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# taz.de -- Biogas-Skandal in Niedersachsen: „Wir gehen von Totalschaden aus�…
> Im Heidekreis löscht eine Biogasanlage ein Reservoir für geschützte
> Fische aus. Experten halten die Sicherheitsauflagen der Technologie für
> mangelhaft.
Bild: Wegen des Fischsterbens im Lünzener Bruchbach gerät auch der Eisvogel i…
BERLIN taz | Der Landkreis Rotenburg in Niedersachsen erlebt gerade eine
riesige Umweltkatastrophe – ohne dass ein Atomkraftwerk im Spiel ist. Die
Auswirkungen der Havarie einer Biogasanlage im benachbarten Heidekreis am
Sonntag sind verheerend: Etwa 400 Kubikmeter Gärsubstrat sind aus der
Biogasanlage in Schultenwede in den angrenzenden Lünzener Bruchbach
gelaufen, das entspricht einer Ladung von 400.000 Litern konzentrierter
Nährstoffe.
Laut Jürgen Cassier, Leiter der Naturschutzbehörde des Landkreises
Rotenburg, haben Teile des Substrats sich im Wasser zu Ammoniak entwickelt.
Für Fische ist das tödlich. 10 Kilometer entlang des Flusslaufes seien alle
Tiere sofort verendet. „Wir haben die Fische hier Eimerweise herausgezogen
und gehen von einem Totalschaden aus“, sagt Cassier, dessen Landkreis weit
stärker als der Heidekreis betroffen ist, in dem die Anlage steht.
Der Landwirt, der sie betreibt, war für eine Stellungnahme nicht zu
erreichen. Stattdessen berichtet Ralf Gerken, Fischereibeauftragter des
Landessportfischerverbandes, der die havarierte Anlage am Sonntag
begutachtet hat: Ein Pumpsystem sei ausgefallen, weshalb die Anlage die
Gärreste aus Gülle und Pflanzenresten irgendwann nicht mehr halten konnte.
## Keine weiteren Sicherheitsvorkehrungen
Auf dem Hof bestehen laut Gerken außerhalb des Anlagengehäuses keine
weiteren Sicherheitsvorkehrungen wie ein Schutzwall oder ähnliches, weshalb
die halbflüssigen Abfälle direkt in einen Wassergraben und von dort in die
angrenzenden Flüsse gelangten.
„Jede andere Technologie mit Gefahrenpotential hat zwei bis drei
kombinierte Sicherheitsebenen – warum gilt das für Biogasanlagen nicht?“,
sagt Gerken. Besonders ärgert ihn, dass er gegen den selben Betreiber der
Biogasanlage schon 2010 eine Anzeige wegen Verdreckung des Wassergrabens
gestellt hatte.
„Wir haben es bei den Biogasanlagen mit einem komplett zersplitterten
Regelwerk zu tun, das dazu auch noch unvollständig ist“, sagt Oliver
Kalusch, Mitglied der Kommission für Anlagensicherheit, die das
Bundesumweltministerium berät. Der Physiker glaubt, dass die vermeintlich
umweltfreundliche Technologie in ihren Risiken unterschätzt wird.
Denn trotz eines regelrechten Zubau-Booms durch etliche Kleinbauern in den
vergangenen Jahren und mittlerweile knapp 6000 Anlagen bundesweit gibt es
noch immer keine einheitlichen Sicherheitsanforderungen. Es sei klar, dass
für Biogas keine Auflagen wie bei der Kernkraft gelten könnten, sagt
Kalusch. Durch ihr enormes Gefährdungspotential brauche sie
selbstverständlich besondere Auflagen.
## Störfallverordnung gilt nur für Großanlagen
Doch während für AKW bundesweit ein Sicherheitskonzept mit vier
Sicherheitsebenen Standart ist, gilt die Störfallverordnung bei Biogas
ausschließlich für einige wenige Großanlagen. Nur sie müssen zwei
Sicherheitsebenen – nämlich konkrete Maßnahmen zur Verhinderung und zur
Abminderung von Störfällen – berücksichtigen.
„Die meisten der durchaus zahlreichen Havarien in kleineren Anlagen sind
gar nicht meldepflichtig. Davon erfahren Sie höchstens aus der Zeitung,
wenn mal wieder ein ganzer Fluss versaut ist oder jemand eine Gasvergiftung
hat“, kritisiert Kalusch. Auch im Vergleich zur Kohlekraft schneiden die
Sicherheitsbestimmungen der relativ jungen Biogastechnologie schlecht ab:
Während für die meisten Kohlekraftwerke das 13.
