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# taz.de -- Biathlonvermarktung im Fernsehen: Bauernschläue und Pragmatismus
> Keine andere Wintersportart ist eine so innige Symbiose mit dem Fernsehen
> eingegangen. Die Quoten stimmen, über sechs Millionen Deutsche werden die
> WM verfolgen.
Bild: Biathlonweltmeisterschaft 2011: Christoph Sumann mit Elch.
BERLIN taz | Christoph Sumann geizt nicht mit Superlativen. „Ruhpolding
wird definitiv das Größte, was Biathlon bisher gesehen hat“, sagt der
österreichische Biathlet. Die WM in den Chiemgauer Alpen beginnt am
Donnerstag mit dem Rennen der Mixed-Staffeln.
Täglich werden bis zu 30.000 Fans an der Strecke und am Schießstand
erwartet. Die Tickets sind so gut wie ausverkauft. Das Fernsehen überträgt
alle Rennen live, neuerdings sogar das Anschießen der Biathleten (ZDF,
14.15 Uhr).
Dass nun schon das Aufwärmprogramm der Zweikämpfer über den Fernseher
flimmert, ist nur konsequent, denn keine andere Wintersportart ist eine
derart innige Symbiose mit dem Fernsehen eingegangen. Die
Biathlon-Funktionäre haben in einer Mischung aus älplerischer Bauernschläue
und pfundigem Pragmatismus die Zeichen der Zeit früh erkannt und den
TV-Machern fast jeden Wunsch von den Lippen abgelesen.
Die Innovationskraft des Biathlon-Sports war enorm. In Ruhpolding darf in
den kommenden Tagen das Endprodukt der medialen Biathlon-Ausgestaltung
bewundert werden. Dafür hat das ZDF, unterstützt von der ARD, als
sogenannter „Host Broadcaster“ Dutzende von Kameras in Stellung gebracht,
darunter eine Spidercam, Krankameras und ein Hochgeschwindigkeitsobjektiv,
das 600 Bilder pro Sekunde schießt. Damit können die in Deutschland so
reichlich vorhandenen Biathlon-Fans verfolgen, wie das
5,62-Millimeter-Projektil an die Scheibe ploppt.
Es steht jetzt schon fest, dass die Quoten hervorragend sein werden,
sicherlich noch besser als bei der Biathlon-WM im Vorjahr, als die
sportlichen Erben der Militärpatrouillenläufer im russischen Chanty Mansisk
auf Scheibenjagd gingen; seinerzeit erreichten die Anstalten bisweilen
einen Marktanteil von über 30 Prozent. Jetzt sollen in der Spitze über
sechs Millionen Deutsche ihrer Lieblingsbiathletin Magdalena Neuner beim
Gewinnen zuschauen. Sie hört nach dieser Saison auf. Es sollen ihre
Festspiele werden.
## Randsportart erster Güte
Ruhpolding ist ein Biathlon-Standort mit Tradition. Schon 1979 fand hier
eine Weltmeisterschaft der Skijäger statt. Der Sport hatte damals gerade
erst von Großkaliber- auf Kleinkalibergewehr umgestellt, die Scheiben waren
nicht mehr 100 Meter und mehr vom Schützen entfernt, sondern nur noch 50.
Nur drei Wettbewerbe wurden ausgetragen: 10 km, 20 km und die Staffel.
Frauen waren damals nicht am Start. Die DDR gewann alle drei Goldmedaillen
in Ruhpolding. Allenfalls 1.000 Zuschauer sahen zu, wie die Gewehrträger im
Wald verschwanden und irgendwann wieder am Schießstand auftauchten. Damals
war Biathlon noch kein mediales Dienstleistungsunternehmen, nein, Biathlon
war eine Randsportart erster Güte, doch das sollte sich alsbald ändern.
Welchen Weg der Zweikampf einmal gehen würde, war bei der zweiten
Ruhpoldinger WM schon zu erahnen. Frauen durften diesmal mitmachen, auch
wenn sie zeitversetzt und im Rahmen der Junioren-WM antreten mussten. Die
DDR-Athleten und die Russen waren immer noch führend, aber die Konkurrenz
hatte aufgeholt.
Es entwickelte sich in der Loipe so etwas wie ein Wettstreit der
politischen Blöcke. Es waren Bundesdeutsche wie Herbert Fritzenwenger oder
Peter Angerer, die die Scharfschützen aus Oberhof zu übertrumpfen
versuchten. Auch an der Dopingfront wurde Chancengleichheit hergestellt.
Kein Wunder also, dass Wessi Angerer 1987 positiv getestet wurde.
## Hauptkriterium: Massentauglichkeit
Das nächste Championat im Chiemgau stieg 1996. Zu den herkömmlichen
Wettbewerben war ein Teamlauf hinzugekommen. Man ging zu viert auf die
Strecke; es waren vier Schießprüfungen zu absolvieren, wobei jeweils nur
ein Athlet schießen durfte. Biathlon befand sich in der frühen
Innovationsphase.
Funktionäre und TV-Redakteure überlegten gemeinsam, wie man die
Attraktivität steigern könnte. Hauptkriterium: Massentauglichkeit. Der
Teamwettbewerb kam nicht an und wurde gestrichen. Dafür wurden ein
Verfolgungs- und ein Massenstartrennen erfunden. Später kam noch die
Mixed-Staffel dazu.
Der Verband schickte seine Sportler außerdem in eine Fußballarena auf
Schalke, wo sich Biathlon als Indoor-Variante etabliert hat. Rennen finden
neuerdings auch unter Flutlicht und Leuchtballons statt. Schießzeiten,
Puls, Laufzeit und Trefferbild – all das wird nicht nur in der
Trainersitzung aufgearbeitet, sondern live vor einem Millionenpublikum, das
auf diese Art der Transparenz steht.
Doch wie ausgereizt ist der Sport? Wie lange lässt sich das Spiel noch
treiben? Das entscheidet einzig und allein die Quote. Und die ist gut.
Noch.
1 Mar 2012
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Biathlon
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