# taz.de -- Internationaler Frauentag 2012: „Du bist ein Sexsubjekt“ | |
> Alles ist erlaubt, sogar Vergewaltigungsfantasien. Eine Exkursion in die | |
> Grauzone zwischen Masochismus und Unterwerfung mit der Sexpertin Laura | |
> Méritt. | |
Bild: Stachlig ficken kann auch gut sein. Hauptsache selbstbestimmt | |
taz: Frau Méritt, wenn Sie an „Unterwerfung“ denken, was fällt Ihnen zuer… | |
ein? | |
Laura Méritt: Als Erstes denke ich an Masochismus. Lust an der | |
Unterwerfung. Im Internet zum Beispiel stößt man zuerst auf Foren, in denen | |
„die Kunst der Unterwerfung“ geübt wird. Da geht es um Verhandlungen, | |
Absprachen, konsensuellen Sex. Und erst sehr spät stößt man im Netz auf | |
Unterwerfung als Beschreibung für ein Machtverhältnis zwischen Männern und | |
Frauen. Das wäre früher ganz anders gewesen. | |
Bildet diese Reihenfolge die heutige Realität ab? | |
An der Oberfläche schon. Das Unterwerfungsverhältnis ist kanalisiert, in | |
einen Verhandlungsrahmen eingebettet und heißt SM. Da haben die SMis gute | |
Aufklärung betrieben. Aber das lenkt auch von realen | |
Unterwerfungsverhältnissen ab. Das ist bei allen Sexthemen so, dass die | |
gesellschaftliche Dimension fehlt, im Porno zum Beispiel auch, oder beim | |
Thema Penetration. | |
Alles ist erlaubt. | |
Ja. In der Cosmopolitan war gerade ein Text über Vergewaltigungsfantasien. | |
Ein Sexualwissenschaftler stellt dort fest: Ja, du darfst diese Fantasien | |
haben. Woher sie aber stammen: Nichts. | |
Wie sprechen Sie über Masochismus in Ihrem Salon? | |
SM ist schon öfter Thema: Wie läuft das, was darf man, was darf man nicht? | |
Viele Frauen interessieren sich dafür. | |
Welche Szenerie stellen sich die Frauen vor? | |
Sie genießen, anfangs die Kontrolle abzugeben – und dass andere ihnen | |
sagen, was sie zu tun haben. Ans Bett fesseln. Augen zubinden, vielleicht | |
auch noch den Mund. Und viele haben Vergewaltigungsfantasien und wollen die | |
ausleben. Später wollen sie auch mal die Rolle wechseln. Sie lernen, ihre | |
Wünsche klar zu formulieren und die Grenzen auszuhandeln. | |
Sehen Sie eine Parallele zum realen Leben? | |
Frauen und Männer sind in ihren Rollen stark konditioniert. Männliche | |
Gewalt wird überall präsentiert: in der Kunst, im Film, im Militär. | |
Natürlich fahren die Frauen dann auch drauf ab. Sie sollen das ruhig | |
ausleben, aber schon wissen, wo es herkommt. Dann kann frau die Rollen auch | |
mal erweitern. | |
Sprechen Sie über Unterwerfung in realen Beziehungen? | |
Da sind es eher die Heterofrauen. die ihre sexuelle Beziehung als ungleich | |
empfinden. Sie leiden etwa darunter, wenn ihr Freund eine offene Beziehung | |
möchte, vor allem wenn eine zweite Gespielin auftaucht. Damit entspricht er | |
auch der Männerrolle: viele Frauen, viel sexuelles Kapital. Weil sie ihn | |
nicht verlieren wollen, kommen sie seinen sexuellen Wünschen entgegen. Aber | |
Männer ticken auch aus, wenn Frauen eine Öffnung wollen. | |
Plädieren Sie dafür, dass Frauen sich der Polygamie öffnen sollten, oder | |
sollen sie lieber den Mann verlassen, der eine offene Beziehung wünscht? | |
Ich plädiere nicht. Ich sehe nur, dass Frauen im Moment darunter leiden, | |
wenn der Typ sagt, er will eine offene Beziehung. Dann sind sie schon unter | |
Zugzwang, das geht oft nicht gut. Ich wünsche ihnen die Kraft, dann | |
wegzugehen. Und dann wünsche ich ihnen die Kraft, mal ein anderes | |
