# taz.de -- Proteste gegen Fluglärm in Frankfurt: Sleepless in Wixhausen | |
> Bis zu 20.000 Menschen haben am Samstag am Frankfurter Flughafen gegen | |
> die neue Landebahn Nordwest protestiert. Es ist bunt und kalt, laut und | |
> brav. | |
Bild: Lauter Protest gegen lauten Fluglärm: Demonstranten am Samstag im Termin… | |
FRANKFURT taz | Es sind viele. Sehr viele. "Die Polizei sagt, wir können | |
aus Sicherheitsgründen nicht durch den Terminal laufen", sagt ein Sprecher | |
zu Beginn der Kundgebung im Terminal 1 des Frankfurter Flughafens. "Wir | |
halten das jetzt mal für glaubwürdig." Der Veranstalter, das Bündnis der | |
Bürgerinitiativen, wird später von 20.000 Teilnehmern sprechen und dürfte | |
damit deutlich näher an der tatsächlichen Zahl liegen als die Polizei, die | |
6.000 Teilnehmer gezählt haben will. | |
In zwei Punkten sind sich beide Seiten immerhin einig: Diese Demonstration | |
– es ist die zehnte seit Beginn der "Montagsdemos", die Mitte November, | |
wenige Wochen nach der Inbetriebnahme der neuen Landebahn Nordwest | |
einsetzten – ist bisher die mit Abstand größte. Und von "Zwischenfällen" | |
gibt es nichts zu berichten. | |
Die Teilnehmer sind bunt gemischt; viele Ältere sind dabei, aber auch viele | |
junge Leute und Familien mit Kindern. So mancher hat Anfang der 80er Jahre | |
die Kämpfe um die Startbahn West mitgemacht. Für andere, auch Menschen | |
fortgeschrittenen Alters, sind diese Proteste eine Premiere. Vereinzelt | |
wehen Fahnen der Linken, der Grünen und Piratenpartei. Zu sehen sind auch | |
einige ältere Männer mit schwarzen Schnauzbärten oder junge Frauen mit | |
Kopftüchern. Dem optischen Eindruck zufolge aber liegt der Anteil der | |
Einwanderer weit unter dem Durchschnitt in der Region. | |
Wäre da nicht der Krach, man könnte die Menschenmenge für eine Ansammlung | |
von Reisegruppen halten. Viele Teilnehmer tragen gelbe Ortsschilder aus | |
Pappe. "Eddersheim" steht da schlicht, "Sachsenhausen" oder "Ober-Olm". Den | |
Schildern nach zu urteilen ist fast die gesamte Rhein-Main-Region | |
vertreten; selbst der Name der einen oder anderen reichen Taunusgemeinde | |
ist zu sehen. | |
Einige Teilnehmer haben die Ortsnamen mit Parolen verstärkt. "Fraport | |
foltert Flörsheim" ist zu lesen oder "Linsengericht gegen Fluglärm", was | |
selbst dann noch komisch wirkt, wenn man weiß, dass es sich bei diesem | |
Linsengericht um einen Ort am östlichen Rand des Rhein-Gebietes handelt. | |
Aus dem Süden der Region hingegen stammt die Wortmeldung "Sleepless in | |
Wixhausen". | |
## Wie beim Karneval | |
Auch wenn nicht alle Teilnehmer damit einverstanden sind, den | |
Demonstrationsumzug ausnahmsweise nach draußen zu verlegen – "Die Leute | |
sind viel zu brav", murrt beispielsweise ein etwas in die Jahre gekommener | |
Autonomer – werden später doch alle der Ansage folgen. Um eine andere | |
Aufforderung der Polizei, nämlich wegen der großen Menschenmenge auf | |
Trommeln, Pfeifen und Vuvuzelas zu verzichten, schert sich hingegen | |
niemand. | |
Es ist laut, sehr laut. Und trotz der vielen wütenden oder klagenden | |
Aufschriften auf Plakaten und Transparenten fröhlich. | |
"Das klingt wie bei uns daheim beim Karnevalsumzug", meint ein | |
Verantwortlicher des Flughafenbetreibers Fraport, der von einer | |
abgesperrten Empore das Geschehen in der für den Flugbetrieb gesperrten | |
