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# taz.de -- Comics aus Israel: Die Liebe ist nicht das Schlachtfeld
> Große Gefühle am Rande des Krieges: Die Ausstellung "How to Love" stellt
> aktuelle Zeichenkunst aus Israel vor. Faszinierend sind die Mauern, mit
> denen die Liebe kollidiert.
Bild: Jenseits des Idylls: Ausschnitte aus Yirmi Pinkus' "8:00 to 10:00" (2007).
Die Ausstellung "How to Love" im Basler Cartoon-Museum will eigentlich
Alltagsromanzen und zwischenmenschliche Beziehungen im zeitgenössischen
israelischen Comic zeigen.
In Erinnerung bleiben dem Besucher aber mehr die verstörenden Bilder: ein
Stacheldrahtzaun, ein Maschinengewehr oder auch ein Ausschnitt des mehrfach
preisgekrönten Animationsfilms "Waltz with Bashir" über den Libanonkrieg,
in dem aus einem schwarzen Nachthimmel Lichtgeschosse zeitlupenartig auf
die Hochhäuser von Beirut herabsinken. Diese Bilder treffen den Betrachter
als seltene Überraschungsmomente, sind doch politische Konflikte in der
Ausstellung, welche die Liebe im Titel führt, sonst kaum präsent.
"How to love" hieß bereits eine 2007 veröffentlichte Comic-Sammlung der
Künstlergruppe "Actus Tragicus", auf die sich die Basler Ausstellung
weitgehend bezieht. Zu den Zeichnern, die sich Mitte der 90er Jahre
zusammenfanden, um den zeitgenössischen israelischen Cartoon international
bekannt zu machen, gehören auch David Polonsky und Rutu Modan, deren
Cartoons sich wahrlich nicht nur ums Alltägliche drehen: Modan etwa
veröffentlichte bereits verschiedene Graphic Novels, die sich etwa mit der
Vergangenheit ihrer Warschauer Großmutter und einem Selbstmordattentat in
Tel Aviv befassen. In "How to Love" sind solche Themen aber ausgeklammert.
In den Comics liest man von Liebesschwüren, zarten Berührungen und darf
sich mit den Helden gemeinsam über geplatzte Traumblasen das Herz brechen
lassen. Jedoch – und das scheint die Ausstellung vorzuenthalten – das
unbedarfte Liebes-Techtelmechtel täuscht. So vehement die Liebesgeschichten
nämlich den historischen Kontext ausblenden, so müssen sie doch
unterschwellig von einem restriktiven gesellschaftlichen Umfeld flankiert
bleiben.
2007, als der Sammelband erschien, war auch ein Jahr, in dem erneut blutige
Konflikte zwischen militanten Palästinensern und israelischen Truppen
entbrannten. In Jerusalem starben Passanten bei einer Schießerei zwischen
einem palästinensischen Terroristen und der Polizei. In den Cartoons
erinnert ein Schild mit der Aufschrift "Danger" etwa an den schwelenden
Konflikt mit dem Nachbarland Jordanien in den 1960er Jahren. Und wenn von
den Unruhen in der Nachbarschaft oberflächlich nichts zu spüren ist, dann
liegt das daran, dass die Künstler ihre Figuren hauptsächlich vor der
Kulisse des hippen Tel Aviv agieren lassen.
## Spießig-verkrustete Parallelwelt
Mal gießen sie auf dem biedermeierlichen Reihenhausbalkon ihre Petunien,
mal fläzen sie sich lasziv auf weißen Strandtüchern vor azurblauem Himmel,
um mit flotten Beachball-Spielern zu flirten ("This guy in red shorts is
really hot"). So entfaltet sich vor den Augen des Betrachters auf
selbstironische Weise eine spießig-verkrustete Parallelwelt, die eigentlich
gar nicht dazu fähig scheint, einer schrankenlosen Liebe den nötigen
Freiraum zu gewähren.
Was die Geschichten so faszinierend macht, ist darum das, was man nur auf
den zweiten Blick sieht: die anderen Orte jenseits des Idylls, die Mauern,
mit denen die Liebe kollidiert. Da stiehlt ein Mädchen heimlich einem
Grenzposten einen Stift, um ihrem Klassenschwarm zu imponieren. In Rutu
Modans Beitrag "Exit Wounds" fliegt ein unbekannter Musiker nach Sheffield,
um dort bei einem Auftritt seinen vermeintlich internationalen Durchbruch
zu feiern. Beide Grenzgänger scheitern.
Und beide sind gefangen und befangen in einer plakativen Kunstwelt, die
manchmal Lichtensteinsche Züge annimmt: Es sind einsame Figuren, die um
sich selbst kreisen und mit ihren Gefühlen kämpfen. Nur ist anstelle von
"Maybe" hier schon die Resignation getreten. "I want to go home", sagt das
Mädchen in Yirmi Pinkus "Independence Day" - zu sich selbst. Die Welt
entlarvt sich als synthetische Imagination. Und wie passend: Auf die Bitte,
zu zeigen, welche Dinge sie bei ihren Zeichnungen inspiriert haben,
gestaltete Modan eine Vitrine mit Puppenmodellen. "40 Antonella mod. 4227",
"40 Ariane mod. 4512": Liebe aus dem Versandkatalog.
Die großen Gefühle entlarven sich selbst in den Zeichnungen als Schall und
Rauch, vor einem Hintergrund gravierender politischer Umwälzungen. Dagegen
entwickelt die Art des Arrangements der Basler Ausstellung Liebe einseitig
als Universal-Gefühl, das Menschen über Grenzen und Epochen hinweg
verbindet. Die Figuren von Pinkus und Polonsky kleben als lose Versatzteile
an der Wand, neben Zitaten aus Shakespeares "Romeo und Julia" oder dem
griechischen Ödipus-Mythos.
Erst mit der Filmvorführung von "Waltz wir Bashir" im obersten Stockwerk
des Museums bekommt man eine unsanfte, aber nötige Erinnerung an den
historischen Kontext nachserviert. Das ist nicht stimmig, trifft aber
zumindest eine Behauptung David Polonskys: "Liebe ist eine Art der
Ausflucht" - vielleicht eine Ausflucht aus der Realität.
##
8 Feb 2012
## AUTOREN
Isabel Metzger
## TAGS
Comic
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