# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Merkels Prügelnazis | |
> Wie reagiert Südeuropa auf deutsche Polizeieinsätze gegen Deutsche? Die | |
> Bilder der Staatsgewalt haben eine Botschaft: Widerstand wird nicht | |
> geduldet. | |
Bild: "Da zeigt die Merkel-Regierung mal ihr wahres Gesicht", werden in manchen… | |
Wer als Deutscher dieser Tage quer durch Europa reist, während in | |
Raststätten, in Cafés und in Supermärkten Bilder vom Einsatz deutscher | |
Polizistinnen und Polizisten gegen die Demonstrierenden gegen die | |
Atommülltransporte nach Gorleben diskutiert werden, darf sich Kommentare | |
anhören wie "Und diese Prügelnazis wollen uns beibringen, wie Demokratie in | |
der Krise funktioniert", "Die führen Krieg gegen das eigene Volk, gegen die | |
eigene Jugend, wie in Nordafrika", oder "Da zeigt die Merkel-Regierung mal | |
ihr wahres Gesicht". | |
Der Einsatz der Polizei, ich glaube, ich erwähnte das schon einmal, wird in | |
den kommenden Jahren nicht nur in jenen Ländern zunehmen, die unter dem | |
sozialen Umbau als Folge der Schuldenkrise am meisten zu leiden haben. Nach | |
dem Volksentscheid in Baden-Württemberg ist wohl klar: Auch die grün-rote | |
Landesregierung wird Polizei in Bewegung setzen, um die letzten | |
unverdrossenen Ungehorsamen zu vertreiben und das nun auch vom Volk | |
abgesegnete Projekt durchzusetzen. | |
Ein "harter" Polizeieinsatz unter einer grün-roten Regierung wird die | |
bislang so sträflich vernachlässigte Frage nach der Beziehung von Polizei | |
und Gesellschaft neu stellen: Wie gewalttätig darf eine Polizei vorgehen, | |
die Projekte gegen Menschen durchsetzt, die sich, ihre Kinder und ihre | |
Kultur vital bedroht sehen müssen? Und wann produziert die Polizei just die | |
Feinde, gegen die sie vorgehen will, während sie andere "vergisst"? | |
Nehmen wir für den Augenblick an, wir befänden uns derzeit nicht in einer | |
Abfolge von Krisen des Systems der Finanzwirtschaft und der europäischen | |
Union, sondern stattdessen in einem veritablen, doppelten Systemwechsel: | |
Aus der Demokratie wird die Postdemokratie und aus dem freien Markt eine | |
neue Form von Staatskapitalismus. Die drei Felder dieser Transformation | |
sind Ökonomisierung, Privatisierung und Medialisierung. | |
Ökonomisierung besagt nach Colin Crouch die Überantwortung von | |
Allgemeingütern, Staatsaufgaben und Wohlfahrtspflichten an den Markt. Der | |
Staat verwandelt nicht nur eigene Angelegenheiten in Unternehmen nach | |
wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern versteht sich schließlich selbst | |
als ein solches, weshalb Politik machen und "managen" einander immer | |
verwandter werden. | |
Privatisierung hingegen bedeutet genau das Gegenteil: Die Überantwortung | |
von Teilen der Ökonomie und der ökonomisierten Politik an dominante Kräfte, | |
denen es gelungen ist, die ursprünglichen Gesetze des freien Marktes außer | |
Kraft zu setzen: etwa Konzerne oder Oligopole. Der Staat ökonomisiert also | |
zuerst ein Stück seiner "Verantwortung", um es dann, wenn es "für den Markt | |
fit" gemacht wurde, einem Konzern zu überantworten. Sie widersprechen | |
einander aber auch, insofern sie zugleich Elemente des Kapitalismus und des | |
Postkapitalismus der globalen Oligopole (und Oligarchien) miteinander in | |
Beziehung setzen. | |
## Politikerworten zum Trotz | |
Der Neoliberalismus ist somit eine kapitalistische Bewegung, die dem Markt | |
zugleich immer mehr Zonen des öffentlichen und privaten Lebens einverleibt, | |
bis zum Wasser, das wir trinken, und der Luft, die wir atmen. Zugleich wird | |
dieser vergrößerte Markt als Feld von Angebot, Nachfrage, Innovation und | |
