| # taz.de -- Chinas Internetkontrolle: Mehr Zensur gegen Gerüchte | |
| > Behörden reagieren erstaunlich spät auf Berichte über einen angeblichen | |
| > Umsturzversuch. Ein Grund ist der intransparente Machtkampf in der KP | |
| > selbst. | |
| Bild: Der geschasste Bo Xilai bei einem Gesangswettbewerb 2011. | |
| BERLIN taz | Chinas Behörden haben die Internetzensur einschließlich | |
| twitterähnlicher Microblogs verschärft. Begründet wird dies mit der | |
| Verbreitung von Putschgerüchten. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua | |
| meldete am Samstag, 16 Webseiten seien geschlossen und sechs Personen wegen | |
| der „Fabrizierung oder Verbreitung von Onlinegerüchten“ festgenommen | |
| worden. | |
| Den Weibo genannten Twitterklonen von Sina und Tencent, die in China rund | |
| 300 Millionen Nutzer haben, wurde bis Dienstag die Kommentarfunktion | |
| gesperrt. Das Posten von Berichten ist jedoch weiter möglich. | |
| Den Gerüchten zufolge, die die KP-Führung erstuanlicherweise aufgriff, | |
| seien „Militärfahrzeuge in Peking eingerückt und etwas Falsches passiere in | |
| Peking“, wie Xinhua einen Sprecher des amtlichen Internet-Informationsbüros | |
| zitierte. Die Putschgerüchte kursieren seit mindestens zehn Tagen und haben | |
| sich längst als falsch erwiesen. | |
| Hintergrund ist ein Machtkampf im KP-Politbüro, der am 15. März zu der | |
| Absetzung von Bo Xilai, des ehrgeizigen Parteichefs der | |
| 30-Millionen-Einwohner-Metropole Chongqing, führte. Diese wurde nur in | |
| einer dürftigen Mitteilung ohne Angabe von Gründen verkündet. Seitdem | |
| brodelt die Gerüchteküche. | |
| ## Über früheren Polizeichef gestolpert | |
| Als sicher gilt, dass Bos Entmachtung mit Chongqings früheren Polizeichef | |
| Wang Lijun zu tun hat. Er und Bo hatten einen umstrittenen | |
| Anti-Mafia-Kreuzzug in ihrer Stadt durchgeführt, sich dann aber überworfen. | |
| Bo schob Wang auf einen zweitrangigen Post ab. Darauf floh dieser im | |
| Februar in das US-Konsulat in Chengdu und ergab sich später Pekings | |
| Zentralbehörden. Es wird vermutet, dass Bo und Wang gegenseitig belastendes | |
| Material haben. | |
| Bo wollte beim Parteitag im Herbst, bei dem ein Generationswechsel an der | |
| Parteispitze geplant ist, vom Politbüro in dessen Ständigen Ausschuss | |
| aufrücken, das höchste KP-Gremium. Wegen seines neomaoistischen Stils und | |
| seiner umstrittenen Kampagne war Bo liberalen Kräften ein Dorn im Auge. | |
| Nach seiner Absetzung soll den Gerüchten zufolge der ihm nahestehende | |
| Sicherheitschef Zhou Yongkang im Pekinger Regierungsviertel geputscht | |
| haben. | |
| ## Machtkampf offenbar auch unter den Zensoren | |
| Letzte Woche kursierten Gerüchte, Bo hätte Polizeichef Wang entmachtet, | |
| weil dieser Bos Frau mit dem Tod eines britischen Geschäftsmanns in | |
| Verbindung brachte. Der Bekannte Bos wurde im November tot in seinem | |
| Hotelzimmer in Chongqing aufgefunden. Als Todesursache wurde exzessiver | |
| Alkoholkonsum genannt. Doch war weder das Opfer für Alkoholkonsum bekannt | |
| noch hatte vor der Kremation der Leiche eine Autopsie stattgefunden. | |
| Staatliche Eingriffe in das Internet in China sind bekannt. Doch fällt auf, | |
| dass die Behörden im Unterschied zu Bos Namen, der im Internet heute kaum | |
| noch zu finden ist, sehr lange zur Zensur der Putschgerüchte brauchten, und | |
| diese dann sogar noch selbst wiederholten. Offenbar hat der Machtkampf | |
| inzwischen selbst die Zensoren erfasst. | |
| 1 Apr 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Sven Hansen | |
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