Beziehungsmodell auszuprobieren, das eher ein Netz ist als eine | |
Zweierbeziehung. Dass sie in einer Gruppe experimentieren können. Die | |
Beziehungsfrauen sitzen dann eher irritiert da, wenn die anderen sagen, | |
aber es gibt doch noch ganz andere Formen, Polyamorie zum Beispiel, oder | |
gute Sexpartys. | |
Haben Frauen, die gerade ihre Beziehung verlieren, Lust, über Sexpartys zu | |
sprechen? | |
Warum denn nicht? | |
Weil sie vielleicht trauern oder den Wunsch haben, sich gleich wieder zu | |
verlieben. | |
Diesen Wunsch haben sie, weil ihnen eingeredet wird, ohne Beziehung nichts | |
wert zu sein. Alle Spielfilme sind voll davon. | |
Und ihre Gefühle verlangen es. | |
Gefühle können sich ändern, sagt die Erfahrung. Ich will nichts | |
vorschreiben. Es ist sehr schwer, einen Weg für sich zu finden. Ich will | |
aber zeigen, was auch noch alles möglich ist. | |
Ist die heterosexuelle Zweierbeziehung für Sie ein Auslaufmodell? | |
Sie wird sicher ein wichtiges Modell bleiben. Aber sie darf nicht das | |
einzige sein. Wenn man die Intimität von der ökonomischen, sozialen und | |
emotionalen Sicherheit entkoppelt, lässt es sich freier leben. | |
Frauen sind auf dem Partnermarkt rein biologisch im Nachteil, wenn sie | |
Kinder wollen, weil sich ab 40 ihr Zeitfenster schließt. Begegnet Ihnen das | |
Thema? | |
Ich erlebe, dass Frauen klar planen, wenn sie ein Kind haben wollen, und | |
sich ein Netz bauen, eine Wahlfamilie, mit der sie abgesichert, aber nicht | |
abhängig sind. Das machen Lesben und Schwule, aber auch Heteras und | |
zunehmend Paare, die ihre Beziehung nicht überlasten wollen. | |
Und im Mainstream? Merkt man da, dass die Frauen sich mehr gefallen lassen, | |
weil es dieses Ungleichgewicht gibt? | |
Das ist eher bei jüngeren Frauen der Fall: „Der will das sowieso nur so, | |
und dann mache ich halt mit.“ Aber die meisten, mit denen ich zu tun habe, | |
sind sehr gut informiert und auch sehr kritisch. | |
Wie finden Sie, dass junge Mädchen sich im Netz gern sexualisiert | |
präsentieren? Mit Schmollmund und Push-up von unten in die Kamera äugen? | |
Diesen extremen weiblichen Exhibitionismus mit Highheels et cetera hatte | |
ich als junges Ding auch, nur ohne Facebook. Leb es aus und mach es dir | |
klar, ist meine Devise. Schau dir mal Peaches oder Amanda Palmer an, die | |
gegen Schönheitsnormen und starre Geschlechterrollen kämpfen. Das ist sexy. | |
Und mach dir klar, was nicht sexy ist: Sich dauernd reinquatschen lassen, | |
Hausarbeit, emotional ungebildete Partner … würde ich dann sagen, das sind | |
auch sexy Frauen. | |
Wenn so ein Mädchen sich hinstellt und sagt: Ich bin stolz, ein Sexobjekt | |
zu sein … | |
… dann sage ich: Du bist aber auch ein Subjekt. Und das macht auf jeden | |
Fall mehr Spaß. | |
Was wollen Mädchen bei Ihnen? | |
Reden. Sich umschauen. Zum Beispiel fragen junge Frauen manchmal, wie sie | |
damit umgehen sollen, dass ihr Freund Pornos guckt und sich wünscht, die | |
Szenen nachzuspielen. Mein Part ist zu sagen, es gibt Alternativen. Anderes | |
Spielzeug, andere Pornos, andere Verhütungsmethoden. Es kommen übrigens | |
auch Jungen, die nach anderen Pornos fragen. Es sind zunehmend alle | |
Geschlechter, die sich eine andere Bilderwelt wünschen und einen anderen | |
Umgang mit Sex. | |
Was für andere Pornos sind das? | |
In PorYes-Filmen sind die Personen im Kontakt miteinander, sie vermitteln | |