Nachhaltigkeit im Dienste weniger dominanter "Spieler" vernichtet. | |
Offensichtlich ist diese Transformation von Ökonomie und Politik nicht mehr | |
aufzuhalten, denn sie nimmt an Dynamik von Tag zu Tag zu, und das, obwohl | |
es an mahnenden Stimmen und an salbungsvollen Politikerworten nicht fehlt. | |
Und dort, wo man doch auf Widerstand trifft, wird eine staatliche Gewalt | |
entfaltet, die im offensichtlichen Widerspruch zu dem beschworenen | |
gemeinsamen Krisengeist und "Verständnis" für den zivilen Ungehorsam gegen | |
den "wild gewordenen Kapitalismus" steht. | |
Eben hier tritt die dritte Komponente dieser Transformation in Kraft, die | |
Medialisierung und Popularisierung. Jeder Polizeieinsatz ist auch die | |
Produktion eines öffentlichen Bildes und, wie sich dem Reisenden zeigt, | |
nicht allein eines, das sich an die eigene Bevölkerung richtet, sondern | |
auch ein "außenpolitisches" Bild. Das Triumvirat der Umwandlung bildeten | |
bislang Berlusconi, Sarkozy und Merkel. | |
Gemeinsam ist diesen drei Politikern der Transformation, dass sie alles | |
mögliche ausdrücken, niemand aber direkt den brutalen Polizeieinsatz mit | |
ihnen, diesen medialen Installationen, assoziiert. Mehr noch: Die Polizei | |
wird in ihren Regierungszeiten zu einer scheinbar autonomen Gewalt im | |
Staat. Der "harte Polizeieinsatz" ist dabei eher selten eine "Entgleisung", | |
und noch viel seltener ist er durch die Lage vor Ort gerechtfertigt. Er ist | |
eine politisch willentlich produzierte Botschaft. | |
## Merkelismus muss expandieren | |
So sagen die Bilder in den Raststätten, Cafés und Supermärkten in Europa | |
derzeit: Deutschland, das "Gesicht" der Zwangsökonomisierung, versteht, | |
wenn es um die Interessen der technisch-ökonomisch-politischen Komplexe | |
geht, keinen Spaß. Eine Kanzlerin, die gerade eine | |
Hundertachtziggradwendung in der Atompolitik signalisierte, sendet ihre | |
Polizei, wenn ein Teil der Bevölkerung eine Verwirklichung dieser Rede | |
verlangt. | |
Merkelismus, und vielleicht deswegen sind die Bilder vom Polizeieinsatz in | |
anderen europäischen Ländern bedeutender als im eigenen, in dem ja, | |
nebenbei, versprochen wird, man käme heil durch die Krise (die | |
Transformation mithin), wenn nur die anderen, wie die "faulen Griechen", | |
ihre "Hausaufgaben" machten. Durch die Brachialprivatisierung der Politik | |
hat Berlusconi Italien zurückentwickelt, und auch Sarkozys medialisierte | |
Form des Monarchischen im Sonnenkönigs-Regenbogenformat gerät an inner- wie | |
interkulturelle Grenzen. Merkelismus aber ist so unabhängig von seiner | |
Protagonistin wie der Berlusconismus von Berlusconi und der Sarkozysmus von | |
Sarkozy. Doch er ist auf Expansion ausgerichtet und angewiesen. | |
Der Erfolg dieser Spielart der Postdemokratie im eigenen Land hängt | |
entscheidend damit zusammen, dass sie auch anderen Ländern aufgezwungen | |
wird. So sind die Übergangsregierungen der "Technokraten" und "Experten", | |
die mehr oder weniger huldvoll vom Machtpaar Merkel und Sarkozy empfangen | |
werden, nichts anderes als Exekutiven des angewandten Merkelismus. Sie | |
sollen das System reparieren, das dem Merkelismus heilig ist, das | |
Funktionieren der neuen Einheit von Staat und Kapital. | |
Merkelismus ist nicht weniger postdemokratisch als Berlusconismus, nur sehr | |
viel deutscher. Und so senden die Bilder der deutschen Polizei die | |
Botschaft aus: Widerstand wird nicht geduldet. Keine Ahnung, ob das in | |
dieser Deutlichkeit intendiert war. Angekommen ist die Botschaft | |
jedenfalls. | |
1 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Georg Seesslen | |
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