhr morgens bis 23 Uhr abends, bis | |
zu 45 Flugzeuge sind es laut Winterflugplan derzeit pro Stunde, 700 am Tag, | |
die jeweils zur Hälfte auf der neuen Piste oder auf der alten Start- und | |
Landebahn Süd landen. Damit ist die Kapazität nicht einmal ausgeschöpft; | |
ein Drittel mehr ist möglich. Und selbst über das Nachtflugverbot wird erst | |
das Bundesverwaltungsgericht das letzte Wort sprechen. | |
In Flörsheim sind auch jene Flugzeuge zu hören, die die alte Bahn benutzen. | |
Aber daran sei man als Flörsheimer gewöhnt, versichert man hier. Der Anflug | |
auf die neue Bahn aber sei etwas ganz anderes: "Ein Grollen, ein Zischen, | |
ein Donnern, ein Nachbrummen", erzählt Susanne Wagner. "Man hört sofort zu | |
reden auf und erschreckt im Schlaf." | |
## Bei Westwind Ruhe | |
Aber nur, wenn der Wind von Osten bläst. Bei Westwind hat Flörsheim | |
relative Ruhe, dann erfolgt der Anflug von der anderen Seite, neuerdings | |
über Lerchesberg, einem noblem Teil von Frankfurt-Sachsenhausen. | |
Der 21. Oktober 2011, davon künden auch die zahlreichen, an Fassaden und | |
Zäunen angebrachten Transparente, ist in Flörsheim der Beginn einer neuen | |
Zeitrechnung. Wenige Wochen darauf fand die erste "Montagsdemonstration" im | |
Terminal des Flughafens statt. Und dieser Samstag soll zum vorläufigen | |
Höhepunkt werden. | |
In Flörsheim ist schon am Abend zuvor "Fasnachtsdemo". Mehrere hundert | |
Menschen haben sich bei frostiger Kälte auf dem Kirchplatz versammelt, | |
einige in Kostümen, alle dick eingepackt. "Wir sind hier, wir sind laut / | |
Weil man uns die Ruhe klaut", rufen sie. "Fraport foltert Flörsheim", ist | |
auf Plakaten zu lesen. | |
## Der Trommler gibt den Takt vor | |
Der lauteste in der Menge ist Hasan Aggül. Der 48-Jährige ist kurdischer | |
Herkunft und kam 1980 nach Flörsheim. Inzwischen ist er Stadtverordneter | |
der SPD, arbeitet bei Opel und ist seit einigen Jahren hauptamtlich für den | |
Betriebsrat tätig. Und Aggül spielt leidenschaftlich gern die Davul, die | |
traditionelle türkische Trommel. Seine Davul hat er bei jeder Kundgebung | |
dabei und gibt bei Sprechchören den Takt vor. "Wenn wir am Terminal sind, | |
lassen die Leute oft ihre Kinder bei mir und sagen: 'Bleib beim Trommler, | |
wir holen dich später hier ab'", erzählt er stolz. | |
Ärgerlich hingegen findet er, dass nur wenige seiner deutsch-türkischen | |
Landsleute sich an den Protesten beteiligen. Dabei besäße mindestens die | |
Hälfte der Flörsheimer Türken hier ein Eigenheim. "Aber viele von ihnen | |
sind leider nicht mit dem Herzen hier. Und die Konservativen halten | |
Demonstrationen für kommunistisches Teufelswerk." | |
Ähnlich sahen das früher auch die Wagners. "Eine BI war für mich etwas | |
Unanständiger – jetzt war ich bei der Gründung dabei", erzählt die | |
43-jährige Susanne Wagner. "Und Facebook fand ich unseriös – jetzt mache | |
ich bei der Facebook-Gruppe 'Flörsheim gegen Nordbahn' mit". Ihren | |
Gartenzwerg aber hat sie immer noch. "Ich bin ein Spießer", sagt sie in | |
bekenntnishaftem Ton. | |
Besonders enttäuscht ist sie von der Partei, die sie jahrelang gewählt hat | |
– von der CDU. "Ich fühle mich so verarscht", sagt die | |
Verwaltungsangestellte, die in Sekundenschnelle zwischen fröhlichen | |
Erzählungen in hessischer Mundart und tränenerstickter Stimme wechseln | |