durch Augen, Körper und Sprache Einverständnis, gehen respektvoll | |
miteinander um. Er ist konsensuell. Anfangs wirkt das auf einige Leute | |
„unsexy“, weil es eine andere Bildsprache ist. Aber dann verändern sich die | |
Sehgewohnheiten. | |
Der Mainstreamporno ist nicht konsensuell? | |
Der einzige Konsens ist da, dass beide Darsteller Geld bekommen. Ansonsten | |
wird die Unterwerfung der Frau inszeniert. Es geht um seine Ejakulation, er | |
bekommt einen geblasen. Und die Frau muss dafür ackern. Oft wird sie nicht | |
mal geleckt. Und bekommt am Ende alles ins Gesicht gespritzt. Warum vögelt | |
sie ihn nicht mal in den Arsch? Blasen, ficken, spritzen. Das ist der | |
Mainstreamporno. | |
Den auch Frauen mögen. | |
Ja klar, darauf sind wir doch konditioniert. Aber die Mehrheit der Frauen | |
lehnt Pornos rundheraus ab. Viele wissen gar nicht, dass es | |
frauenfreundliche Pornos gibt. Wir wollen mit der PorYes-Kampagne eine | |
weibliche Sexgeschichte schreiben, andere Bilder anbieten. Die meisten | |
kennen nur den Mainstreamscheiß. | |
Und wie haben Sie persönlich umgedacht? | |
Ich kenne die Konditionierungen und entscheide mich bewusst dafür oder | |
dagegen. Masochistin sein ist fein, wenn Sie eine Entscheidung dafür | |
treffen können und nicht Ihren Konditionierungen ausgeliefert sind. | |
Ältere Frauen haben, soziologisch betrachtet, noch weniger Chancen auf dem | |
Sexmarkt. Wie gehen Sie damit um? | |
Es sind hauptsächlich Heterofrauen, denen im Alter Sex, Lust und | |
begehrenswerte Körper abgesprochen werden. Lesben haben sich da einen | |
größeren Freiraum erkämpft. Aber auch im Alter wollen Frauen Sex leben, | |
Neues ausprobieren, darüber reden. Mit und ohne Partner. | |
Was raten Sie? | |
Sie können etwa eine Anzeige schalten. Und wenn man sich das mal traut, | |
dann bekommt man Zuschriften, auch wenn man 60 oder 70 Jahre alt ist. Und | |
aus den Zuschriften kann man sich den Nettesten raussuchen. Generell denken | |
die meisten Frauen, dass sie Sexobjekt sind. Sie sind aber Sexsubjekt. Sie | |
können bestimmen. Ich bin zutiefst davon überzeugt: Wenn du als Subjekt | |
auftrittst, dann kannst du wählen. | |
7 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
Heide Oestreich | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Feministischer Kampftag | |
Schwerpunkt Feministischer Kampftag | |
Schwerpunkt Feministischer Kampftag | |
Schwerpunkt Feministischer Kampftag | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Internationaler Frauentag 2012: „Ich bin eine Importbraut“ | |
Die Vietnamesin Lu hält es mit ihrem deutschen Ehemann schon zehn Jahre | |
aus. Über Unterwerfung denkt sie nicht nach. Andere ausländische Frauen | |
haben es schwerer. | |
Internationaler Frauentag 2012: Taktik einer Mittelmutigen | |
Viele Frauen beugen sich dem Alltagssexismus und setzen auf strategisches | |
Schweigen. Aus Pragmatismus? Oder aus Angst um Status und Ansehen? | |
Editorial Sonderausgabe Frauentag 2012: Nimm mich, Tarzan! | |
Am Internationalen Frauentag scheint es, als wäre nichts geblieben von all | |
den langen Kämpfen. Befinden wir uns im Zeitalter der Unterwerfung? | |
Internationaler Frauentag 2012: Komplizinnen unter sich | |
Lebende Puppen, feige Frauen: Frauen wird „Unterwerfung“ attestiert. Dabei | |
sind die Übergänge von der starken sexy Frau zur Bedienerin des Mannes oft | |
fließend. |