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# taz.de -- Internationaler Frauentag 2012: Morgen verlass ich ihn
> Viele Frauen bleiben bei ihren Männern, auch wenn sie unglücklich sind.
> Unterwerfen sie sich aus Angst vor dem Alleinsein? Paartherapeut Wolfgang
> Krüger erklärt es.
Bild: Harte Wahrheiten: Zwei Drittel aller Männer suchen sich angepasste Frauen
Nach fast zwanzig Jahren Beziehung hat sich Ulrike von Frank getrennt.
Ulrikes Freundinnen atmeten auf. Sie konnten das ewige „Morgen verlass ich
ihn“ nicht mehr hören. Aber Ulrike ging nicht. Sie blieb, litt und
meckerte.
Fast die Hälfte aller Scheidungen reichen Frauen ein, etwa 60 Prozent aller
Trennungen gehen von den Frauen aus, hat eine Umfrage der Gesellschaft für
Erfahrungswissenschaftliche Sozialforschung herausgefunden.
PaarforscherInnen begründen diesen Trend mit dem höheren Glücksanspruch,
den Frauen haben sollen: Es muss ihnen mit dem Partner besser gehen als
ohne ihn.
Sie habe sich über zehn Jahre mit Frank regelrecht gequält, erzählt Ulrike:
„Er hat mich gelangweilt und genervt. Aber mit mir darüber reden wollte er
auch nicht. Wenn er mal auf Dienstreise war, lebte ich auf.“ Das Paar hat
eine Tochter. Als die vor ein paar Monaten 18 wurde und nach Australien
ging, ging auch Ulrike. Zu spät, wie die Mediengestalterin aus Leipzig
heute weiß: „Die Trennung von Frank war für mich wie ein Befreiungsschlag.�…
Viele andere Frauen aber bleiben noch länger als Ulrike bei ihren Männern,
manche bis ans Lebensende. Selbst dann, wenn sie sich in der Beziehung
schlechter fühlen. Warum?
## Weniger wert ohne Mann
„Aus Angst, allein zu sein“, sagt der Psychologe Wolfgang Krüger, 63:
„Viele Menschen glauben heute immer noch, eine Frau ohne Mann sei weniger
wert.“ Der Paartherapeut kennt sich bestens aus mit den Dingen zwischen den
Geschlechtern. Er wird gern gebucht für Vorträge und Radiosendungen, er hat
Bücher geschrieben, die Titel tragen wie „Eifersucht – die kreative Kraft�…
„Liebe, Macht und Leidenschaft“ und „Freiraum für die Liebe“. Sein Cre…
Trotz aller Probleme sei Liebe möglich – wenn sich beide Partner auf
Augenhöhe begegnen.
Aber das mit der Augenhöhe ist manchmal schwierig. Im Radio appellierte
Wolfgang Krüger einmal an die Frauen: „Verliebt euch, aber verliert dabei
nicht den Verstand.“ Damit meinte er, dass Frauen enge Bindungen mit
Männern eingehen, aber trotzdem darauf achten sollen, sie selbst zu
bleiben. Nach der Sendung schrillten im Studio die Telefone, die Frauen
waren empört: Wenn wir uns verlieben, riefen manche in den Hörer, dann
wollen wir uns auch verlieren, anders geht das doch gar nicht. Wolfgang
Krüger sagt: „Das nenne ich Unterwerfung.“
Für viele Frauen ist dieses Arrangement eine Selbstverständlichkeit, ohne
die eine Partnerschaft nicht funktioniert: Man muss doch Kompromisse
machen. „Das ist den Frauen oft nicht bewusst“, meint Wolfgang Krüger. Das
beobachte er vor allem in katholischen Regionen. In der vergangenen Woche
zum Beispiel wieder, da er auf Lesereise in Bayern. Überall traf er Paare,
auf der Straße, in Hörsälen, in Wohnzimmern. Es war, sagt der
Beziehungsexperte, wie eine Reise in eine Vergangenheit, die es in Berlin,
wo er lebt, kaum noch gibt: in eine Zeit traditioneller Geschlechtermuster.
„Manche Frauen hatten madonnenhafte Gesichter mit leicht säuerlichem
Blick.“ Diese Frauen standen neben ihren Männern, die „mit pampiger
Überlegenheit“ ihre Frauen korrigierten, im Gespräch über Politik, beim
Einparken, im Supermarkt. Die Frauen ertrugen die Zurechtweisungen ihrer
Gatten stumm und sorgten so dafür, dass diese öffentlich nicht beschädigt
wurden. „Ich bin mir aber sicher, dass sie ihre Männer zu Hause dafür
abstrafen“, sagt Krüger: „mit Sexentzug.“
Warum ertragen die Frauen? Warum gehen sie nicht, wenn sie doch so
unglücklich sind?