kann. "Ich habe immer gedacht: Wir leben in einem Rechtsstaat, und wenn die | |
Verantwortlichen sagen, dass die Flugzeuge tagsüber nicht so tief und | |
nachts gar nicht fliegen werden, dann können wir das glauben." | |
Aus Flörsheim will sie nicht weg. "Das ist meine Heimat", sagt sie. Aber | |
wenn sich nichts Grundlegendes verändere, könne sie nicht verantworten, | |
ihre beiden Kinder dem dauernden Fluglärm und den damit verbundenen | |
gesundheitlichen Schäden auszusetzen. "Meine Kinder sind kein Sonderopfer", | |
ergänzt sie, ein Wort des ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland | |
Koch (CDU) aufgreifend, das ihm die Flörsheimerinnen und Flörsheimer | |
besonders übel nehmen. "Es ist ein Sonderopfer. Es ist eine große | |
Belastung, die diese Menschen für die Region tragen", hatte Koch bei der | |
Einweihung der Landesbahn gesagt. | |
## Katholisch und prosperierend | |
Flörsheim ist, das zeigt die Kundgebung am Vorabend, ist eine eigenartige | |
Gemeinde. Die 20.000 Einwohner zählende Kleinstadt wurde im Jahr 828 | |
erstmals urkundlich erwähnt, ist also nur wenig jünger als das 30 Kilometer | |
entfernte Frankfurt. In den letzten hundert Jahren aber wurde Flörsheim zu | |
einer Schlafstadt; jahrzehntelang gab es für die Flörsheimer im | |
Wesentlichen nur zwei Arbeitgeber: das nahe Chemiewerk Hoechst oder eben | |
Opel. | |
Gleichwohl hat sich das tief katholische Flörsheim über die Jahre seine | |
Traditionen erhalten: Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden die türkischen | |
oder griechischen Einwanderer, der Autor dieser Zeilen kann es bezeugen, | |
weit weniger scheel angekuckt als die handvoll Protestanten. Die jährliche | |
Kirmes, die "Kerb", ist ein gesellschaftliches Großereignis, Ende August | |
wird zum Gedenken an die Befreiung von der Pest der "Verlobte Tag" gefeiert | |
– als offizieller Feiertag wohlgemerkt. Und am Fassenachtssonntag | |
übersteigt die Zahl der Gäste die Einwohner um ein Mehrfaches. | |
Auch in der jüngsten Vergangenheit hat sich an dieser Traditionspflege | |
weniger geändert, in der Beschäftigungsstruktur aber umso mehr. Bei Opel | |
arbeiten nur noch halb so viele Menschen wie vor 30 Jahren, ähnlich sieht | |
es bei den Nachfolgebetrieben der Hoechst AG aus. Und während Rüsselsheim | |
in den letzten zehn, zwanzig Jahren einen Niedergang erlebt hat – in der | |
Fußgängerzone etwa, wo einst Karstadt und zahlreiche Fachgeschäfte Kunden | |
lockten, steht nun ein 99-Cent-Shop neben dem anderen – prosperierte | |
Flörsheim. | |
Mitte der neunziger Jahre wurde ein Neubaugebiet erschlossen, Reihenhäuser | |
und Doppelhaushälften für die Mittelschicht gebaut. Viele junge Familien | |
aus dem Umland siedelten sich hier an, die Einwohnerzahl stieg um 20 | |
Prozent, eine neue Grundschule wurde eingeweiht, ein Einkaufszentrum. | |
## Jobs am Flughafen | |
All das, das wissen auch die Flörsheimer, wäre ohne den Flughafen kaum | |
denkbar gewesen. 70.000 Menschen arbeiten dort; hinzu kommt eine unbekannte | |
Zahl von Arbeitsplätzen in der Region, die mittelbar am Flughafen hängen. | |
"Etwa die Hälfte aller Flörsheimer arbeitet am Flughafen", räumt auch der | |
sozialdemokratische Bürgermeister Michael Antenbrink ein, dem 2006 das | |
Kunststück gelang, die CDU nach fast 50 Jahren aus dem Amt zu jagen. "Wir | |
