Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ermittlungspannen nach Polizistinnenmord: „Heiße Spur ins Zigeun…
> Im Mordfall Michèle Kiesewetter hatte die Polizei Sinti und Roma unter
> Verdacht. Bei den Rechten wurde nicht ermittelt. Auf eine Entschuldigung
> warten Sinti und Roma bis heute.
Bild: Ermittler suchen 2007 in Heilbronn auf dem Festplatz Theresienwiese nach …
BERLIN taz | Anfang des Jahres, beim Gipfel der Bundesregierung gegen
Rechtsextremismus, hatte Romani Rose es noch einmal versucht. Er
schilderte, wie Sinti und Roma nach dem Mord an der Polizistin Michèle
Kiesewetter öffentlich gebrandmarkt worden seien. Zeitungen spekulierten
damals über Verbindungen zu einem „Clan der Sinti“ oder einer „Roma-Sipp…
Doch so recht interessiert hätten sich Innenminister Hans-Peter Friedrich
(CSU) und Familienministerin Kristina Schröder (CDU) nicht für Roses
Anliegen, berichten Teilnehmer des Gipfels. „Es hat bis heute kein Wort der
Entschuldigung oder Richtigstellung gegenüber unserer Minderheit gegeben“,
sagt Romani Rose, der seit 30 Jahren Vorsitzender des Zentralrats Deutscher
Sinti und Roma ist.
Gleich mehrere Medien hatten in den Monaten nach dem Mord an Kiesewetter am
25. April 2007 auf der Heilbronner Theresienwiese über eine angeblich heiße
Spur berichtet: Sie führe ins „Zigeunermilieu“, zitierte der Stern einen
anonymen Ermittler damals. Um dann den Verdacht mit eigenen Sätzen zum
Vorwurf gegen eine ganze Minderheit zu steigern, die Tat mit ihrem
Schweigen zu decken: „Schließlich hielten sich an jenem verhängnisvollen
25. April mehrere Sinti- und Roma-Familien mit ihren Wohnwagen keine
hundert Meter vom Tatort entfernt auf der Theresienwiese auf. Doch niemand
will etwas gesehen haben.“
Wie man heute weiß, hatten ganz andere vor fünf Jahren in Chemnitz ein
Wohnmobil mit dem Kennzeichen C-PW 87 angemietet, um damit nach Heilbronn
zu fahren und die Polizistin Michèle Kiesewetter zu ermorden: die Neonazis
vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Sie waren es, die sich an den
Streifenwagen heranschlichen, in der die Polizistin Mittagspause machte,
ihr unvermittelt von hinten mit einer 9-mm-Patrone aus einer Pistole Marke
Radom in den Kopf schossen.
## Das „Phantom“ von Heilbronn
Im Sommer 2007 freilich, als die Medien eine heiße Spur ins
„Zigeunermilieu“ witterten, jagte die Polizei noch dem „Phantom“ von
Heilbronn hinterher: einer Frau, die an unterschiedlichsten Tatorten in
halb Deutschland und mehreren Nachbarländern vermeintlich DNA-Spuren
hinterlassen hatte – am Tatort eines Mordes an einer Rentnerin in
Idar-Oberstein; an einer in Gerolstein gefundenen Heroinspritze, in die ein
Kind getreten war; bei Einbrüchen in Dietzenbach, Freiburg und Österreich;
an einer Kugel, die in Worms auf einen Sinto abgefeuert wurde; und
schließlich in dem Dienst-BMW, in dem Michèle Kiesewetter erschossen wurde.
Dass man unter anderem wegen der wild auf der Landkarte verstreuten Tatorte
auf Sinti und Roma als Tatverdächtige kam, hält der Zentralratsvorsitzende
Romani Rose im Rückblick für ein „rassistisches Klischee, das sehr tief in
den Köpfen drinsitzt“. Er sagt heute: „Hier wurde eine Minderheit unter den
Generalverdacht gestellt, eine Polizistin hingerichtet zu haben.“
Erst im Frühjahr 2009 stellte sich heraus: Es gibt kein „Phantom“, das
umherreist und unterschiedlichste Straftaten begeht, vom Einbruch in eine
Gartenlaube bis zum kaltblütigen Mord. Die DNA stammte von einer
Mitarbeiterin einer Firma, deren Wattestäbchen die Polizei benutzt, um am
Tatort Spuren zu sichern. Dass die Ermittler diese Verunreinigung erst nach
Jahren bemerkten, gilt als eine der peinlichsten Pannen der deutschen
Kriminalgeschichte.
Doch selbst nach dieser Schlappe ermittelte die Polizei weiter intensiv
unter Sinti und Roma.
