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# taz.de -- Sportheld der DDR und Dopinggegner: Einfach immer noch ein Ossi
> Hans-Georg Aschenbach ist gegen Doping. Früher war der Skispringer selbst
> gedopt. Sein Gold habe er sich trotzdem verdient, sagt der Olympiasieger
> von 1976.
Bild: Sportheld der DDR: Hans-Georg Aschenbach 1975 in Oberstdorf.
Zwölf Jahre habe er auf seine Fliesen gewartet. Das ist so ziemlich das
Erste, was Hans-Georg Aschenbach sagt. Und vierzehn Jahre auf den Wartburg.
Nach seinem Olympiasieg sei das zweite Auto dann aber ganz schnell
gekommen.
Aschenbach sitzt am Empfang seiner Arztpraxis in einem Freiburger Vorort.
Er trägt weiße Berufskluft und redigiert gerade einen Brief an Thomas Bach,
den höchsten deutschen Sportfunktionär. Es ist ein Appell gegen eine
Kriminalisierung von Sportärzten im Zusammenhang mit Doping.
Er ist selbst Sportarzt und gegen Doping. Aber er hat den Eindruck, dass es
mal wieder die Falschen trifft.
Als Mannschaftsarzt des Skisprungteams war er im Sommer 1988 nach einem
Westaufenthalt nicht in die DDR zurückgekehrt. Die Nomenklatura war
geschockt. Schließlich war er der Aschenbach. Skisprung-Olympiasieger 1976.
Ein hochdekorierter Held, nun Sport- und Parteifunktionär im Rang eines
Oberstleutnants. Katastrophe. Aschenbach war – Fußballer mal beiseite – der
Prominenteste von über 600 DDR-Sportlern, die in den Westen flohen. Und der
ranghöchste NVA-Offizier.
Als er im letzten Jahr erstmals an seinen damaligen Wohnort Suhl
zurückkehrte – zusammen mit der Nachbarstadt Zella-Mehlis das Zentrum des
DDR-Skispringens –, war der Veranstaltungsraum gestopft voll. Hunderte
mussten draußen bleiben.
## "Unser Hansi"
Als Erstes kam eine frühere Spitzensportlerin und Wegbegleiterin auf die
Bühne, nahm das Mikro, stellte sich neben ihn und sagte: „Unser Hansi. Wie
konntest du uns das antun? Du warst doch unser Vorbild.“
Sie wollte gar nicht mehr aufhören, offenbar hatte sie zwei Jahrzehnte auf
diesen Tag gewartet. Andere brummten: „Dabei hattest du doch alles, Hansi.“
Nachdem er das erzählt hat, lacht Aschenbach auf. Nicht bitter. Aber
fröhlich nun auch nicht gerade.
„Nichts hatte ich“, sagt er dann. Pause. „Weil ich mich nicht hatte.“
## Immer noch Verräter
Er sitzt jetzt im Behandlungszimmer in seinem Arztstuhl. Spricht ein stark
vom Idiom des Thüringer Waldes eingefärbtes Deutsch. Das harte R dieser
Mundart passt zu ihm.
Er ist letzten Oktober 60 geworden, die Sache liegt lange zurück, und
dennoch halten ihn viele seiner ehemaligen Freunde und Kollegen immer noch
für den „Verräter“ und „Lügner“, als den ihn der Scharfrichter Volke…
damals in der jungen welt aburteilte.
Der Staat, Heimat, Freunde, erste Frau und zwei Kinder im Stich ließ. Sie
haben ihm damals die Ehrenbürgerschaft von Suhl entzogen; wegen Verrats.
Vier Jahre vor Adolf Hitler. Der wurde erst 1992 verstoßen.
Den Titel hat er bis heute nicht zurück. Obwohl die Geschichte ihn doch
bestätigt habe. Außerdem, sagt Aschenbach, habe er mit dem Abschied von der
DDR nicht andere verraten, sondern „den Verrat an mir selbst beendet“.