wissen, was wir am Flughafen haben. Aber wir meinen, dass die Grenze des | |
Zumutbaren im Ballungsgebiet Rhein-Main überschritten ist." Wenn unbedingt | |
ein Ausbau nötig sei, wäre der im Hunsrück gelegene Flughafen | |
"Frankfurt-Hahn" viel eher geeignet. Zwei Millionen Euro hat allein die | |
Stadt Flörsheim bislang für den Kampf gegen die neue Landebahn ausgegeben – | |
Gerichtskosten, Informationsmaterial etc. | |
Antenbrinks Büro sieht aus wie die Zentrale der Bürgerinitiative: An den | |
Wänden hängen Karten von Einflugschneisen, auf dem Tisch stapeln sich | |
Flugblätter und Aufkleber gegen die Landebahn. Er bemängelt, dass der | |
Flughafenbetreiber, die Fraport, "keinen Dialog auf Augenhöhe mit den | |
Anwohnern" gesucht habe. Aus einer Akte zieht er eine besondere Karte | |
hervor. Dort, wo jetzt das Neubaugebiet steht, sind nur Äcker verzeichnet. | |
Die Fraport habe noch zu Beginn der Nullerjahre mit dieser Karte | |
gearbeitet, sagt er. Unter den heutigen Umständen hätte man dort niemals | |
gebaut. | |
Zwar sei die Flörsheimer Altstadt nun sogar entlastet, räumt Antenbrink | |
ein, die Menschen im Neubaugebiet aber bekämen die volle Dröhnung ab. | |
Antenbrink befürchtet, dass die soziale Mischung seiner Gemeinde ins Wanken | |
gerät. Jene, die in der – von der Fraport eng bemessenen vermeintlichen | |
Kernzone – wohnten, könnten das Immobilienaufkaufprogramm der Fraport in | |
Anspruch nehmen. Auch sonst drohten alle, die es sich leisten könnten, aus | |
Flörsheim wegzuziehen. | |
## Alternativen und Schallfenster | |
Von einer falschen Karte weiß der Fraport-Sprecher Wolfgang Schwalm nichts. | |
Aber er versichert, dass der Anflug über Flörsheim derjenige sei, der die | |
wenigsten Menschen betreffe. Und Flörsheim locke ja in Werbeprospekten mit | |
der Nähe zum Flughafen. Auf den häufigen Einwand, am Flughafen würden nur | |
Billiglohnplätze entstehen, reagiert er unwirsch: "Wir haben hier die | |
gesamte Bandbreite an Arbeitsplätzen – hoch qualifizierte und entsprechend | |
bezahlte Jobs; aber auch Jobs für ungelernte Menschen, die sonst nirgends | |
eine Chance kriegen." | |
Aufgrund der Drehschreibenfunktion für Passagiere und Fracht sei der Neubau | |
eines Flughafens in über hundert Kilometer Entfernung keine brauchbare | |
Alternative. Und ökologisch sei es ebenfalls sinnvoller, die | |
Flughafenstruktur an einem Ort zu bündeln. In den Ausbau des Flughafens hat | |
die Fraport rund vier Milliarden Euro investiert, erläutert Schwalm. Davon | |
600 Millionen für die neue Landebahn. Auf dem früheren Gelände der | |
amerikanischen Militärbasis will man einen dritten Terminal errichten. "Ein | |
weiterer Ausbau ist für die nächsten 15, 20 Jahre nicht geplant", | |
versichert Schwalm. Über einen noch längeren Zeitraum könne man keine | |
seriösen Aussagen treffen. Er selbst wohnt übrigens in der Taunusgemeinde | |
Oberursel, in der kaum ein Flugzeug die Idylle stört. | |
Aber auf jeden Fall nehme die Fraport die Soren der Anwohner ernst und sei | |
bestrebt, die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Man unterstütze | |
Anwohner bei der Schallisolierung und kaufe Häuser auf. "Den Wertverlust | |
gleichen wir aus", betont er. Außerdem suche man nach Alternativen: Andere | |
Flugwinkel, andere Landerouten. | |
## Zwei Generationen von Protest | |
"Für Flörsheim würde sich dadurch nichts ändern", widerspricht Georg | |