Wolfgang Krüger nennt diese weibliche Verhaltensstarre bei anhaltender
Unzufriedenheit „Urangst vor dem Aufbrechen verinnerlichter Muster“:
„Vielerorts gelten immer noch die alten Normen: Frauen haben nachgiebig,
fürsorglich und sanftmütig zu sein.“ Die Frauen wollen häufig nicht so
sein, weiß Krüger. Das erlebe er nahezu täglich in seiner Praxis: Die
Frauen wollten aufbegehren, sie wollen ausbrechen aus einem Leben, das
ihnen schon lange keinen Spaß mehr macht. „Aber für Rebellion“, sagt
Krüger, „bekommen sie keine Anerkennung.“ Und wenn es dann doch mal eine
Frau wagt, aus ihrer Ehe auszubrechen und sich zu emanzipieren, verliert
sie nicht selten ihre engsten Freundinnen. Wolfgang Krüger sagt: „In der
Regel in dem Moment, in dem sie sie am dringendsten braucht.“
Hat sich trotz Frauenbewegung und neuer Männer denn so gar nichts getan?
Oder sind womöglich Frauen, die warten, bis er sich „ausgetobt“ hat, auf
besondere Weise souverän?
## Angepasste Frauen gesucht
„Es gibt Hoffnung“, versichert Krüger: Inzwischen bestehen viele Frauen auf
einem eigenen Zimmer in der gemeinsamen Wohnung, sie wollen einen freien
Abend in der Woche, und sie pflegen Freundschaften und andere soziale
Netzwerke. Krüger sagt: „Das entspannt das Geschlechterverhältnis.“ Die
Zahl der sogenannten LAT-Beziehungen (Living Apart Together) nimmt zu,
nicht wenige Paare ziehen erst später, manche nie zusammen. Zwei Drittel
aller Frauen sind berufstätig und vielfach finanziell unabhängig. „Die
alten Bindungsfaktoren, die auf der Abhängigkeit von Frauen beruhten,
gelten nicht mehr so streng“, sagt Krüger.
All das erzählt Wolfgang Krüger auch auf seinen Vortragsreisen, neulich
eben in Bayern. Viele Frauen, sagt er, schauten ihn mit großen Augen an.
Einige Männer hätten gelacht: Die spinnen, die Weiber. Wolfgang Krüger
kennt das schon und greift in solchen Momenten auf einen Trick zurück: Er
erzählt von Berlin. Dort würden viele Frauen, sagt er, männliche
Unterwerfungstaktiken höhnend zurückweisen. Ein schönes Beispiel sei das
Autofahren. Wenn Männer als Beifahrer an der Ampel „rot“ brüllen,
schmetterten ihnen die Frauen entgegen: „Du hältst jetzt mal die Klappe,
ich fahre.“
„Männer sollten lernen, auf das zu hören, was ihnen die Frauen sagen. Sie
sollten ihre Bedürfnisse ernst nehmen.“ Tun sie das nicht, komme es häufig
zur Trennung – so wie bei Ulrike und Frank. Andere Paare landen bei Krüger
auf der Couch. Erst neulich war wieder so ein „typisches“ Paar da: beide
mitteljung, ein Kind, beide gut ausgebildet, beide im Vollzeitjob.
Zu Beginn ihrer Ehe waren sich beide einig: Wir teilen alles gerecht auf,
Haushalt, Kinderbetreuung, Geld. Doch irgendwann hatte sie das Gefühl,
deutlich mehr im Haushalt zu machen als er, und beschwerte sich. Er meinte,
sie spinne und blockierte die Kommunikation. Sie reagierte mit
Liebesverweigerung, worauf er sauer wurde und sich eine Geliebte nahm. Eine
gefährliche Spirale.
Viele Männer behaupten, eine moderne, eigenständige Frau zu wollen. Aber
zwei Drittel aller Männer suchen sich angepasste Frauen, hat Krüger erlebt.
Mit dem erstarkten weiblichen Selbstbewusstsein könnten sie nicht viel
anfangen, es mache ihnen Angst. Auch das hat Folgen, sagt Krüger: Viele
selbstbewusste, beruflich erfolgreiche Frauen jenseits der 40 bleiben
allein.
Ulrike fürchtet das nicht. Noch nicht.
8 Mar 2012
## AUTOREN
Simone Schmollack
Simone Schmollack
## TAGS
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
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