## Der Zweitgeborene
Das ist sein Entwurf seines Lebens, den er in der Autobiografie „Euer Held.
Euer Verräter“ präsentiert, die gerade erschienen ist: Aufgewachsen in
Brotterode im Thüringer Wald. Familie eh schon arm, aber er auch noch der
zweitgeborene Sohn. Heißt: Das Wenige, was er kriegt, kriegt er auch noch
gebraucht.
Skispringen ist seine Chance. Irgendwann lebt er parallel in zwei Welten.
Erkämpft sich in der offiziellen Welt eine Identität als maximal
erfolgreicher Sportler, um innerhalb der Unfreiheit des Sozialismus so viel
Freiheit wie möglich zu haben. Der Plan gelingt und scheitert dennoch: Sein
Käfig, sagt er, sei zwar golden gewesen, aber vor allem ein Käfig.
Aschenbachs Autobiografie mag viele Fragen offen- und einiges weglassen.
Dennoch kriegt man selten einen dermaßen ungeschminkten
biografisch-psychologischen Blick auf den Hochleistungssport.
## Gnadenlose Kamaraden
Vieles bei Aschenbach ist persönliche Aufarbeitung des DDR-Sportsystems
inklusive Kinderdoping, aber vieles geht darüber hinaus: Der gnadenlose
Konkurrenzkampf, gerade unter „Kameraden“, die permanente Angst vor dem
Verlieren und damit dem Statusverlust, der Missbrauch von Sporthelden durch
politische Systeme, die strategische Verklärung des Sports.
Hochleistungssport nach Aschenbach taugt allenfalls zur Propagierung eines
gnadenlosen Darwinismus und Ellbogenkapitalismus.
Vor seinem größten und wichtigsten Wettbewerb, er war erst ganz am Ende des
1. Durchgangs dran, ließ er einen Arbeiter auf der Plattform der
Innsbrucker Bergiselschanze Schnee verteilen.
Da zieht man eigentlich nur die Skier an. Aber Aschenbach nahm die
Plattform als verlängerten Schwungweg, erhöhte so seine
Anlaufgeschwindigkeit, machte den mit Abstand weitesten Satz – und wurde
Olympiasieger. „War Risiko, ich hätte auch stolpern können. Aber so habe
ich mir einen Vorteil verschafft.“
War das fair? “ Das ist egal. Fair gibt es nicht im Sport. Es gibt nur
Sieg.“
## Koffer mit Geld
Das stimmt. Aber es will keiner hören. „Tja“, sagt Aschenbach. Es klingt
wie: Deshalb sage ich es.
Aschenbach gilt als schwierig, als Einzelgänger. Einer nennt ihn einen
„Slalom-Argumentierer“. Tatsächlich kann er sich aufregen, wie „mafiös�…
DDR war, die einen Mann mit Geldkoffer ausschickte, der erfolgreichen
Staatsamateuren 15.000 Mark in die Hand drückte, „ohne Quittung“. In der
nächsten Sekunde sagt er: „Der hätte ruhig öfter kommen können.“
Obwohl er in permanenter Angst vor Exekution durch die Stasi lebte, hat er
schon im Sommer 1989 das flächendeckende Staatsdoping der DDR öffentlich
gemacht. Was aber im Westen keiner wirklich wissen wollte.
Andererseits hat er sich nicht gemeldet, als Anfang des Jahrtausends Zeugen
für die großen Dopingprozesse gesucht wurden. „Er hat nicht gelogen wie
andere, aber er hat sich auch nicht besonders hervorgetan, als es etwas
gezählt hätte“, sagt der Heidelberger Professor Werner Franke, Deutschlands
wichtigster Dopingaufklärer.
## Die alten Freunde – Stasispitzel
Tatsächlich fragt man sich zunächst, warum er eigentlich jetzt mit seinem
Buch kommt. Weil seine Frau Regina sagte, er müsse sich endlich der
Vergangenheit stellen. Es ist seine zweite Frau, eine Westdeutsche, die er
Anfang der 90er als Patientin kennengelernt hat. „Das beschäftigt dich
immer noch“, sagte sie im letzten Jahr, „du bist einfach immer noch ein
Ossi.“
Daraufhin fuhr er nach Suhl, um die alten Feinde zu treffen, las endlich
seine Stasi-Akte und sah, dass praktisch alle seine damaligen Freunde
Spitzel waren. Bald darauf entstand das Buch.
