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# taz.de -- Internationaler Frauentag 2012: Komplizinnen unter sich
> Lebende Puppen, feige Frauen: Frauen wird „Unterwerfung“ attestiert.
> Dabei sind die Übergänge von der starken sexy Frau zur Bedienerin des
> Mannes oft fließend.
Bild: Lösung oder Problem? Selbstbestimmt oder unterworfen? Das machen Frauen …
„Du hast nicht die Lösung, du hast das Problem“. Schreibt Alice Schwarzer
an Charlotte Roche. Ja, in der Tat: Charlotte Roche hat in „Schoßgebete“
unter anderem die Abhängigkeit der Erzählerin von ihrem Mann beschrieben.
Ohne Happy End. Keine Befreiungsgeschichte. Für eine heroisch denkende
Feministin wie Alice Schwarzer ist das unumwundene Bekenntnis zur
Unterwerfung schon eine Provokation.
Charlotte Roche ist nicht allein mit diesem Vorwurf. Ein Problem sieht etwa
auch die englische Autorin Natasha Walter bei einer ganzen Generation
junger Mädchen, die sich mit Schmollmund und maximal gepushtem Busen im
Netz präsentieren. Wie Roches Erzählerin generieren sie durch Sexyness
Aufmerksamkeit.
Sie sind Sexualobjekt und stolz darauf. Wie konnte die sexuelle Befreiung
der Frauen nur in Figuren münden, die Striptease und Lapdance als
Schlüsselqualifikation für ihre Zukunft betrachten?, fragt Walter. Sie
unterwerfen sich dem männlichen Begehren – und meinen, das sei der Gipfel
der Selbstbestimmung.
Auch sie sind nicht allein mit dem Vorwurf: Publizistin Bascha Mika,
ehemals Chefin der taz, hat in „Die Feigheit der Frauen“ gleich das gesamte
Geschlecht im Visier, sobald es in einer Beziehung zum Mann faule
Kompromisse eingeht: „Wir begeben uns freiwillig in eine Rolle, in der wir
uns einem anderen unterwerfen“, analysiert sie und diagnostiziert eine
Variante des Stockholm-Syndroms: „Wir glauben, von der Geiselhaft zu
profitieren: Indem wir durch unsere Identifikation mit dem Mächtigen selbst
teilhaben an der Macht. Wir sind Komplizinnen des Systems.“
## Unpassende Rhetorik
Wo man hinblickt, lauert neuerdings wieder der Unterwerfungsvorwurf.
Meckern da nicht wieder ein paar unerbittliche Emanzen an ganz normalen
Frauen herum, die einfach nur versuchen, im Leben klarzukommen? Die Spaß
(ja, auch Sex) haben wollen und Liebe (ja, auch Kompromisse)? Diese ganze
Unterwerfungsrhetorik, passt die heute überhaupt noch in die Landschaft?
Diese jungen Damen, die sich als Sexqueens präsentieren, parallel zu
Charlotte Roche, die meint, die Beischlafszenen in ihrem Buch sollten „gern
auch geil machen“, passen sich ja nicht nur einem System an, das der
universalen Bespaßung des Mannes an sich dient. Sie reklamieren vielmehr
den Sex für sich: Ich will Spaß und locke deshalb Männer an. Mehr noch, für
viele Mädchen ist dieser Raum der Sexyness der einzige, in dem sie so etwas
wie Macht und Attraktion spüren.
Wer in der Schule wenig Erfolgserlebnisse hat und zu Hause nicht allzu viel
Zuwendung, der kann sich über eine Sexualisierung und drei „Du bist
scharf“-Kommentare im Netz seine Portion Anerkennung abholen. Die
israelische Soziologin Eva Illouz weist in „Warum Liebe weh tut“ darauf
hin, dass sexuelle Anerkennung auch schlicht gesellschaftlichen Status
generiert, vor allem für Frauen: Vorbilder wie Heidi Klum und Angelina
Jolie versprechen über Sexyness Status – ganz jenseits der
Klassenhierarchie.
Ein Problem ergibt sich erst, wenn man diese freiwilligen
Einzelentscheidungen in Beziehung setzt zu der Gesellschaft, in der wir
leben: In der wird dem Mann die dominierende Rolle zugeschrieben: Er ist
der Chef. Sie ist auch da. Auch das, was wir öffentlich an Sex mitbekommen,
ist auf Männer ausgerichtet, die sich Frauen zu ihrem Vergnügen mieten:
Bordelle, Peepshows, Pornos. Zwar wollen die Mädels sicherlich
selbstbestimmten Sex, aber das Muster, in dem sie agieren, ist bereits
strukturiert: und zwar androzentrisch.
Deshalb sind die Übergänge von der starken sexy Frau zur Bedienerin des
Mannes oft so fließend. Und was sie selbst will, weiß die Frau sowieso
nicht so genau. Diese Rolle der starken Frau hat ihre sehr engen
gesellschaftlichen Grenzen. Jungen Mädchen, die scharf auf Sex sind, wird
ihre Rolle unter Umständen einfach aus der Hand genommen. Wir haben ein
sexualkulturelles Muster, in dem der Junge die Initiative ergreift. Und
plötzlich findet sie sich als Unterlegene wieder, weil der Typ nämlich gar
nicht bemerkt hat, dass sie selbstbestimmt sein will.
