# taz.de -- Schriftstellerin über Bitterfeld und Energie: "Wie ein geschlossen… | |
> Die Utopie von sauberer Sonnen-Energie plus Jobwunder ist vorbei: Eine | |
> ganze Branche geht gerade den Bach runter. Aber Bitterfeld ist nicht | |
> irgendein Standort, weiß Monika Maron. | |
Bild: Q-Cells galt lange Symbol für den erfolgreichen industriellen Wandel in … | |
Die Wirtschaftsförderung aus Magdeburg und Thalheims [heute Bitterfeld] | |
beherzter Kampf um die vierzig Arbeitsplätze wogen die Abneigung der | |
Berliner Gründer gegen den tristen Ort endlich auf. Sie zogen nach | |
Thalheim. Erst im Dezember, statt wie geplant im Spätsommer 2000, hatten | |
sie die zwölf Millionen aufgetrieben, die sie außer ihren sechzigtausend | |
Mark Eigenkapital brauchten. Am 6. Januar 2001 begannen die Bauarbeiten; | |
ein halbes Jahr später, am 23. Juli 2001, wurde die erste Zelle produziert. | |
In seiner Rede zur Einweihung der ersten Linie sagte Manfred Kressin, er | |
wünsche Q-Cells einen ähnlichen Erfolg, wie die Agfa ihn hundert Jahre | |
zuvor in Bitterfeld-Wolfen begründet hatte. Damals haben sie alle gelacht, | |
sagt Kressin, aber bei der dritten Einweihung, als aus den vierzig | |
Mitarbeitern schon vierhundert geworden waren, lachte keiner mehr. | |
Aus: Monika Maron: "Bitterfelder Bogen. Ein Bericht". Frankfurt 2009 | |
taz: Frau Maron, das Lachen ist den Bitterfeldern nun wieder gänzlich | |
vergangen, denn welches Ende die Heldengeschichte von Q-Cells nimmt, ist | |
offen. Was steht dort auf dem Spiel? | |
Monika Maron: Ich halte die Krise von Q-Cells für ein großes Unglück, für | |
das Unternehmen und die ganze Region. Die Probleme waren ja schon 2008/2009 | |
zu Beginn der Krise erkennbar, der Absatz stockte, die Stimmung war | |
bedrückt, es gab die ersten 500 Entlassungen. Damals zeichnete sich schon | |
ab, dass die Schwierigkeiten nicht nur vorübergehend, sondern von | |
grundsätzlicher Art waren. Aber dass nun sogar ein Bankrott droht, ist | |
furchtbar. Auch weil die Geschichte von Q-Cells so wunderbar ist. | |
Die ganze Solarindustrie geht gerade den Bach runter. Was macht Q-Cells so | |
besonders? | |
Mit der Solarindustrie war für Bitterfeld die Hoffnung verbunden, dass die | |
Region sich als Industriestandort neu erfindet. Bis 1990 hatten die Chemie | |
und die Braunkohleförderung die Gesundheit der Menschen gefährdet, die | |
Landschaft zerstört. Anfang der 90er Jahre wurde die Luftverschmutzung fast | |
auf null gesenkt, allerdings auf Kosten der meisten Arbeitsplätze. Mit der | |
Solarindustrie zog plötzlich eine Utopie ein: saubere Energieerzeugung und | |
eine Zukunft als bedeutender Industriestandort, also die Fortsetzung einer | |
Tradition, nur ganz anders. Das war großartig: Da liegt etwas ganz am | |
Boden, und dann erhebt es sich wieder. | |
Aber es haben doch viele große Konzerne in das Chemiedreieck investiert … | |
Aber Q-Cells hat seinen Stammsitz in Bitterfeld, die Konzernzentrale, das | |
Herz eines Unternehmens. Das war ja gerade das Interessante, dass mit | |
Q-Cells kein westdeutscher oder europäischer Großkonzern nur seine | |
Dependance in Bitterfeld eröffnet hat. Q-Cells, das waren die Solarfreaks | |
vom ehemaligen Ingenieurskollektiv Wuseltronik aus Berlin-Kreuzberg. Die | |
hatten die Ideen und suchten einen Produktionsstandort, weil es in | |
Kreuzberg nicht genug Strom und in Berlin nicht genug Geld gab, um | |
Solarzellen zu produzieren. Bitterfeld hatte Platz, Fördergelder und eine | |
Kommunalverwaltung, die für Arbeitsplätze alles getan hätte. Das war eine | |
Begegnung jenseits der üblichen Ost-West-Klischees. | |
Wie viel war von dieser Aufbruchszeit von Anfang des Jahrhunderts noch | |
übrig, als Sie dort für Ihr Buch recherchiert haben? | |
Von den Berliner Gründern war nur noch Anton Milner da. Aber die Geschichte | |
lebte, und viele Leute haben über das Glück des Aufbruchs gesprochen. Und | |
dieser Anfang hatte einen Geist hinterlassen, der immer noch spürbar war, | |
da ist eine richtige Gründerzeitgeschichte geschrieben worden. Und viele | |
Mitarbeiter, die später gekommen sind, waren einfach froh über einen guten | |
Arbeitsplatz. | |
War diese Gründerzeitgeschichte 2009 für das Management noch relevant? | |
Ich glaube weniger. Das war schon ein neues Management, das aus anderen | |
Konzernen kam. Für die war Q-Cells vermutlich nichts anderes als Infineon | |
oder ein anderes Unternehmen. Sie kamen, außer Anton Milner natürlich, im | |