Gottas. Der 61-jährige Kaufmann macht seit 30 Jahren in verschiedenen | |
Ämtern Kommunalpolitik. "Flörsheim ist zu nah dran am Flughafen, und die | |
letzten Kilometer müssen die Flugzeuge kerzengrade fliegen." Dabei geht es | |
Gottas nicht allein um den Lärm – das Kerosin, der C02-Ausstoß. "Wir | |
brauchen neue Mobilitätskonzepte", meint er. Und seine 31-jährige Tochter | |
Carola, Sprecherin der örtlichen Bürgerinitiative, ergänzt: "In der BI ging | |
es anfangs allen nur um den Lärm. Aber wir diskutieren viel, die Leute | |
beginnen nachzudenken. Aber total gegen den Flughafen ist bei uns niemand", | |
versichert sie. | |
In Georg Gottas' Leben spielte der Flughafen schon mal zentrale Rolle: Ende | |
der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, beim Bau der Startbahn-West. Die | |
wurde teilweise auf einem Waldgelände gebaut, das der Stadt Flörsheim | |
gehörte. Und während damals in der am stärksten von der Startbahn-West | |
betroffenen Gemeinde Mörfelden-Walldorf der ganze Ort auf die Barrikaden | |
ging, versuchte die Stadt Flörsheim das Beste aus der Situation | |
herauszuholen und verkaufte das Areal für 22,5 Millionen D-Mark an den | |
Flughafen. Auch das im November 1981 gewalttätig geräumte Hüttendorf, das | |
Zentrum des Widerstandes gegen die Startbahn, stand im Flörsheimer Wald. | |
Im Jahr zuvor, als die Stadtverordnetenversammlung den Verkauf des Waldes | |
beschloss, demonstrierten tausende Startbahngegner aus dem Umland und dem | |
Rest der Republik durch Flörsheim. Aber es waren nicht nur Auswärtige. Eine | |
Minderheit der Flörsheimer Bürger, zumeist junge Leute, wehrte sich | |
ebenfalls gegen Flughafenausbau. Dazu gehörte auch der aus einer | |
erzkonservativen Familie stammende Gottas. "Ich habe mich erst durch die | |
Startbahn politisiert", sagt er. "Und irgendwann haben wir beschlossen, | |
selbst in die Politik zu gehen." | |
## Kultur aus Protest | |
Er war bei der Gründung der Grün-Alternativem Liste Flörsheim (GALF) dabei, | |
die 1981 auf Anhieb auf über 12 Prozent der Stimmen kam. Seither liegt die | |
GALF, die von den Grünen zwar als Ortsverband anerkannt wird, offiziell | |
aber nicht zur Partei gehört, konstant im zweistelligen Bereich, zuletzt | |
waren es 25,4 Prozent. Auch eine alternative Kulturszene entwickelte sich | |
aus diesem Milieu; das Flörsheimer Open Air etwa ist seit Jahrzehnten eine | |
feste Größe. | |
"Damals hat der Konflikt um die Startbahn-West Familien, Freundeskreise und | |
Vereine auseinander gerissen", erzählt Gottas. Die Eltern eines | |
Mitstreiters etwa hätten in ihrem Lebensmittelgeschäft plötzlich 30 Prozent | |
weniger Umsatz erzielt, weil der Sohn sich bei der GALF und gegen die | |
Startbahn engagiert habe. Und seine eigene Mutter habe geflucht, weil er | |
nun bei den Grünen sei. | |
## 1000 Euro in der Dose | |
"Das ist heute anders", sagt Gottas. Selbst die Flörsheimer CDU sei, | |
wenngleich etwas spät, aufgewacht und kämpfe nun gegen ihre Parteifreunde | |
in der Landesregierung. Ähnlich sei es bei der SPD. Der Bruch, den die | |
Auseinandersetzungen um die Startbahn-West in der Flörsheimer Gesellschaft | |
hinterließ, ist vielleicht erst jetzt gekittet. | |
Georg und Carola Gottas wohnen im selben Mehrfamilienhaus, drei | |
