| # taz.de -- Internationaler Frauentag 2012: „Ich bin eine Importbraut“ | |
| > Die Vietnamesin Lu hält es mit ihrem deutschen Ehemann schon zehn Jahre | |
| > aus. Über Unterwerfung denkt sie nicht nach. Andere ausländische Frauen | |
| > haben es schwerer. | |
| Bild: Den Mann, der am anderen Ende der Rolltreppe wartet, kennen viele Heirats… | |
| „Wenn nichts los ist, mach ich sauber und früher Feierabend, so gegen 23 | |
| Uhr vielleicht.“ Lu spricht vietnamesisches Deutsch, sie verschluckt die | |
| Endung jedes Wortes. Sie lacht. Aber sie sieht müde aus. Über ihrem dicken | |
| grau-rosa Pullover trägt sie eine schwarze Weste gegen die Kälte. Ihre | |
| stumpfen Haare sind zum Pferdeschwanz gebunden. Lu hat am Hauptbahnhof | |
| einen Imbiss, es riecht nach heißem Öl. | |
| Die Stadt versinkt im Nebel. Die Vietnamesin sitzt allein in ihren fünf | |
| Quadratmetern und schält Möhren. Ihr Imbiss ist der erste von fünf | |
| Straßenständen. Sie hat ihn rot dekoriert, auf der Markise steht „Asia | |
| Wok“. Das klingt moderner als China-Pfanne, meint sie. | |
| Lu, 52, kam vor zehn Jahren aus Hanoi nach Berlin. Als sie ins Flugzeug | |
| stieg, zitterten ihr die Knie, erinnert sie sich: „Ich hatte große Angst.“ | |
| Den Deutschen, den sie heiraten wird, kennt sie nur von Fotos. Deutsch kann | |
| sie nicht. Heute sagt sie: „Ich bin eine Importbraut.“ | |
| „Heiratsmigrantin“ wäre ein anderes Wort: Frauen, die ein besseres Leben | |
| suchen als das in ihren Heimatländern. Dafür gehen manche von ihnen | |
| Kompromisse ein: Sie ertragen einen Mann, den sie nicht lieben, und sie | |
| erdulden Verhältnisse, die sie nicht sonderlich glücklich machen. Ist das | |
| Unterwerfung? Oder Überlebensstrategie? Andere Frauen hingegen beginnen das | |
| Leben hier und ihren deutschen Mann zu schätzen. Einige dominieren | |
| irgendwann sogar den Mann, der sie einst „kaufte“. Wie bezeichnet man das? | |
| Und überhaupt: Wer entscheidet eigentlich, was Unterwerfung ist und was | |
| nicht? | |
| ## Niemand schützte sie | |
| Über all das denkt Lu nicht groß nach. Sie weiß nur, dass sie „nie wieder | |
| einen vietnamesischen Mann haben will“. Ihr damaliger Mann ließ sie 1989 in | |
| Hanoi sitzen. Zu jener Zeit hatte sie einen sechsjährigen Sohn und war im | |
| sechsten Monat schwanger. Ihr Mann war als Händler nach Moskau gefahren, | |
| mit Waren, die sie mit einem Kredit gekauft hatte. Er kam nie zurück. Lu | |
| zog die Kinder allein groß, arbeitete am Fließband in einer Fabrik und | |
| versorgte die Schwiegermutter dazu. Niemand schützte sie. | |
| Lu wurde auch von niemandem geschützt, als sie vor zehn Jahren am Flughafen | |
| in Berlin ankam. Ihre Kinder waren groß, ihre Schwiegermutter war | |
| gestorben. Ihr Bruder, der schon länger in Deutschland lebt, hatte Lu | |
| geraten, einen Deutschen zu heiraten. Weil hier alles besser, reicher und | |
| einfacher sei. | |
| Als Lu den Deutschen, mit dem sie fortan ihr Bett teilen wird, zum ersten | |
| Mal sieht, fängt sie an zu weinen. „Er ist so groß“, sagt sie, „ein Met… | |
