# taz.de -- Schülerproteste in Spanien: „Die Situation ist unerträglich“ | |
> In ganz Spanien streiken Schüler und Studenten gegen die schlechten | |
> Bedingungen im Bildungssystem. Alberto Ordoñez, einer der Sprecher, über | |
> den Ursprung der Proteste. | |
Bild: Die Polizei greift hart durch bei den Schülerprotesten in Spanien. | |
taz: Herr Ordoñez, überall in Spanien wird im Bildungsbereich gespart. | |
Warum kam es jetzt ausgerechnet in der Region Valencia zu den ersten, | |
großen Protesten? | |
Alberto Ordoñez: In Valencia mobilisieren wir schon seit langem für ein | |
gutes, staatliches Schulsystem. Die Sitaution hier ist unerträglich. An | |
vielen Schulen funktionieren die Heizungen nicht. Der Strom wird | |
abgeschaltet. Es gibt kein Geld für Fotokopien, nicht einmal bei den | |
Klassenarbeiten. Wenn ein Lehrer krank wird, kommt keine Vertretung, es | |
werden Stellen abgebaut. Es ist nicht etwa so, dass die Gelder für den | |
Schulbetrieb gekürzt wurden, die Schulverwaltung überweist das Geld für den | |
Schulbetrieb einfach nicht. Die Landesregierung fördert vor allem private | |
Einrichtungen. So werden zum Beispiel Grundstücke, die in Bebauungsplänen | |
für staatliche Schulen ausgeschrieben waren, privaten Universitäten und | |
Schulen überlassen. | |
Also sieht es an den Privatschulen besser aus? | |
Die Privatschulen haben ebenfalls Probleme. Auch sie warten oft vergebens | |
auf die Überweisungen aus der Schulbehörde. Doch dort mischen wir uns nicht | |
ein. Wir sind für ein staatliches Schulsystem. Privatschulen sind | |
Unternehmen, die mit der Bildung Geschäfte machen. Es kann doch nicht sein, | |
dass der Staat Privatschulen bezahlt, auf die die Schüler dann kostenlos | |
gehen können. Wir verlangen, dass alle Schulen direkt der Schulbehörde | |
unterstellt werden. | |
Valencia war für den heutigen konservativen Ministerpräsidenten Mariano | |
Rajoy jahrelang das Beispiel für gute Verwaltung, Wachstum und Fortschritt. | |
Wie passt das mit dem zusammen, was Sie erzählen? | |
Das Bild Valencias hat mit der Realität nichts zu tun. Während es in den | |
Schulen an allem fehlt, investiert die Landesregierung der Partido Popular | |
(PP) Millionen, um die Formel 1 hierher zu bringen oder für die | |
Segelregatta Americans Cup. Auch in anderen Bereichen wird gespart. Künftig | |
müssen wir beim Arztbesuch zuzahlen. Dabei war eine der wichtigsten | |
Errungenschaften Spaniens die kostenlose ärztliche Versorgung für alle. Die | |
Landesregierung macht für einige wenige Politik. Die arbeitende | |
Bevölkerung, die jeden Tag um sechs Uhr aufsteht, und deren Kinder | |
profitieren ganz sicher weder von der Formel 1 noch vom Amerikas Cup. | |
Formel 1, Americans Cup, neue Flughäfen, riesige Bauprojekte ... Valencia | |
macht gerade in diesem Zusammenhang immer wieder durch Korruptionsfälle | |
Schlagzeilen. | |
Leider haben wir dank der Korruption traurige Berühmtheit erlangt, weit | |
über Spanien hinaus. Als der ehemalige Chef der Landesregierung Valencia | |
durch ein Geschworenengericht freigesprochen wurde, obwohl die Beweislage | |
erdrückend war, machte sich hier ein Gefühl der Ohnmacht und Rechtlosigkeit | |
breit. Der Schwiegersohn des Königs, Iñaki Urdangarín, der zur Zeit vor | |
Gericht steht, hat ebenfalls Millionen aus Valencia erhalten, die | |
Bürgermeisterin der Stadt Valencia wird der Korruption beschuldigt. Das | |
sind nur die bekanntesten Beispiele. Die Korruption ist überall. | |
In einigen Zeitungen heißt es, dass die Schülerbewegung von den Parteien | |
der Opposition organisiert würde. Stimmt das? | |
Das ist Blödsinn. Unsere Bewegung entstand in den einzelnen Schulen. Auf | |
jedem Gymnasium gibt es Schülerversammlungen. Dort werden die | |
Mobilisierungen beschlossen und abgestimmt. | |
Wieso gewinnt die Partido Popular in Valencia dennoch immer wieder mit | |
absoluter Mehrheit? | |
Sie haben die absolute Mehrheit der Abgeordneten im Regionalparlament, bei | |
den Wählerstimmen nicht. Wir haben in Spanien ein völlig ungerechtes | |
Wahlgesetz, das dazu führt, dass eine Stimme für eine der beiden großen | |
Parteien, Partido Popular oder Partido Socialista, bis zu sieben Mal so | |
viel zählt, wie eine Stimme für eine kleinere Partei. Und leider lassen | |
sich viele Menschen täuschen. Sie sehen das folkloristische Valencia, das | |
uns die Politiker verkaufen, aber nicht die Realität dahinter. Unsere | |
Proteste hinterfragen dieses Bild. | |
29 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wirtschaftskrise in Spanien: Kiffen für die Gemeindekasse | |
Der Bürgermeister eines Dorfes in Katalonien will mit dem Anbau von Hanf | |
die Finanzen sanieren. 1,3 Millionen Euro und 45 Arbeitsplätze soll die | |
Aktion bringen. | |
Wirtschaftskrise in Spanien: Vom Hacker zum Bierbrauer | |
Alles selbst gelernt, alles selbst gemixt. Der spanische Informatiker | |
Castro sattelt um und macht das, was er gut kann: Er braut sein eigenes | |
Bier. Prost! | |
Schüler- und Studentenstreik in Spanien: Vom Klassenzimmer auf die Straße | |
In 20 spanischen Städten streiken Schüler und Studenten. Sie wehren sich | |
gegen Sparmaßnahmen in der Bildung. In Barcelona besetzen sie einen | |
Autobahnring. | |
Proteste in Spanien: "Ungerecht, unnütz und wirkungslos" | |
Hunderttausende gehen in Spanien landesweit gegen eine Reform des | |
Arbeitsmarktes auf die Straße. Die Gewerkschaften drohen mit einem | |
Generalstreik. | |
Chilenin Camila Vallejo: Die Eine aus einer Million | |
Die Medien haben Camila Vallejo zum Gesicht der Studentenproteste in Chile | |
gemacht. Sie sträubt sich gegen die Ehre und zeigt sich doch wortgewandt | |
und mutig. | |
Kommentar Korruption Spanien: System der Käuflichkeit | |
Ein Jahrzehnt der Bauspekulation hat ein Spanien hinterlassen, das durch | |
und durch korrupt ist. Zu Recht sagen nun Demonstranten: "Es ist was faul | |
in diesem Gericht". | |
Korruption in Spanien: Nochmal davongekommen | |
Der Ex-Präsident von Valencia soll im größten Korruptionsfall Spaniens | |
unschuldig sein. Obwohl er Maßanzüge für 30.000 Euro erhalten hat. |