heroischen Teil der Q-Cells-Geschichte ja nicht vor. Vielleicht ist das | |
inzwischen anders, aber damals war es wohl so. | |
Wäre es wichtig gewesen, sich immer wieder an diese Gründergeschichte zu | |
erinnern? | |
Unbedingt. Dass man etwas Besonderes ist, aus einem besonderen Geist | |
geboren. Wenn es eine begeisternde Ost-West-Geschichte gibt, dann ist es | |
diese. Leute, die sich gleichrangig begegnet sind. Die einen hatten keine | |
Arbeit, die anderen kein Geld. Zusammen hatten alle, was sie brauchten. | |
Auch wenn sich Q-Cells erst einmal mit seinen Gläubigern geeinigt hat, ist | |
das Unternehmen noch nicht gerettet. Wenn es wirklich bankrott geht, | |
verliert die Region Tausende Arbeitsplätze, Steuereinnahmen. Hätte die | |
Region Bitterfeld-Wolfen auch ohne Solarindustrie noch eine Chance? | |
Wenn eine Region einmal aufgegeben ist, dann ist sie tot. Das ist wie ein | |
geschlossenes Theater, das lässt sich auch kaum wiederbeleben. | |
Wieso ist es mit dem Unternehmen so bergab gegangen? | |
Es geht ja der gesamten Solarbranche schlecht. Aber vermutlich lag es auch | |
an eigenen Fehlern. Q-Cells hat zwar eine große Forschungsabteilung, aber | |
es ist ihnen trotzdem nicht gelungen, einen technologischen Vorsprung zu | |
behaupten. Erst waren sie zwar teurer als die Chinesen, aber technologisch | |
besser. Dann waren die Chinesen plötzlich genauso gut - aber billiger. | |
Vielleicht ist Q-Cells auch zu sicher geworden. Am Anfang war der Bedarf an | |
Solarzellen so groß, dass die Lastwagen schon vor dem Tor standen und sie | |
gar nicht schnell genug produzieren konnten. Heute gibt es aber weltweit | |
eine Überproduktion. Die Produktionskosten der Chinesen können in | |
Deutschland nicht unterboten werden, weil hier die Umweltauflagen, | |
Energiekosten und Löhne höher sind. Zu gewinnen ist der Konkurrenzkampf nur | |
in der Technologie. | |
Hätten sie etwas gegen die Konkurrenz aus China tun können? Welche | |
Versäumnisse gab es? | |
Da waren sie auch Opfer der falschen Förderpolitik. Es ist doch Irrsinn, | |
dass wir hier die Endverbraucher subventionieren. Abgesehen davon, dass | |
Fördermittel und Anteil des Solarstroms an der Energieversorgung in einem | |
krassen Missverhältnis zueinander stehen, geht es so absurd zu wie in der | |
DDR, wo die Leute bei der HO hinten in ihrem eigenen Garten ihre Tomaten | |
für vier Mark verkauft haben, um sie dann vorne im Geschäft für eine Mark | |
zu kaufen. Nur dass sie jetzt nicht einmal die eigenen Produkte kaufen, | |
sondern die billigeren chinesischen Module, wobei die Solarindustrie in | |
China ohnehin massiv gefördert wird. Und die deutschen Hersteller bleiben | |
auf ihren Produkten sitzen. Darin sehe ich keinen Sinn. | |
Also, die Solarförderung kürzen? | |
Auf jeden Fall anders fördern. Das Geld wäre in der Forschung sinnvoller | |
angelegt. In Israel wurde ein Parabolreflektor aus Glas entwickelt, der | |
ohne die knappe Ressource Silizium auskommt. Wir haben viele Solaranlagen, | |
aber es fehlen die Speichertechnologien. Das wären lohnende Investitionen. | |
Erscheint es Ihnen nicht sinnvoll, mit den Subventionen den Anteil von | |
Sonnenstrom in Deutschland zu erhöhen? | |
Es gibt Regionen der Welt, die für die Energieerzeugung mit Solartechnik | |
viel geeigneter sind, Gegenden, in die nie ein Stromnetz reichen wird, wo | |
aber das ganze Jahr die Sonne scheint. Da könnte man mit Sonnenenergie | |
abgelegene Dörfer versorgen. Deutschland könnte sich als Entwicklungs- und | |
Produktionsstandort profilieren, auch wenn die Solarenergie bei uns selbst | |
bisher nur mäßigen Erfolg hat. | |
Und warum sollen diese Länder ihre Solarmodule nicht selbst entwickeln und | |
produzieren? | |
Weil sie es nicht können! | |
Bitterfeld ist als Produktionsstandort für eine Zukunftsbranche wie die | |
Solarindustrie international offenbar nicht wettbewerbsfähig - muss man das | |
dann nicht einfach akzeptieren? | |
Es geht ja nicht nur um Bitterfeld-Wolfen. Man kann nicht den ganzen | |
mitteldeutschen Industrieraum mit hundertjähriger Tradition einfach den | |
Füchsen und Hirschen überlassen. Das hat man mit dem Ruhrgebiet auch nicht | |
gemacht, zu Recht. Ganze Familiendynastien haben in der Film- und | |
Chemieindustrie gearbeitet. Die können nicht alle Förster oder Bademeister | |
werden. | |
6 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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Buch | |
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