| achtundneunzig. Ich bin ein Meter zweiundsechzig. Und er hat viele | |
| Tattoos.“ Sie streicht sich über ihre Arme. | |
| Wie viele Frauen aus Asien, Afrika, Südamerika oder von sonst woher kommen, | |
| um in Deutschland zu heiraten, lässt sich nicht genau sagen. Wenn es gut | |
| läuft für sie, erfährt man wenig über sie, dann bleiben sie nahezu | |
| unsichtbar. Das ist die Mehrheit, Lu würde man dazu zählen. Sichtbar werden | |
| die Frauen erst, wenn es schiefgeht zwischen ihnen und ihren deutschen | |
| Männern. Manche von ihnen landen dann bei Nivedita Prasad. Die | |
| indischstämmige Sozialpädagogin leitet in Berlin die Beratungsstelle Ban | |
| Ying. Die unterstützt migrierende Frauen, deren Hoffnungen sich nicht | |
| erfüllt haben. Prasad sagt: „Zu uns kommen die, bei denen es Probleme | |
| gibt.“ Lu macht alle Probleme mit sich ab. | |
| ## Brautstrauß und gute Nudeln | |
| Als Lu und der Deutsche im Oktober 2002 heirateten, war es schwer. Er war | |
| Alkoholiker und hatte kein Geld. Bevor Lu den Imbiss aufmachte, arbeitete | |
| sie sechs Jahre lang als Zimmermädchen in einem Hotel. Das Ehepaar | |
| verständigte sich mit Händen und Füßen. Lu lacht, als sie das erzählt. Die | |
| Hochzeit war ein großes Fest für sie. Mit zwei Autos waren sie zum | |
| Standesamt gefahren, die neue deutsche Schwiegermutter hatte gekocht. „Ich | |
| habe sogar den Brautstrauß geworfen.“ Lu macht die Bewegung nach, als wolle | |
| sie etwas hinter sich werfen. | |
| Lu ist fleißig und braucht Beschäftigung. Wenn kein Gast am Stand ist, | |
| wäscht sie Saucenflaschen aus, sie werden jeden Morgen nachgefüllt. | |
| „Ich habe viele Stammkunden, nicht nur Touristen. Ich quatsche eben gerne | |
| mit den Leuten und sie essen gerne mein Nudeln. Ich mache gute Nudeln, | |
| immer frisch“, sagt Lu. Sie lacht. Dicke Augenfalten hat sie. | |
| Im Gegensatz zu ihr, die selbstständig sein kann, erleben andere | |
| Heiratsmigrantinnen, dass ihr deutscher Mann die absolute Kontrolle über | |
| sie haben will, berichtet Nivedita Prasad von der Beratungsstelle Ban Ying. | |
| „Frauen kriegen von den Männern zum Beispiel ein Handy, aber kein Guthaben. | |
| Jederzeit können sie angerufen werden, aber selbst niemanden sprechen. | |
| Mitunter kennen sie noch nicht einmal ihre eigene Nummer.“ Außerdem werde | |
| oft auch das Essen reglementiert, um sicherzugehen, dass die Frauen dünn | |
| blieben. „Manche Männer verbieten ihren Frauen, mit ihren Kindern in ihrer | |
| Sprache zu sprechen.“ | |
| Ein Busfahrer kommt an den Stand, ein Stammgast. Er bestellt Nudeln und | |
| einen Kaffee. Er sagt: „Die ist eine Nette. Sie lacht immer.“ Er zeigt auf | |
| Lu. „Nur einmal habe ich sie wütend gesehen. Das war mit ihrem Mann, weil | |
| er ihr nicht geholfen hat, Sachen zu schleppen.“ Lu sagt: „Er kauft mir nie | |
| Blumen, auch keine Geschenke.“ Wünscht sie sich welche? „Ich brauche | |
| keine“. | |
| ## Nie wieder heiraten | |
| Wenn Lu Zeit hat und niemand am Stand ist, telefoniert sie mit ihrer | |