Generationen unter einem Dach. Die Flörsheimer Grünen sind eben auch | |
Flörsheimer. Und natürlich sind beide dabei, als es am Samstag zum | |
Flughafen geht. | |
[1][Bis zu 20.000 Menschen werden es am Ende,] allein aus Flörsheim reisen | |
zwei Busladungen an, dazu etliche, die mit der S-Bahn oder dem Auto kommen. | |
Georg Gottas verbringt den Tag vor allem mit Spenden sammeln – mit einer | |
Dose, die noch aus Startbahnzeiten stammt und auf einem Dachboden überlebt | |
hat. Auf fast tausend Euro wird er schließlich kommen. "Die meisten Leute | |
haben nur Scheine reingeworfen. Bei der Startbahn West wäre nicht so viel | |
möglich gewesen, da waren fast alle Demonstranten viel jünger." | |
Dass jetzt auch so viele bürgerliche Leute mitmachen, hält er für eine | |
Stärke der Bewegung. Daher sei es auch wichtig, dass man sich im legalen | |
Rahmen bewege und den Flugbetrieb nicht lahm lege. Carola Gottas, von Beruf | |
Sportkauffrau und Mutter zweier kleinen Kinder, widerspricht: "Ich fände es | |
gar nicht schlimm, wenn der Flugbetrieb lahm gelegt würde." | |
## Fasnachter gegen Fluglärm | |
Am Samstagabend, wenige Stunden nach der Großdemonstration, ist | |
Fassenachtssitzung. Eingeladen hat der Ortsverein der Katholischen | |
Arbeitnehmerbewegung, die 350 Plätze im Saal der Sankt-Gallus-Gemeinde sind | |
restlos gefüllt. Die Wagners sind gekommen, auch Georg und Carola Gottas. | |
Nur Hassan Aggül spielt auf einer türkischen Hochzeit. "Wir wurden als GALF | |
eingeladen", erzählt Georg Gottas. "Vor 30 Jahren hätten die uns mit dem | |
Arsch nicht angekuckt." Ihm und seinem Dutzend Parteifreunden ist dennoch | |
anzumerken, dass das für sie kein Heimspiel ist: Sie haben sich an einen | |
Tisch ganz hinten links gruppiert und tragen alle die gleichen – natürlich | |
grünen – Perücken. | |
Als die Gruppe "Mainstein" auf das Thema Landesbahn zu sprechen kommt, tobt | |
der Saal. Sie singen ein Schmählied auf den früheren hessischen | |
Ministerpräsidenten Roland Koch: "Du hast uns tausend Mal betrogen / Hast | |
die Worte gedreht, bis es passt/ Dann sie sind tiefer geflogen / Als du | |
versprochen hast" und preisen den Westwind ("Bei Westwind schläft hier Mann | |
und Frau / Den Ostwind braucht hier keine Sau"). Zum Finale heißt es | |
trotzig: "Und die Moral von der Geschicht' / Diese Stadt verlässt man | |
nicht." | |
Dabei wissen auch die Darsteller, dass dies eine Durchhalteparole ist. Denn | |
durch die Sitzung führt erstmals seit 14 Jahren nicht Hans Keller. Er und | |
seine Familie sind zwar an diesem Abend gekommen, aber sie waren die | |
ersten, die nach Inbetriebnahme der Landebahn ihr Haus im Neubaugebiet an | |
die Fraport verkauft haben. Jetzt leben sie mit ihrem jüngsten Sohn in der | |
Wetterau, knapp hundert Kilometer von Flörsheim entfernt. Anja Keller sagt | |
am Rand der Sitzung: "Die Landebahn hat unser Leben zerstört." Ihr Mann | |
arbeite in der Nähe ihres neuen Wohnorts, berichtet die 44-Jährige. Sie | |
selbst aber habe ihren Job bei der Sparkasse gekündigt. "Die Fraport | |
behauptet immer, dass sie Arbeitsplätze schaffe. Meinen hat sie mir | |
genommen." | |
5 Feb 2012 | |
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[1] /Proteste-gegen-Fluglaerm-in-Frankfurt/!87036/ | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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