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# taz.de -- Skandal um chinesischen Spitzenpolitiker: Der tiefe Fall des Bo Xil…
> Bo Xilai war die Galionsfigur von Chinas Neuer Linker. Sein Sturz hat das
> Kräfteverhältnis innerhalb der kommunistischen Führung erheblich
> verschoben.
Bild: Vordenker oder Mao-Nostalgiker: Bo Xilai bei einem Revolutionsliederkonze…
PEKING taz | Eigentlich war für den diesjährigen Nationalen Volkskongress
kein brisantes Thema vorgesehen. Im Gegenteil, in diesem Jahr galt es als
besonders wichtig, Harmonie zu bewahren, steht doch im Herbst ein wenn auch
bereits festgelegter Wechsel an der Spitze an. Am Ende kam es aber dennoch
zum Showdown. Regierungschef Wen Jiabao verkündete die Absetzung des bis
dahin so populären Spitzenpolitikers Bo Xilai vom Posten des
Stadtparteichefs der 30-Millionen-Einwohner-Metropole Chongqing. Als Grund
nannte er den Korruptionsskandal um dessen Frau Gu Kailai.
In westlichen Demokratien mag solch ein Vorgang als normal gelten, in China
aber hat es so etwas seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf
dem Tiananmenplatz vor 22 Jahren nicht mehr gegeben. Denn mit dem Sturz von
Bo Xilai gelangt nicht nur erstmals seit langer Zeit ein heftiger
Machtkampf innerhalb der chinesischen Führung an die Öffentlichkeit. Was
diesen Fall politisch so brisant macht, ist, dass Bo populär war und für
eine bestimmte Strömung stand: die Neue Linke.
Chinas unterschiedliche politische Strömungen werden vor allem an Städten
festgemacht, in denen bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische
Experimente ausprobiert werden. So steht etwa die südchinesische Stadt
Guangzhou am Perlflussdelta für die rein auf Export ausgerichtete
Industriepolitik, Chongqing ist die Modellstadt der Neuen Linken. Neu, weil
sie sich nicht als Anhänger von Mao Tse-tung betrachtet und Marktwirtschaft
an und für sich befürwortet. Links, weil sie in Abgrenzung von den
Marktliberalen die rapide wachsende soziale Ungleichheit in China
anprangert.
## Die größte Stadt der Welt
Mit 30 Millionen Einwohnern administrativ gesehen die größte Stadt der
Welt, war Chongqing noch bis vor Kurzem der Inbegriff von Chinas
rückständigem Binnenland. In den vergangenen Jahren hat sich aber der
einstige Moloch am Oberlauf des Jangtse-Flusses zu einer pulsierenden
Metropole entwickelt, und nun weist er die landesweit höchsten
Wachstumsraten auf. Was Chongqing von den reichen Küstenregionen vor allem
unterscheidet: der starke Einfluss der Staatsunternehmen.
Die Idee, die hinter diesem sogenannten Chongqing-Experiment steckt: Der
Staat soll über den Gewinn der Unternehmen Einnahmen generieren, und zwar
nicht über Steuern, sondern auch als Eigentümer. Mit diesem Geld will die
Stadt nicht nur den Ausbau der Infrastruktur finanzieren, sondern auch ein
Sozialsystem – und zugleich dafür sorgen, dass die Steuern für kleine und
mittelständische Unternehmen niedrig bleiben.
Marktliberalen ist diese Form der Staatswirtschaft ein Dorn im Auge. Und es
sind bei Weitem nicht nur ausländische Unternehmen, die vor einer Rückkehr
Chinas zur Planwirtschaft warnen. Vor allem die liberalen Medien aus
Guangzhou, dem Gegenmodell zu dem Chongqing-Experiment, wettern seit Jahren
heftig gegen den Einfluss der Staatsbetriebe. Negativ rechneten sie Bo auch
an, dass er im Zuge der Feierlichkeiten für 90 Jahre Kommunistischer Partei
im vergangenen Jahr in den Chor roter Lieder und Kampagnen einstimmte, und
warfen ihm vor, er sehne sich zurück nach der Kulturrevolution. Dabei
hatten Parteifunktionäre im ganzen Land kräftig mitgesungen.
## Politischer Todesstoß
Die Affäre um Bos Ehefrau Gu Kailai dürfte für die marktliberalen Kräfte
der willkommene Anlass gewesen sein, sowohl Bo als auch dem
Chongqing-Experiment den politischen Todesstoß zu versetzen. Und in der Tat
hat es diese Affäre in sich. So war am 6. Februar der Polizeichef von
Chongqing überraschend ins US-Konsulat in der Nachbarstadt Chengdu
geflüchtet, weil er ganz offensichtlich um sein Leben bangen musste.
Inzwischen sind die Hintergründe, wenn nicht offiziell bestätigt, so doch
bekannt.
Wie zumindest Informanten berichten, die wiederum sich auf die Ermittlungen
berufen, war der Tod eines britischen Geschäftsmanns im November 2011 in
Chongqing keineswegs durch „übermäßigen Alkoholkonsum“ verursacht, wie es
bislang offiziell hieß. Der 41-Jährige wurde vergiftet. Und ein Tatmotiv
wurde auch gleich vermutet: Bos Ehefrau Gu Kailai hatte viele Jahre eine
Beziehung mit dem Briten gepflegt.
Es soll zum Zerwürfnis gekommen sein, als sie ihn um den Gefallen bat, eine
erhebliche Summe Geld ins Ausland zu schaffen. Der Brite habe gedroht,
dieses zwielichtige Geschäft öffentlich zu machen. Aus Angst vor dem Ende
der Karriere ihres Mannes habe Gu Kailai den Briten ermorden lassen. Bo
Xilai galt zu dem Zeitpunkt bereits als gesetzt, beim Führungswechsel im
Herbst in den neunköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros aufzusteigen,
Chinas eigentliches Machtzentrum.
Nun ist Bo nicht nur vom Parteivorsitz der Stadt Chongqing gestürzt,
vergangene Woche hat die Staatsführung ihn auch all seiner anderen Ämter
enthoben. Anhänger der Neuen Linken sehen in Bos Absetzung denn auch eine
gezielte Demontage ihrer Ansichten. Und tatsächlich: Hatte Chinas Premier
Wen Jiabao noch bis vor Kurzem für soziale Gerechtigkeit und nachhaltiges
Wachstum geworben, so kritisiert er nun das Chongqing-Modell und fordert
die dortige Parteispitze dazu auf, „ihre Lehren aus dem Ereignis zu
ziehen“.
26 Apr 2012
## AUTOREN
Felix Lee
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