# taz.de -- Mist zu Geld: Das Gülle-Märchen | |
> Kleine Biogasanlagen sollen lukrativer werden. Sie laufen fast nur mit | |
> Kuhdung und Jauche und könnten den Mais-Boom bremsen. In Linne steht | |
> heute schon so eine Anlage. Der Betreiber macht Mist zu Geld. | |
Bild: Heimat der Kühe, die Milch für die Kunden und Dung für die Biogasanlag… | |
LINNE taz | Durch die weitläufigen offenen Ställe weht das ganze Jahr | |
frische Luft - auch jetzt im Winter. Die schwarz-weißen Rinder käuen | |
wieder, die meisten im Liegen, einige wandern herum. Auf einem Hof im | |
kleinen Dorf Linne, etwa 15 Kilometer östlich von Osnabrück geben die Kühe | |
Landwirt Dirk Westrup täglich nicht nur tausende Liter Milch, sondern auch | |
Gülle und kräftigen Mist - den Rohstoff für Westrups Biogasanlage. | |
Rund um die Uhr läuft in der Anlage auf dem Hof ein Motor mit 190 Kilowatt, | |
der Biogas verbrennt und so Wärme und Strom produziert - im Jahr 1,65 | |
Millionen Kilowattstunden. Das entspricht der Menge, die 400 | |
Vier-Personen-Haushalte durchschnittlich verbrauchen. 22 Cent pro | |
Kilowattstunde garantiert auf 20 Jahre bekommt der Hof, den Westrup | |
zusammen mit seinem Bruder und einem weiteren Landwirt betreibt. | |
Der Hof von Westrup ist mit 520 Milchkühen und zahlreichen weiteren Rindern | |
ungewöhnlich groß und kann deshalb eine solche Anlage seit knapp drei | |
Jahren rentabel betreiben. Aber jetzt wird dieses Biogas-Modell auch für | |
mittlere und kleinere bäuerliche Betriebe interessant: Seit Beginn dieses | |
Jahres gilt eine veränderte Fassung des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), | |
das auch kleine Gülle-Biogasanlagen für Landwirte attraktiv macht. | |
Jetzt werden auch kleine Anlagen mit einer Leistung bis 75 Kilowatt | |
gefördert. Die Vergütung ist bemerkenswert: 25 Cent pro Kilowattstunde, | |
garantiert auf 20 Jahre. Damit wird das Modell des großen Hofes aus Linne | |
jetzt auch für mittlere und kleinere landwirtschaftliche Betriebe Erfolg | |
versprechend. | |
Diese Art von Biogasanlagen ist bisher die große Ausnahme. Bislang | |
besonders gefördert wurden großen Biogasanlagen mit einer Leistung von 500 | |
Kilowatt oder mehr. Sie werden überwiegend mit der Energiepflanze Mais und | |
nur geringeren Mengen an Gülle und Mist betrieben. Die Folge: Zunehmend | |
breitet sich Mais auf den Flächen aus. Das lässt die Pachtpreise für Bauern | |
in bisher ungekannte Höhen bis zu 800 Euro pro Hektar Ackerland schnellen, | |
die riesigen Monokulturen schaden dem Grundwasser und gefährden die | |
Artenvielfalt. Biogasanlagen sind zum Aufreger-Thema geworden. Landwirt | |
Dirk Westrup sagt: "Unsere Anlage ist sehr verträglich." Eine Gülleanlage | |
verändere nichts an der Agrarstruktur. | |
Die kleineren Kuhdung-Anlagen haben einen weiteren Vorteil: Während die | |
Betreiber von Biogasanlagen auf der Basis von Mais große Mühe haben, | |
Abnehmer für die Wärme zu finden, wird sie in Linne für den Betrieb der | |
Anlage und auf dem Hof verbraucht: Sie fließt in die Wohnhäuser der | |
Westrups, wärmt den Melkstand auf dem Hof und heizt in der Biogasanlage die | |
großen Menge Gülle im Fermenter permanent auf 40 Grad Celsius. Im Winter, | |
wenn die Gülle kalt in die Anlage fließt, muss der 42-jährige Landwirt der | |
energetisch relativ schwachen Gülle etwas Mais oder Gerste zufügen, damit | |
sie gut läuft. Das ist wenig im Vergleich zu den Anlagen, die auf der Basis | |
von Silomais betrieben werden. | |
Jürgen Balsmann, Energieberater der Landwirtschaftskammer in Osnabrück, | |
erwartet für die Zukunft in diesem Bereich eine positive Entwicklung. Nach | |
seiner Einschätzung können Höfe, die cirka 150 Kühe oder Rinder halten, | |
eine solche 75-KW-Anlage rentabel betreiben. "Auch eine Kombination mit | |
einem Nachbarbetrieb ist möglich", gibt Energieexperte Balsmann einen | |
wichtigen Hinweis. Denn das novellierte EEG sieht ausdrücklich vor, dass | |
solche Gülleanlagen vor Ort gemeinschaftlich betrieben werden können. Aber | |
es dürfen - im Gegensatz zu den großen, die Umwelt belastenden | |
Biogasanlagen - keine langen Transportwege für die Gülle entstehen. | |
Offensichtlich hat die Berliner Politik hier aus ihren Fehlern in der | |
Vergangenheit gelernt. Man will die ausufernden landwirtschaftlichen | |
Transporte für Biogasanlagen eindämmen. | |
"Ist das was für uns?", "Ist das technisch machbar auf unserem Hof?", "Ich | |
plane einen neuen Stall, soll ich da die Biogasanlage gleich mitplanen?" | |
Mit solchen Fragen kommen jetzt die Bauern zu Energieberater Balsmann. Für | |
eine optimale Beratung geht er vor Ort auf den Hof, erkundigt sich auch | |
nach möglichen Kooperationen mit Bauern in der Nachbarschaft - aber neue | |
75-KW-Gülleanlagen sind aktuell noch nicht im Bau. Grund für die | |
Zurückhaltung: Der Preis ist noch zu hoch. Stolze 600.000 bis 700.000 Euro | |
verlangen die Anlagebauer. "Das ist einfach zu viel Geld", stellt Jürgen | |
Balsmann nüchtern fest. Mit Investitionskosten von 8.000 bis 10.000 Euro | |
pro installiertem Kilowatt sind selbst bei attraktiver EEG-Vergütung keine | |
Gewinne zu erzielen. | |
Aber dem Energieberater sind aus langjähriger Tätigkeit auch die | |
Marktstrategien der Hersteller vertraut. Deshalb rechnet er damit, dass im | |
Sommer, wenn die Anlagenbauer nach neuen Aufträgen Ausschau halten müssen, | |
die Preise sinken werden. Seine Kalkulation: Zu einem Preis unter 500.000 | |
Euro wäre eine 75-KW-Gülleanlage für einen oder mehrere Bauern rentabel zu | |
betreiben. Schreitet die technische Entwicklung der Gülleanlagen voran, | |
dann wird nicht nur im norddeutschen Dörfchen Linne, sondern auch anderswo | |
auf dem Land das Märchen vom Goldesel war: Aus Mist und Gülle wird | |
elektrischer Strom und Geld. | |
31 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Gunhild Seyfert | |
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