## Oder doch die Russen?
In einem internen Ermittlungsbericht vom 29. April 2010, also gut drei
Jahre nach der Tat, geht das baden-württembergische Landeskriminalamt (LKA)
allen erdenklichen Spuren nach. So wird an einer Stelle spekuliert, dass
Russen hinter der Tat stecken könnten, den es sei „bekannt, dass in
russischstämmigen Kriminellenkreisen der Polizistenmord eine
statusaufwertende Tat darstellt“. Außerdem hatte ein Zeuge in der Nähe des
Tatorts einen Mann gesehen, der hektisch in einen Audi hechtete und dem
Fahrer „dawei, dawei“ zurief (russisch für „Los, los“). Andere
vermeintliche Fährten führten in angebliche Kreise kirgisischer
Drogenschmuggler und serbischer Juwelendiebe.
Gleich an mehreren Stellen in dem internen Bericht, der der taz vorliegt,
befasst sich das LKA dann aber wieder ausführlich mit „Landfahrern“, und
„Zigeunern“, die mit ihren „Sippen“ in der Nähe des Tatorts gelagert
hätten. Zahlreiche Sinti und Roma wurden im Rahmen der Ermittlungen
befragt. In einzelnen Fällen wurden sogar Telefone überwacht, Mikrofone in
Autos eingebaut und Handy-Funkzellen ausgewertet.
Zwar hätten auch zahlreiche weitere Vernehmungen „keine weiterführende
Erkenntnisse“ erbracht, wie es in dem Zwischenbericht des
baden-württembergischen LKA von 2010 heißt; ihre vermeintlich heiße Spur in
Kreise der Sinti und Roma wollten die Ermittler dennoch nicht ganz
aufgeben. Schließlich „hatten die Vernehmungsbeamten einvernehmlich das
Gefühl, dass die Personen mehr über die Tat wissen, als sie angeben“.
## Sinti und Roma als mögliche Opfer
Heute weiß man nicht nur, dass die Täter, die zwischen September 2000 und
April 2007 Michèle Kiesewetter und neun Migranten ermordeten, Neonazis
waren. Sondern auch, dass diese womöglich auch Sinti und Roma als
potenzielle Opfer im Hinterkopf hatten. In den umfangreichen Listen des
Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) mit möglichen Zielen tauchten
auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg und dessen
Dokumentationszentrum auf.
„Wir hoffen, dass die ermittelten Fakten endlich zu mehr
Verantwortungsbewusstein bei den Ermittlungsbehörden beitragen“, sagt der
Zentralratsvorsitzende Romani Rose. Er setzt nun auf die Unterstützung
durch den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann
von den Grünen. Am 10. Mai wird er ihn zu einem Gespräch treffen. Roses
Ziel: Kretschmann zu einer offiziellen Erklärung der Landesregierung zu den
falschen Verdächtigungen der Ermittler gegen Sinti und Roma zu bewegen.
12 Apr 2012
## AUTOREN
Wolf Schmidt
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schwäbische Beamte beim Ku-Klux-Klan: Polizisten, Ritter und Rassisten
Zwei Polizisten aus Baden-Württemberg waren Mitglied im Rassistenbund KKK.
Bekannt wurde das erst jetzt, weil sie Kollegen der vom NSU ermordeten
Michèle Kiesewetter waren.
Sinti und Roma statt NSU unter Verdacht: Das Bedauern des Bundeskriminalamts
BKA-Chef Ziercke bedauert, dass Sinti und Roma nach dem Mord an der
Polizistin Michèle Kiesewetter unter Verdacht gerieten. Die Schuld gibt er
den Medien.
Das Doppelleben der NSU-Mitglieder: Die netten Mörder von Platz M80
Die Naziterroristen des NSU wirkten freundlich – sogar auf Nachbarn mit
Migrationshintergrund. Für die bürgerliche Fassade des Trios war Beate
Zschäpe zuständig.
Kommunen gedenken an NSU-Opfer: Ein Halit-Platz für Kassel
Sieben Städte planen Gedenktafeln für die Opfer der Neonazi-Terrorzelle
NSU. Deren Angehörigen wurden nicht informiert – wollen nun aber
mitsprechen dürfen.
Medienpolitik im Bundestag: Wie eine Ministerin ins Gestern reiste
Medienpolitik findet vorwiegend abends statt. In Sonntagsreden ist Presse
wichtig, ihre Freiheit noch wichtiger. Doch wie sieht es in der
parlamentarischen Realität aus?
Gedenken zu Neonazi-Morden: Nicht einmal Opfer sein dürfen
Beim Gedenken an die Opfer der Neonazi-Terrorzelle spricht eine Tochter vom
Verdacht gegen ihre Familie: "Ahnen Sie, wie sich das anfühlt?"
Protest gegen Nazi-Gewalt: Antifa lässt Böller stecken
Antifaschistische Demonstration in Hamburg verlangt Aufklärung über Terror
des Nationalsozialistischen Untergrunds und Verstrickung der Geheimdienste.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.