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# taz.de -- Debatte Gesellschaft: Ich, der Kommunist
> Schaffen es die Menschen, Subjekt ihrer eigenen Geschichte zu werden?
> Warum man stolz sein kann, wenn einen der Mainstream als „Kommunisten“
> beschimpft.
Bild: Wege für Kommunisten: dem Morgernrot entgegen.
Neulich bezichtigte mich ein deutscher Bestseller-Autor, „ein Kommunist“ zu
sein. Das war als Schimpfwort gedacht und sollte wohl in die Richtung
kriminell Verblendeter oder verblendet Krimineller gehen.
Ich habe mir, ehrlich gesagt, seit meinen jungen Jahren keine großen
Gedanken mehr darüber gemacht. Es genügte mir, den Verhältnissen, so wie
sie sind, so ziemlich sehr, sehr kritisch gegenüberzustehen und mich nach
Kräften für kleine und große Alternativen einzusetzen.
Wenn ein Kommunist ist, wer es nicht mag, dass Menschen ausgebeutet,
entrechtet, vernachlässigt oder unterdrückt werden, und wenn ein Kommunist
ist, wer dafür weder die Natur noch das Wesen des Menschen verantwortlich
macht, sondern konkrete Verhältnisse, in denen Profit und Macht auf eine
spezielle, extrem ungerechte Weise verteilt werden, dann bin ich eben ein
Kommunist.
## Konstruktion von Dissidenz
Aber natürlich steht ja „Kommunist“-Sein in einer Geschichte. Wenn einer
hierzulande einen anderen so nennt, dann macht er ihn direkt oder indirekt
mitverantwortlich für historische Verbrechen von Parteien, Regierungen,
Bewegungen. Es ist, mit anderen Worten, ein Totschlagwort.
Wenn Kommunismus bedeutet, einer Partei anzugehören, die behauptet, immer
recht zu haben, wenn es bedeutet, sich einer großen Idee zu unterwerfen,
die sich als wissenschaftliche Weltanschauung sieht und ansonsten keinen
Spaß versteht, wenn es bedeutet, die Geschäfte ausgerechnet in die Hände
einer Staatsbürokratie mit Polizei, Geheimdienst und despotischen
Vorsitzenden zu legen, und wenn es bedeutet, dass dieser Staat seinen
Bürgern im Austausch für eine Grundversorgung die persönliche Freiheit
nimmt – nö, dann will ich lieber kein Kommunist sein.
Das Kommunist-Sein hat jedoch viel weniger mit politischer Entscheidung
oder mit intellektueller Selbstermächtigung zu tun als mit den
Zuschreibungen, die der Mainstream nun mal so vornimmt. Es ist längst
jenseits größerer Gedankengebäude und Gesellschaftsmodelle eine Methode zur
Konstruktion von Dissidenz.
Wer nicht glaubt, dass der Kapitalismus, sei es in seiner brutalen
derzeitigen, sei es in einer vielleicht noch mal abgemilderten Form, der
letztmögliche und endgültige Weg des gemeinschaftlichen Lebens und
Arbeitens ist, der ist ein Kommunist. Wer nicht glaubt, dass der Staat das
letztmögliche und endgültige Modell von Ordnung und Recht ist, wer den
Staat als zweitgrößtes Übel des Mensch- und Gesellschaft-Seins ansieht, der
ist ein Anarchist. Ich bin also, klarer Fall, ein kommunistischer
Anarchist.
## Vorwärts in der Geschichte
Ärgerlich nur, dass nicht nur der besagte Bestsellerautor meinen
Anarchismus geflissentlich übersehen hat, ärgerlich noch mehr ist, dass der
Mainstream dieser Tage damit durchkommt, jede Form von Dissidenz als
Retrophänomen zu behandeln. Wen man einen Kommunisten schimpfen darf, der
will ja wohl nicht vorwärts in der Geschichte, sondern zurück zu alten
Ideen und Praxen. Dabei interessiert es doch in Wahrheit einen Scheiß, ob
früher einmal alles andere als der demokratische Kapitalismus noch
schlimmer war.
Es interessiert, was kommen wird, wenn der Staat und der Markt als
Ordnungsinstrumente ausgedient haben. Es interessiert, um schon wieder so
ein kommunistisches Wort zu verwenden, ob die Menschen noch mal schaffen,
Subjekt ihrer eigenen Geschichte zu werden. Es interessiert, ob es
überhaupt eine Zukunft gibt. Kommunisten sind Leute, die sich für
gemeinschaftliche, selbstorganisierte und unentfremdete Problemlösungen
interessieren.
Wenn nun aber Kommunist wäre, wer sich der überraschenden Erkenntnis
öffnet, dass Karl Marx gar nicht mal so unrecht hatte, dass all diese
sonderbaren Dinge – Lohn, Preis und Profit, Entfremdung, Krisenzyklen,
militärisch-industrieller Komplex usw. – auf Dauer nicht das Überleben der
Menschheit sichern, dass die ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft auch
schuld an ihrem moralischen und kulturellen Desaster sind, dann, tja, dann
wäre wohl eine gute Hälfte der denkenden Deutschen Kommunisten, die halbe
FAZ-Redaktion eingeschlossen.
## Unser Job, unsere Passion
Hinzu kommt: Der Kommunismus wird gerade in den Kapitalismus integriert.
Die neue Verbindung von Postdemokratie und Neoliberalismus trägt Züge eines
auf den Kopf gestellten Staatssozialismus. Keine Freiheit, nirgends, außer
beim Kaufen und/oder Zugrundegehen. Wirtschaft und Staat im
postdemokratischen Neoliberalismus haben eine absolute Macht, es scheint
unmöglich, über sie hinaus, oder wenigstens unter ihr hindurch zu denken.
Was soll da noch ein Wort wie „Kommunist“? Wenn sich in wunderlicher
Konvergenz der maoistisch-„kommunistische“ Staatskapitalismus, der
merkelistisch-expansive Nationalkapitalismus und der lupenreine
postkommunistische Putinismus immer mehr annähern? Im globalen Zirkus der
Bilder und Ideen wäre man als „Kommunist“ nicht wirklich in guter
Gesellschaft.
Von der Falle, die Liberalkonservative gern aufmachen, wenn sie es mit
Dissidenten zu tun haben, will ich gar nicht groß reden. Kritisieren darf
nur, wer ein Gegenmodell parat hat, wer aber ein Gegenmodell parat hat, ist
ein Kommunist und darf nicht mehr kritisieren. Bin ich also Kommunist?
Wahrscheinlich würde man eher neue Begriffe benötigen.
Die Zuschreibung hingegen geschieht definitiv in böser Absicht. Aber es ist
wie mit Nigger, Bitch, schwul oder punk: Aus der Ausgrenzung und Abwertung
entsteht ein neuer Stolz. Unsereiner steht quer zur Macht, das ist unser
Job, das ist unsere Passion, das ist unser merkwürdiges Talent.
Wen man hierzulande als „Kommunisten“ beschimpft, der würde in einem
„kommunistischen Staat“ wahlweise als „bürgerlicher Individualist“,
„dekadent“ oder „Konterrevolutionär“ drangsaliert. Es kommt daher nicht
darauf an, ob man in einem historischen, ideologischen und diskursiven Sinn
„Kommunist“ ist. Es kommt darauf an, stolz darauf zu sein, wenn man vom
Mainstream so genannt wird.
14 Mar 2012
## AUTOREN
Georg Seesslen
## TAGS
Demokratie
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