| Freundin aus Vietnam, die wie sie in Berlin gestrandet ist. Vermisst Lu die | |
| Heimat? „Nein“, sagt sie. Obwohl ihr Sohn noch in Hanoi lebt. Sie will ihre | |
| Familie dort besuchen, wenn sie Geld hat. Aber zurückziehen möchte sie | |
| nicht mehr. Ihre Tochter hat sie nachkommen lassen nach Berlin. Mit ihr | |
| zusammen betreibt sie den Imbiss. Eine Knochenarbeit. Im letzten September | |
| wurde die Miete erhöht. 2.000 Euro muss sie jetzt jeden Monat bezahlen. | |
| Hat sie sich ihr Leben in Deutschland anders vorgestellt? Weniger Arbeit, | |
| mehr Freizeit? Wie kommt sie mit ihrem Mann jetzt aus? Sie sagt: „Scheiden | |
| lassen haben wir uns noch nicht. Aber vielleicht morgen.“ Man weiß nicht so | |
| genau, wie sie das meint. Warum nimmt sie den Mann in Kauf, obwohl sie in | |
| Deutschland längst selbstverständlich sein könnte? Unterwirft sie sich den | |
| Regeln der Ehe, weil sie das als Frau nicht anders kennt? Oder spielt das | |
| alles überhaupt keine Rolle, weil sie in solchen Kategorien gar nicht | |
| denkt? | |
| Zwei bis drei Frauen kommen jede Woche in die Beratung zu Ban Ying, sagt | |
| Prasad. Scheu manchmal und eingeschüchtert. Die rechtliche Situation ist | |
| für einige von ihnen schwierig. „Nichtdeutsche Ehepartnerinnen und -partner | |
| müssen mindestens drei Jahre im Haushalt des Ehepartners leben, bevor sie | |
| ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommen“, sagt Prasad. | |
| Im Klartext: Oft müssen sie prügelnde und terrorisierende Männer ertragen, | |
| wenn die Frauen nicht zurück in ihr Land geschickt werden wollen. | |
| „Physische Gewalt kann man vielleicht noch nachweisen“, sagt Prasad. „Aber | |
| wie können Frauen Vergewaltigung vom eigenen Mann beweisen? Oder | |
| Psychoterror?“ | |
| ## Nicht nochmal heiraten | |
| Lu sagt, sie sei eine böse Ehefrau. Sie habe ihrem deutschen Mann damals, | |
| als sie in Berlin ankam, verboten, Alkohol zu trinken. Und jetzt? Worüber | |
| hat sie sich zuletzt zusammen mit ihm gefreut? Ihr fällt nichts ein. „Ich | |
| freue mich darüber, dass wir noch zusammen sind“, sagt sie. Und: „Er ist | |
| doch ein Mann mit gutem Herzen.“ Nur wenn er schimpft, sagt sie, sei er | |
| böse. | |
| Würde sie es noch mal tun? Noch mal nach Deutschland kommen, noch mal einen | |
| völlig fremden Mann heiraten, sich möglicherweise einem Leben unterwerfen, | |
| von dem sie nicht weiß, was es bringt? „Heiraten nicht“, sagt Lu. Aber Geld | |
| verdienen in Deutschland, das würde sie wieder wollen. Weil sie es braucht. | |
| Für die Hochzeiten ihres Sohnes und ihrer Tochter. Lu wünscht sich, dass | |
| ihre Tochter studiert, dass sie eigenes Geld verdient und unabhängig ist – | |
| von einem Mann und von sozialen Hilfen. Aber das will die Tochter nicht. | |
| „Ich kann sie nicht ändern“, sagt Lu. Und wischt mit dem Zeigefinger den | |
| Staub von der Menükarte. | |
| 8 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| L. Fan Zhao | |
| W. Schwab | |
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