Halle B beobachtet. Auf die Nachfrage, ob dies nun für oder gegen die | |
Demonstranten spreche, sagt er lachend: "Doch, doch das spricht für die | |
Leute, dass die Stimmung nicht so aggressiv wie damals bei der Startbahn | |
West." | |
Die Parolen klingen freilich nicht ganz so fröhlich: "Wir sind hier / Wir | |
sind laut / Weil man uns die Ruhe klaut!", skandieren die Teilnehmer. Und, | |
immer wieder: "Die Bahn muss weg!" | |
## Konsens Lärm | |
Glauben sie wirklich daran, die neue Landebahn stilllegen zu können? "Warum | |
nicht, die Genehmigung ist doch nur vorläufig", sagt eine elegant | |
gekleidete Frau um die 60. Sie stammt aus der besonders betroffenen | |
Gemeinde Flörsheim, hat nie zuvor an einer Demonstration teilgenommen, seit | |
Beginn der "Montagsdemos" am Flughafen aber keine verpasst. Nach einer | |
Pause fügt sie hinzu: "Die Schließung ist natürlich eine Maximalforderung. | |
Realistisch ist wohl ein Nachtflugverbot – und dass die Flugrouten variiert | |
werden, damit sich die Belastung besser verteilt." | |
Ein Altersgenosse, Lokalpolitiker der Grünen und Veteran der | |
Startbahnbewegung, widerspricht: "Nicht realistisch heißt nicht unmöglich. | |
In Kalkar und Wackersdorf wurde auch viel Geld ausgegeben. Aber nach den | |
vielen Protesten hat man diese Projekte aufgegeben", sagt er. Im Übrigen | |
gehe es nicht nur um den Lärm, sondern auch die Umweltbelastung durch das | |
Kerosin und den CO2-Ausstoß der Flugzeuge. "Wir brauchen neue | |
Mobilitätskonzepte" erläutert er, wohlwissend, dass der Konsens unter den | |
Demonstranten nicht über das Thema Lärm hinausreicht. | |
Inmitten der Plakate und Transparente, in denen viel von Lärm und Heimat | |
die Rede ist ("Fluglärm dröhnt volles Rohr / Zerstört Musik und unseren | |
Chor"), viel von Profit und Menschenrechten ("Schlafen ist ein Grundrecht") | |
und vom Himmel, der nicht der Fraport gehöre, geht eines der größten | |
Transparente fast unter: "Wir schieben für Sie ab", steht da im Stil einer | |
Eigenwerbung. "Begleitung durch die Bundespolizei" und "Fesslung" werden | |
als "Service" gepriesen, die Zielorte heißen Syrien oder Nigeria, wo auf | |
die Abgeschobenen Verfolgung und Tod erwarte. | |
Dabei ist es den Flüchtlings-Aktivisten zu verdanken, dass im Flughafen | |
demonstriert werden darf. Da der Flughafen in Gestalt der Stadt Frankfurt | |
und des Landes Hessen mehrheitlich Eigentum der öffentlichen Hand sei, | |
entschied Anfang vorigen Jahres das Bundesverfassungsgericht, gelte auch | |
hier das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. | |
## "Wir lassen uns unsere Heimat nicht zerstören" | |
"Wir sind keine Gegner des Flughafens", betont Thomas Will, der | |
sozialdemokratische Landrat des Kreises Groß-Gerau, dessen amtliches | |
Autokennzeichen GG bundesweit aus der Opel-Werbung bekannt ist. "Aber", so | |
fügt er hinzu, "wir lassen uns unsere Heimat nicht von den Profitinteressen | |
der Luftfahrtindustrie zerstören." Und er bedankt sich dafür, dass sich die | |
Demonstranten "nicht auseinander dividieren" ließen und nicht nach "dem | |
Sankt-Florians-Prinzip" handelten, sondern "von Mainz bis Offenbach, von | |
Gelnhausen bis Riedstadt" zusammenstünden. | |
Auch von außerhalb haben sich die Veranstalter Verstärkung geholt. Matthias | |
von Herrmann, Sprecher der Stuttgarter "Parkschützer", sagt: "Uns muss klar | |