## Kürzertreten ist nicht drin
Parallel dazu schließt sich unser Familienmodell um die einzelne Frau, die
mit ihrem Leben vielleicht etwas ganz anderes vorhatte. Bascha Mika fordert
sie auf, beim Aussuchen des Zukünftigen genau hinzusehen: Will er eine
selbstbestimmte Frau oder ein Mäuschen? Die traurige Wahrheit ist, dass er
vielleicht eine selbstbestimmte Frau haben wollte, ihr aber die ganze
Selbstbestimmtheit erst abhanden kommt, wenn sie später auf unsere
gesellschaftliche Geschlechterrealität stößt.
Da bekommt sie nur einen befristeten Vertrag und weniger Geld. Sein Job
dagegen ist sicher. Aber sein Chef ist leider vom alten Schlag, wegen der
Familie kürzertreten ist nicht drin. Das ist dann schon das Ende der
Selbstbestimmung. Und, Frau Mika? Soll sich die Frau also gegen Ende einer
Schwangerschaft schnell scheiden lassen, weil ihr Modell nicht mehr stimmt?
Und wie oft kann sie dann mit anderen Männern nach einem egalitären Modell
suchen, bis die Gebärphase vorbei ist?
Eva Illouz hat sehr nüchtern auf die Tatsache hingewiesen, dass die
Modernisierung der intimen Beziehungen Männern eine vielfach größere
Auswahl zur Verfügung steht als Frauen: Sie haben weniger Bindungsdruck,
weil sie auch älter noch eine Familie gründen können und im Alter weniger
stark diskriminiert werden als Frauen – ihr gesellschaftlicher Status sinkt
erst sehr viel später. Mehr noch, der Auftritt mit einer wesentlich
jüngeren Frau, das Vorführen sexuellen Erfolgs, erhöht diesen Status sogar
noch. Also entziehen sie sich, wenn sie das Gefühl haben, die nächste
Beziehung könnte besser werden.
Die Vermeidungsstrategien dieser Männer in Beziehungen seien kein Zeichen
pathologischer Psychen, die hingebungsvoll in Paartherapien zu bearbeiten
seien, schreibt Illouz, sondern schlichter Ausdruck ihrer stärkeren
Verhandlungsposition. Zudem demonstrierten sie mit ihrer Distanziertheit
auch noch Autonomie, eine Eigenschaft, die „Männlichkeit“ suggeriert.
„Die heterosexuellen Frauen der Mittelschicht befinden sich daher in der
merkwürdigen historischen Lage, so souverän über ihren Körper und ihre
Gefühle bestimmen zu können wie nie zuvor und dennoch auf neue und noch nie
dagewesene Weise von Männern dominiert zu werden“, schreibt Illouz.
## Katzenberger macht’s vor
Bezieht man diese soziologische Analyse mit ein, dann bekommen die ins
Freie gehängten Vorwürfe an Mädchen oder Frauen, die angeblich ihre eigenen
„Vermausung“ (Mika) betreiben, einen Rahmen. Der Begriff der Unterwerfung,
der eine aktive Handlung der Frau suggeriert, irritiert, wenn die neue
soziale Bedeutung von Sexyness oder die Chancen auf den
Partnerschaftsmärkten betrachtet werden: Was können die Ladys dafür, wenn
ihre anderweitigen Chancen so schlecht sind?
Daniela Katzenberger und ein Heer von Topmodels machen es vor: von der
Kosmetikerin zum Fernsehstar. Wo gibt es ähnliche Karrierechancen für
Frauen mit Mittlerer Reife? Und wenn man das Muster der Paarbindung
ansieht, in dem Frauen sehr viel schlechtere Startchancen haben: Wer könnte
ihnen einen gewissen Grad an „Vermausung“ übelnehmen? Charlotte Roche, das
ist ihr Verdienst, kleistert diese Tatsache nicht zu, sie problematisiert
sie. Das ist nicht wenig. Es ist nur nicht so heroisch, wie Alice Schwarzer
es gern hätte.
Dennoch hat der so aktionistisch wirkende Begriff der Unterwerfung nicht
ausgedient. Denn so hilfreich die Kenntnis der gesellschaftlichen
Landschaft ist, in dem Menschen nur allzu schnell in ausgetretenen Pfade
geraten, so unverzichtbar ist die Handlungsoption, die in diesem Begriff
steckt.
Ja, man ist erst einmal allein auf weiter Flur, wenn man einen anderen Weg
einschlägt als die Masse. Aber nur am Anfang. Dann trifft man andere,
bewältigt auftretende Ängste gemeinsam, gewinnt Autonomie. Diese Frauen
sind nicht mehr Komplizinnen des Systems, sondern Komplizinnen unter sich.
Und das kann große Freiheit und großen Spaß bringen. Früher nannte man das
übrigens Frauenbewegung.
7 Mar 2012
## AUTOREN
Heide Oestreich
Heide Oestreich
## TAGS
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
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