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# taz.de -- Bedürftigenküchen in Athen: Auch arm braucht warm
> Bis vor zwei Jahren galt der Athener Stadtteil Glyfada noch als schickes
> Viertel, eine Armenküche gab es nicht. Heute geben Helfer täglich 2.000
> Mahlzeiten aus.
Bild: Landesweit werden laut der griechisch-orthodoxen Kirche derzeit 250.000 w…
ATHEN taz | Es duftet nach gebackenem Gemüse in der Küche der Maria-Kirche
in Glyfada, einem Vorort im Süden Athens. Die vier ehrenamtlichen Köchinnen
haben heute Briam gemacht, eine traditionelle Mahlzeit mit frischen
Auberginen, Zucchini, Möhren und Kartoffeln. Gut gelaunt holen die Frauen
das Essen aus dem Backofen und teilen es in gleich große Portionen auf.
Keiner soll zu kurz kommen.
Es ist die Armenküche der Kirchengemeinde. Wer hierher findet, hat nicht
einmal Geld fürs Nötigste. Um punkt 12 Uhr wird das Essen serviert. Zafiro
Zigoura schiebt den Wagen mit den Speisen durch einen Gang in den
Essensraum. Die 52-jährige Frau mit den kurzen Haaren und gepflegtem
Äußeren hilft hier drei Stunden täglich aus.
"Es ist ein unbeschreibliches Gefühl", sagt sie und lächelt. "Mit unserer
Arbeit geben wir diesen Menschen Freude, und das macht uns sehr glücklich!
Sie bekommen von uns eine warme Mahlzeit und geben uns ihre Dankbarkeit. Es
ist ein Geben und Nehmen!"
Und die Freude ist nicht zu übersehen. Als Zafiro Zigoura die Teller in den
Essensraum schiebt, erhellen sich die Gesichter der Wartenden. Es sind rund
zwanzig Männer und Frauen, der jüngste ist vierzig Jahre alt. Man sieht
ihnen die Armut an der alten Kleidung und am ungepflegten Äußeren an. Die
meisten kommen täglich.
Als schon alle einen Teller vor sich haben, kommt der Pfarrer der Gemeinde,
Vater Konstantinos Vartholomeos herein. Er trägt das lange schwarze Gewand
der orthodoxen Pfarrer und einen langen Bart. Er wird herzlich begrüßt, die
Gäste stehen auf. "Lasst uns beten", sagt der orthodoxe Geistliche und
fängt mit dem Vaterunser an. Danach wünscht er noch einen guten Appetit und
verlässt den Raum. "Einigen ist es unangenehm, dass sie hier sind", erklärt
er. "Deshalb lassen wir sie in Ruhe essen. Sie sind dann unter sich und
fühlen sich wohler. Wenn sie fertig sind, gehen wir rein und räumen auf."
## Geschlossene Läden und leerstehende Vitrinen
Noch vor wenigen Jahren hätte sich Vater Konstantinos nicht vorstellen
können, dass es in seiner Kirchengemeinde Menschen geben würde, die sich
nicht einmal eine warme Mahlzeit leisten können. "Vor zwei Jahren gab es
hier in Glyfada nicht einmal eine Armenküche. Heute geben wir allein in den
Kirchen unseres Stadtteils 2.000 Mahlzeiten täglich aus."
Glyfada galt immer als schickes Viertel im Süden der Stadt, mit zahlreichen
Geschäften, Cafés und Bars. Seine Einwohner waren vor allem Menschen mit
guten Jobs und hohem Einkommen. Das war einmal. Wer jetzt einen Spaziergang
durch die Einkaufsstraßen macht, sieht geschlossene Läden und leer stehende
Vitrinen. Die Krise hat auch hier nicht haltgemacht.
Seit einem Jahr sei es besonders heftig, sagt Vater Konstantinos. "Stellen
Sie sich Familien vor, in denen beide Elternteile arbeitslos sind. Wie
sollen diese Menschen über die Runden kommen, ihre Strom- und Mietkosten
zahlen? Wir haben fünf solche Familien in unserer Kirchengemeinde. Sie
haben kleine Kinder und absolut kein Einkommen. Diesen Familien bringen wir
das Essen nach Hause, und wir versuchen ihnen auch bei den Strom- und
Mietkosten unter die Arme zu greifen."
An einem Tisch sitzt die Rentnerin Maria*. Sie trägt schwarze
Trauerkleidung und unterhält sich mit ihren Tischnachbarinnen. "Die
Helferinnen hier kochen köstlich!", schwärmt sie. Mal gibt es Gemüse, mal
Fleisch oder Fisch. Maria wohnt zusammen mit ihrem arbeitslosen Sohn. Beide
müssen mit ihrer kleinen Rente in Höhe von vierhundert Euro leben. Ihr
zweiter Sohn wurde vor einem Jahr bei einem Raubüberfall ermordet. Die
Trauerkleidung wird sie nie wieder ablegen. "Ich mache mein persönliches
Drama durch. Und noch dazu reicht meine Rente hinten und vorne nicht. Hier
bekomme ich wenigstens eine warme Mahlzeit am Tag."
## Neue Freundschaften
Doch für Maria ist der Besuch der Armenküche mehr als das. Dadurch, dass
die meisten Besucher täglich kommen, hat sie neue Freundschaften
geschlossen. Sie freue sich jeden Tag aufs Neue, bekannte Gesichter zu
sehen, sagt sie. "Alle, die hier sitzen, haben ihre Probleme: Der eine ist
arbeitslos, der andere bekommt seit Langem keinen Lohn mehr. Ich habe eine
so kleine Rente. Wir treffen uns hier, essen und reden darüber und dann
geht es uns viel besser!" Sie lächelt.
