# taz.de -- Gesunde Boombranche: Der Inder steht auf Bio | |
> Reiche Inder verlangen erstmals vermehrt nach Bioprodukten. Der schonende | |
> Anbau ist aber auch ohne Biolabel für viele Bauern die einzige | |
> Überlebenschance. | |
Bild: Demnächst Biomarkt? Gemüseverkauf im indischen Ahmedabad. | |
NEU-DEHLI taz | Das Geschäft läuft super. "Was wir im letzten Jahr im | |
ganzen Monat Februar umgesetzt haben, setzen wir in diesem Jahr an drei | |
Tagen um", sagt Ayesha Grewal, stolze Besitzerin eines kleinen Bioladens in | |
Neu-Delhi. | |
Ihr Geschäft liegt versteckt hinter Apotheke, Bank und Tante-Emma-Laden in | |
einem alten, bröckelnden Geschäftskomplex. Doch das Stadtviertel Shanti | |
Niketan mit seinen alten englischen Parks zählt zu den reichsten der | |
riesigen Metropole. | |
Grewals Laden ist nur zehn Quadratmeter groß: drei Regale mit Säften, | |
Marmelade, Nudeln und Getreideprodukten, ein großer Kühlschrank für | |
frisches Gemüse und Fleisch. "Am besten verkauft sich unser selbst | |
hergestellter Apfelsaft und das Gemüse. Aber am meisten verdienen wir mit | |
dem Fleisch", sagt Grewal. | |
Die junge Unternehmerin stammt aus der Landwirtschaft. Ihr Vater arbeitete | |
in der Finanzwirtschaft und kaufte als Investor in den 90er Jahren billig | |
Land auf, das durch Überdüngung und Pestizide unbenutzbar geworden war. | |
Dann stellte er seine Böden über die Jahre auf biologischen Anbau um - und | |
seine Tochter erkannte bald die neuen Geschäftsmöglichkeiten. | |
Vor zwei Jahren eröffnete sie schließlich ihren ersten von inzwischen drei | |
Läden in Neu-Delhi. Dabei dienen die Läden mehr als Lager denn als | |
Verkaufsstelle. Denn die meisten Kunden tragen sich bei Grewal als Mitglied | |
ein, bestellen und lassen ausliefern. Über tausend solche Kunden zählt | |
Grewal, und jede Woche kommen zwanzig neue hinzu. | |
## Großkonzerne auf dem Sprung | |
Bio ist in Indien im Kommen. Noch vor einigen Jahren verkaufte Grewal vor | |
allem aus eigener Herstellung, weil indische Bioprodukte, wo es sie gab, | |
für den Export bestimmt waren. Heute aber kann sie aus über 1.000 | |
Bioprodukten wählen, die auf dem Markt erhältlich sind. | |
Den Trend erkennen auch andere. Pionier der Branche ist der ehemalige | |
Industrielle und Politiker Kamal Morarka, dessen Bioprodukte unter dem | |
Familiennamen Marktführer sind. Derweil testen Großkonzerne wie Reliance | |
und Pepsi gerade, ob sich für sie der Verkauf oder die Verarbeitung von | |
Bioprodukten auszahlen kann. | |
Dabei rechnen die Firmen nicht nur mit den steigenden Ansprüchen der | |
indischen Konsumenten. Es geht auch um das landwirtschaftliche Kalkül. "Die | |
Preise, die Bauern für Samen, Dünger und Pestizide bezahlen müssen, haben | |
sich allein im letzten Jahr verdoppelt. Das ist jetzt ein freier Markt", | |
erklärt Latha Jishnu, Redakteurin des Umweltmagazins Down To Earth. | |
Deshalb gelänge es Lieferfirmen und Nichtregierungsorganisation immer | |
öfter, Bauern zur Umstellung auf den biologischen Anbau zu überreden. "Weil | |
sie ihre Ausgaben drastisch reduzieren können", so Jishnu. Damit | |
bewahrheitet sich heute eine alte Prophezeiung indischer Umweltschützer. | |
Schon in den 80er Jahren sagten einige von ihnen der konventionellen | |
Landwirtschaft ein langes Sterben voraus, weil Indiens Bauern ihre Böden | |
mit Kunstdünger und Pestiziden nachhaltig verdarben. | |
## Günstige Ware für lokale Märkte | |
Unter den Aktivisten von damals befand sich auch der Landwirt Darwan Singh | |
Negi, der seither für das Bionetzwerk Navdanya über 20.000 Bauern im | |
biologischen Anbau unterrichtet hat. Landesweit hat Navdanya bereits eine | |
halbe Million bäuerliche Mitglieder. | |
Die meisten von ihnen praktizieren biologischen Anbau nicht etwa, um | |
zertifizierte Produkte für den Export oder die Reichen herzustellen, wie | |
sie Grewal in Delhi verkauft. Sondern schlicht, um insgesamt billiger für | |
die lokalen Märkte zu produzieren. | |
Negi ist überzeugt, dass bald auch Indiens reichere Reis- und Weizenbauern | |
ihre Böden mit Chemie verbraucht haben. "Indiens Bauern haben keine andere | |
Wahl. Sie kämpfen ums Überleben. Für viele ist der biologische Anbau die | |
einzige Überlebenschance", sagt Negi. Wenn dazu eine neue Konsumnachfrage | |
in den Städten kommt, ist für Indiens Biobauern vielleicht sogar mehr drin | |
als das nackte Überleben. | |
16 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Georg Blume | |
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