Im Grunde, sagt er, rechne er aber nicht mit dem System ab, sondern mit
sich. Und das mit dem Ossi stimme. Er merke auch heute noch, wie sehr er
durch Kindergarten, Thälmann-Pioniere, FDJ und SED geprägt sei.
Er floh, weil er sich nicht mehr alles befehlen lassen wollte. Aber als er
dann im Westen war und seine Frau sagte, er solle sich selbständig machen,
da fiel ihm das unheimlich schwer.
Ist er ein Sieger?
Ja, bin ich, sagt er.
## Sein größter Sieg
Er spricht jetzt in buddhistischen Termini. Es läuft darauf hinaus, dass er
sich endlich selbst gefunden zu haben glaubt, dass er nicht mehr „uneins“
mit sich ist. Das sei sein größer Sieg, viel wichtiger als der bei Olympia.
Andererseits ist es ihm doch so wichtig, dass er ihn nicht hergeben würde.
Im Gegensatz zur verbreiteten Argumentation unter DDR-Sporthelden, dass sie
die ungedopte Ausnahme vom Staatsplan 14.25 waren, sagt Aschenbach, dass er
gedopt war beziehungsweise wurde. Und dennoch verdienter Olympiasieger sei.
Zum einen erklärt er die Anabolikakuren mit synthetischen Sexualhormonen –
Oral Turinabol aus Jena – für kontraproduktiv („Ich wurde schlechter“).
Außerdem habe er das Gold gegen den Staat gewonnen, der ihn zum Doping
zwang. Und als dessen Paradeathlet er auftrat.
Der Österreicher Toni Innauer erinnert sich, wie Aschenbach sich mal
geweigert habe, ein TV-Interview zu geben, weil eine Coca-Cola-Flasche im
Bild war.
## Sportjuristisch verjährt
Innauer, auch Olympiasieger, war einer der größten Konkurrenten
Aschenbachs. Es gab ja zu der Zeit nur DDR und Österreich. Heute ist er
Sportphilosoph und ZDF-Experte und spricht am Telefon mit großer
Anerkennung vom Athleten Aschenbach und wie er sich „als Mensch und
komplexer Denker weiterentwickelt hat“.
Er sagt auch, dass alles sportjuristisch verjährt sei, er andere Dinge an
Aschenbach viel interessanter finde und nicht ausschließe, dass der es auch
ohne Doping geschafft hätte. Trotzdem: „Für mich ist der wahre
Olympiasieger Karl Schnabl.“ Der Österreicher wurde hinter den
DDR-Sportlern Aschenbach und Danneberg Dritter.
## Richter in eigener Sache
Letztlich, so sieht es aber Aschenbach, würde eine Rückgabe nur das perfide
System des DDR-Sports bestätigen, in dem immer nur der Athlet Schuld bekam,
aber nie die verantwortlichen Funktionäre. Sein Gold ist sein Gold. Und
kein DDR-Gold. Und er ist der einzige Richter, der darüber zu urteilen hat.
Es ist dunkel geworden im Behandlungszimmer. Nur eine Tischlampe brennt.
Ihr minimales Licht lässt Aschenbachs Konturen noch härter erscheinen.
„Meine Frau sagt: ’Du hast denen brillant den Sack vollgelogen. Das kannst
du perfekt.‘ “ Und dann sagte sie ihm noch: „Aber belüg mich nie, denn i…
erkenne dich, Bursche.“ Aschenbach lacht. Es klingt, als habe er genau das
gesucht. Jemanden, der ihn erkennt.
28 Feb 2012
## AUTOREN
Peter Unfried
Peter Unfried
## TAGS
Skispringen
Doping
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