Einen Tisch weiter sitzt Giorgos, ein großer Mann mit grauen Haaren und
dicker Brille. Auch er ist auf die tägliche warme Gratis-Mahlzeit
angewiesen. Trotzdem hat es ihn anfangs große Überwindung gekostet, hierher
zu kommen. "Ich bin arbeitslos, wohne mit meiner kranken Mutter zusammen.
Als ich zum ersten Mal hier war, habe ich mich geschämt. Jetzt habe ich
mich daran gewöhnt, wir sind wie eine Familie."
An Giorgos Tisch sitzen nur Männer. Alle sind zwischen vierzig und fünfzig
Jahre alt. In diesem Alter gäbe es die meisten Bedürftigen, sagt Pater
Konstantinos: "Nur rund zehn Prozent der Menschen, die zu uns kommen, sind
wirklich Alte. Die meisten sind zwischen vierzig und fünfundfünfzig. Es
sind Menschen, die durch die Krise ihre Arbeit verloren haben. So sind sie
in die Armut gerutscht."
In Griechenland bekommen Arbeitslose nur ein Jahr lang finanzielle
Unterstützung vom Staat: eine Pauschale in Höhe von 461 Euro, unabhängig
vom zuvor bezogenen Gehalt - danach nichts mehr. Mit dem neuen Sparpaket
wird auch diese Pauschale sinken. "Das wird zu noch mehr Armut und
Verzweiflung führen", befürchtet Pater Konstantinos. Und es werden mehr
Menschen auf die Armenküchen angewiesen sein. Nach Angaben der
Griechisch-Orthodoxen Kirche werden mittlerweile landesweit rund 250.000
warme Mahlzeiten am Tag verteilt.
## Die Leute bringen Lebensmittel
Damit die Kirchen alle Bedürftigen mit Essen versorgen können, sind sie auf
Spenden angewiesen. Seit Beginn der Krise sei die Spendenbereitschaft der
Bevölkerung enorm angestiegen, sagt Vater Konstantinos. "Die Leute kaufen
Lebensmittel und bringen sie vorbei. Geld zu spenden fällt ihnen schwerer,
das brauchen sie selber. Aber sie helfen mit den Sachen, die sie uns
bringen."
Durch die Initiative "Oli mazi borume" - was so viel heißt wie "Alle
zusammen können wir es schaffen" - kann man seit Dezember Lebensmittel im
Supermarkt kaufen und sie dort direkt für die kirchlichen Armenküchen
abgeben. Die Resonanz sei überwältigend, sagt Panagiotis Kapogiannatos,
Leiter einer Supermarktfiliale im angrenzenden Stadtteil Elliniko, in der
Nähe des alten Athener Flughafens.
"Nur in dieser Filiale haben wir innerhalb von drei Wochen mehr als 500
große Kästen gesammelt. Die Leute kaufen vor allem Bohnen, Nudeln, Säfte,
H-Milch, also vor allem haltbare Lebensmittel und deponieren sie in diesem
Kasten hier. Alle zwei bis drei Tage kommt jemand von der Kirche und leert
die Container mit den gespendeten Lebensmitteln." Viele Kunden gingen
direkt auf die Supermarktangestellten zu und fragten, wo sie die
Lebensmittel hinterlassen können. "Und es kommen auch viele mit ihren
eigenen Produkten, zum Beispiel Gemüse- oder Olivenbauer, und bitten uns,
ihr Gemüse oder das Olivenöl der Kirche zu geben! Die Solidarität ist
wirklich sehr groß."
Dabei haben auch Spender oft nur so viel, dass sie gerade selbst so eben
über die Runden kommen. So wie Anastasia Nassi. Die dunkelhaarige Frau
steht an der Kasse an. In ihrem Einkaufskorb liegt auch eine Packung
Spaghetti für die Armen: "Wer kann, soll mitmachen. Ich finde diese
Initiative großartig!" Dabei hat auch sie nicht viel. Seit einem Jahr ist
sie arbeitslos und muss sparen, wo sie nur kann. "Es ist nicht leicht, in
so einer Situation anderen zu helfen, aber es gibt Menschen, die noch
bedürftiger sind als wir, die nicht einmal was zu essen haben. Da können
wir doch nicht tatenlos zusehen!"
## Große Spendebereitschaft
Nicht tatenlos zusehen kann auch die Familie Karavasilis. Mutter Dimitra,
Vater Kostas und ihre zwei kleinen Kinder erledigen gerade ihren
Wocheneinkauf. Auch sie haben schon häufig Lebensmittel gespendet. "Vor
allem Reis, Nudeln und Linsen. Jeder muss jetzt seinen Beitrag leisten",
sagt Kostas, ein studierter Informatiker, mit entschlossener Stimme.
Die Familie ist davon überzeugt, dass auch kleine Gesten eine große Wirkung
haben können. Mutter Dimitra: "Es ist nicht schwer, mitzumachen. Auch wenn
man nur ein oder zwei Sachen kauft, hilft man. Man braucht gar nicht ganze
Tüten mit Lebensmitteln zu kaufen. Wenn jeder spendet, kommt genug
zusammen."
Und tatsächlich: Innerhalb weniger Wochen sind auf diese Weise hunderte
Tonnen Lebensmittel für die Armenküchen der Kirchen zusammengekommen,
bestätigt das Bistum Athen. Für die Bedürftigen des Landes sind solche
Aktionen die Garantie dafür, dass sie auch weiterhin täglich eine warme
Mahlzeit zu sich nehmen können. Und sie geben auch die Gewissheit, dass sie
nicht alleine sind im Kampf ums Überleben. So auch für diejenigen, die in
der Armenküche der Kirche der Heiligen Maria essen.
* Name geändert
16 Feb 2012
## TAGS
Griechenland
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