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# taz.de -- New Yorker Chronist der Occupy-Bewegung: "Ich habe nie im Park gesc…
> Der Literaturwissenschaftler Mark Greif war von Anfang an Begleiter der
> Occupy-Bewegung in den USA. Warum dort jeder willkommen ist, erklärt er
> im Interview.
Bild: Demonstrieren für das bessere Leben: Besetzer im New Yorker Zucotti-Park
tazlab: Mark Greif, Sie haben das Occupy-Camp in Hamburg besucht - und es
war nicht viel los. Glauben Sie, dass es eine Zukunft für die Idee von
"Occupy Wall Street" gibt?
Mark Greif: Ich hoffe es. In New York hat es inzwischen
Wiederbesetzungsversuche, Proteste und erfolgreiche Bemühungen gegeben,
obdachlose Familien in zwangsvollstreckten Häusern unterzubringen.
Allerdings kann niemand wissen, ob die Bewegung tatsächlich wieder die
Massenbewegung wird, die sie für ein paar Monate war. Alle hoffen
natürlich, dass mit dem warmen Wetter auch viele Menschen zurückkehren. Ich
glaube nicht, dass sich die Missstände verändert haben, die die Menschen
auf die Straße gebracht haben.
Sie werden als Chronist der Occupy-Bewegung bezeichnet. Sehen Sie sich
selbst als Teil der Bewegung?
In gewisser Weise stehe ich abseits. Ich habe nie im Park geschlafen. Ich
war tagsüber da und bin zu Protestmärschen gegangen, aber als Herausgeber
der Gazette, unserer Gratiszeitung, die wir dort verteilt haben, sahen wir
unsere Aufgabe im Sammeln von Geschichten der Beteiligten. Ich würde aber
gerne noch einmal zurückgehen als jemand, der aus so einer Bewegung eine
Massenbewegung macht.
Sie haben OWS von Beginn an als Beobachter mit der Gazette begleitet. Haben
sich Ihre Gefühle gegenüber OWS während dieser Zeit verändert?
OWS hat mir immer wieder gezeigt, wie falsch ich liege. Wir alle spüren die
historischen Nachwirkungen von Achtundsechzig. Das Erbe der Sechziger und
Siebziger waren Warnungen, wie eine linke Bewegung nicht funktionieren
kann: Ihr müsst pragmatisch und verantwortungsvoll sein, ihr müsst mit
Spaltung rechnen und sehr deutlich sein. All diese Ratschläge haben sich
nicht bewahrheitet. Ich bin anarchistischen Strömungen gegenüber
wohlwollender geworden. Es war nämlich gerade die Weigerung, deutlich zu
sein, die das Ganze hat passieren lassen.
Als Sie mit den Leuten von Occupy in Hamburg sprachen: Gab es Unterschiede
zu denen in den USA?
Die Fragen der Besetzer selber waren vor allem philosophischer Natur. Ist
die Bewegung international oder lokal, reformistisch oder revolutionär?
Dann meldete sich eine Gruppe junger Männer. Sie fragten mich, ob ich
jemals im Park geschlafen hätte. Wenn nicht, dann dürfe ich ihrer Meinung
nach auch nicht über Occupy reden. Schließlich luden sie mich ein, im
Occupy-Camp in Hamburg zu übernachten. Als ich später dort ankam, schliefen
alle längst, und ich ging nach Hause. Es stellt sich echt die Frage, was
eine Bewegung bedeutet, wenn es Beteiligte gibt, die alles organisieren,
und solche, die kommen und gehen.
Haben Sie im Zuccotti Park von Manhattan jemals diese Spaltung bemerkt?
Nein. Und das ist ein echter Erfolg. Dadurch unterscheidet sich Occupy von
anderen politischen Organisationen. Dieses Authentizitätskriterium gibt es
nicht. Es scheint selbstverständlich auch die willkommen zu heißen, die nur
kurz dabei sind. Das sind genau die Leute, die sonst nicht auftauchen, die
eine Massenbewegung ausmachen. Die Spießbürger, die kein politisches
Bezugssystem haben, aber die sich um ihre Hypothek und ihre
Krankenversicherung sorgen. Allerdings hat sich das geändert, sobald der
Park geräumt wurde. Ich erinnere mich an einen Fall, wo einer der
Beteiligten auf einer Generalversammlung sagte, dass diejenigen, die schon
vorher da gewesen sind, und diejenigen, die im Park geschlafen haben, an
der Generalversammlung teilnehmen sollten, während die neuen auf die
Taschen aufpassen sollten, die man nicht mehr in den Park mitnehmen durfte.
Das war das erste Mal, dass ich eine Spaltung erkannte. Seit der Räumung
des Parks wurde viel Kraft darauf verwendet, eine Solidarität
aufrechtzuerhalten, die einfach vorhanden war, als es noch einen physischen
Ort gab.
Auch wenn OWS keine offiziellen Sprecher hat, gibt es doch einige Leute,
die hervorstechen. Wo aber sind die Frauen?
Es ist überraschend und beunruhigend, dass die Frauen nicht sichtbar sind.
Es ist doch gerade der Teil der aktiven Linken, der sich um die
Diskussionsstrategien kümmert, der vom Feminismus geprägt ist. Es gab
natürlich viele Diskussionen im Park darüber, warum Männer so viel
sichtbarer sind. Im Scherz wurden die Anarchisten gar Mannarchisten
genannt. Und auch im Park waren es sehr oft weiße Männer, die das Wort
führten.
In einer seiner Reden im Zuccotti Park sagt der bekannte Philosoph Slavoj
Zizek: "We know what we dont want, but what do we want?" Hat die
Occupy-Bewegung keine klaren Forderungen?
Wenn ich nicht für den harten Kern der Organisatoren spreche, sondern für
die anderen, die tatsächlich durch den Protest aktiviert worden sind: Für
sie gab es schon vom ersten Tag an klare Ziele und Forderungen. Es ist
komisch, denn es war ja eine philosophische Entscheidung, die zu diesem
Modell "ohne Forderungen" geführt hatte. Und diese Idee kam sehr stark aus
dem anarchistischen Flügel der Gemeinschaft. Zu dem Zeitpunkt dachte ich
noch, das wäre eine schreckliche Idee. Aber ich lag falsch. Es war
strategisch eine brillante Idee: Leute, die sich sonst zerstritten hätten,
kamen wunderbar miteinander aus.
17 Feb 2012
## AUTOREN
Mareike Barmeyer
## TAGS
tazlab 2012: „Das gute Leben“
Donald Trump
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
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