sein, dass Politiker immer versuchen werden, Demokratie zu dem zu | |
degradieren, was ihnen genehm ist, nämlich: 'Das Volk gibt seine Stimme ab | |
und bezahlt'." Auf das Versprechen, dass bei Großprojekten künftig die | |
Bürger befragt würden, dürfe man sich nicht verlassen. | |
Zu Misstrauen rät auch ein Sprecher der Bürgerinitiative "Keine Flugruten | |
über Berlin": Das Bundesverwaltungsgericht habe bislang immer die | |
Interessen der Wirtschaft über die Interessen der Menschen gestellt, sagt | |
er im Hinblick die Verhandlung in Leipzig, wo es im März letztinstanzlich | |
um das Nachtflugverbot gehen wird, das der Hessischen | |
Verwaltungsgerichtshof für den Frankfurter Flughafen Ende Oktober für die | |
Zeit zwischen 23 und 5 Uhr verhängt hat. | |
Nachdem sich die Menge mühevoll nach draußen gedrängt hat, beginnt der | |
Demozug. Einmal um das Gelände, vom Abflugs- in den Ankunftsbereich. Die | |
letzten laufen oben erst los, als die ersten schon unten am Ziel ankommen. | |
Zu Beginn läuft Bob Marleys klassischer Demohit "Get up, stand up", zum | |
Ende der postklassische Demohit "Cantaloop" der britischen Jazz-Rapper Us3. | |
## "Wir müssen die Sorgen ernst nehmen" | |
Doch bei der Abschlusskundgebung sind es deutlich weniger Teilnehmer. Dafür | |
sind einige Dutzend Leute wieder in den Terminal gegangen, wo sie lautstark | |
ihren Ärger kundtun. Und es ist nicht allein die klirrende Kälte, die sie | |
zurück treibt. "Da draußen kriegt das doch keiner mit, wir müssen uns hier | |
drin bemerkbar machen", sagt eine Mittfünfzigerin. | |
Zwar ist die Kundgebung im Terminal offiziell für beendet erklärt, dennoch | |
lassen Fraport und Polizei die Gruppe gewähren. Man ist sichtlich darum | |
bemüht, eine Eskalation der Dinge zu vermeiden. Die neue Landebahn, wird | |
der Vorstandsvorsitzende der Fraport AG, Stefan Schulte, später sagen, habe | |
neue Probleme geschaffen oder bestehende verschärft. "Wir müssen die Sorgen | |
und Klagen der Menschen ernst nehmen – und wir tun das auch." | |
## Proteste in Berlin | |
Zur gleichen Zeit protestierten in Berlin protestieren hunderte Menschen im | |
künftigen Hauptstadtflughafen "Willy Brandt", der Anfang Juni in Betrieb | |
genommen werden soll. Den Veranstaltern zufolge sind es 600 Teilnehmer, die | |
Polizei spricht von 300. "Man merkt deutlich, dass sich die Fluglärmgegner | |
und die Menschen, die sich für Nachtruhe einsetzen, bundesweit | |
organisieren, um bei der Politik Gehör zu finden", zitiert die | |
Nachrichtenagentur dpa einen Sprecher der Bürgerinitiative "Biss Spandau". | |
In der kommenden Woche will der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier | |
(CDU) Pläne zur Reduzierung des Lärms vorstellen. Auf einer Klausurtagung | |
der CDU in Wiesbaden bekennt er sich am Nachmittag jedoch zum Ausbau des | |
Flughafens. Dies sei die Grundlage für "tausende neue Arbeitsplätze". | |
Der nächste bundesweite Aktionstag ist für den März geplant. Dann wollen | |
auch Bürger in Leipzig, Köln und München gegen Fluglärm protestieren. Und | |
in Frankfurt geht es schon am Montag weiter. "Mir mache weidda ", | |
verspricht eine Teilnehmerin. | |
5 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
## TAGS | |
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) | |
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