Bundesimmissionsschutzgesetz gilt, fallen nur bestimmte Biogasanlagen unter
eines dieser Bundesgesetze, ein eigenes gibt es noch nicht.
Laut Kalusch bräuchte es dafür erst einmal standardisierte Anlagen. „Bisher
gibt es bei Biogas gar keinen Stand der Technik, alle Anlagen arbeiten
anders, manchmal passen nicht einmal die Komponenten eines einzelnen
Kraftwerks zusammen.“ Viele einzelne Landwirte experimentierten mit den
Anlagebestandteilen, bauen stetig weiter und aus.
Sie dabei zu überwachen, ist Sache der Länder und Landkreise. Kalusch sieht
das als fatal an: Vor allem die Kreise seien mit der Kontrolle der Anlagen
sowohl fachlich als auch organisatorisch häufig überfordert. Ralf Gerken
vom Fischereiverband glaubt, dass dies auch auf den Heidekreis zutrifft.
Denn er hatte gegen den selben Betreiber der Biogasanlage schon 2010 eine
Anzeige wegen Verdreckung des Wassergrabens gestellt.
## Erste Havarie 2010
Schon damals hatte er einen Schutzwall gefordert, denn es war
Sickerflüssigkeit, hochkonzentrierter Stickstoff, ausgetreten. Laut Kreis
und dem zuständigen Gewerbeaufsichtsamt Celle, das dem niedersächsischen
Umweltministerium untersteht, war ein Schutzwall bei der Zulassung der
Anlage 2008 noch nicht Stand der Technik. Nach der ersten Havarie 2010 habe
man diesen nachträglich vorgeschrieben. Doch geschehen ist bis jetzt
offenbar nichts, das Gärsubstrat lief vollkommen ungehindert in den
Wassergraben und die Flüsse.
Weder das Gewerbeaufsichtsamt noch der Heidekreis fühlen sich
verantwortlich. Die Verantwortung zur Kontrolle der Anlage ging im März
2011 aus formalen Gründen auf den Kreis über. Und wer hätte wann den
Schutzwall kontrollieren müssen? Beide Ämter schweigen. Gerken sagt: „Es
gibt dauernd Havarien mit Auswirkungen auf die Gewässer der Region, aber
Konsequenzen hat das nie“
Laut der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe kamen in Biogasanlagen im Jahr
2010 durchschnittlich 60 Störfälle pro Jahr auf mittelgroße Anlagen mit 500
Kilowatt Leistung. Systematische bundesweite Studien und Untersuchungen zu
den Auswirkungen auf die Umwelt gibt es hingegen nicht.
Reinhild Benning, Agrarexpertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz
(BUND), sagt: „Diese junge Technologie wurde noch nie richtig evaluiert,
auch das Risikopotential nicht“. Biogasanlagen einzelner Bauern - wohl
gemerkt nicht durch Maismonokulturen befeuert - seien nötig für die
Energiewende von unten.
## Anzeige gegen Anlagenbetreiber erstattet
Bund und Länder müssten sich deshalb dringend zusammensetzen und
insbesondere Abstandsregeln für Anlagen zu Gewässern festlegen. Tatsächlich
hat das Bundesumweltministerium das Problem erkannt, es arbeitet an einer
bundesweit gültigen Biogasverordnung. Wann sie kommt, ist indes noch
unklar.
Zu spät jedenfalls für Jürgen Cassier und seine Kollegen von der
Naturschutzbehörde im Kreis Rotenburg. Sie haben Anzeige gegen den
Anlagenbetreiber erstattet und versuchen jetzt, die langfristigen
Auswirkungen der Havarie abzuschätzen. Die Wasserqualität und Strukturen
wie Pflanzen und Kiesbecken im Wümmegebiet seien zwar nicht dauerhaft
geschädigt, sagt Jürgen Cassier von der Naturschutzbehörde.
Die Biodiversität dagegen schon: Eigentlich leben in der Wümmeniederung
laut Cassier viele bedrohte und besonders geschützte Arten wie etwa die
Bachforelle oder die Karpfenart Elritze. „Sie können hier nicht einfach
nachkaufen und aussetzen, das System ist über Jahre gewachsen“, sagt
Cassier.
Ihm zufolge wird es auch Jahre brauchen, um sich zu regenerieren – was auch
magere Zeiten für den Eisvogel und den Fischadler bedeutet, der sich erst
seit einigen Jahren wieder angesiedelt hat.
5 Apr 2012
## AUTOREN
Karen Grass
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