# taz.de -- Rederecht im Bundestag: Doch lieber frei Schnauze | |
> Abgeordnete wehren den Maulkorb-Erlass ab: Die Fraktionsspitzen von | |
> Union, FDP und SPD ziehen den Vorschlag für die Einschränkung des | |
> Rederechts zurück. | |
Bild: Es bellt sich leichter ohne Maulkorb. | |
BERLIN taz | Union, FDP und SPD reagieren auf scharfe Kritik an ihren | |
Plänen, das Rederecht von Abgeordneten im Bundestag zu beschneiden. | |
Ihre Parlamentarischen Geschäftsführer ruderten am Montag zurück: „Die | |
Entscheidung in dieser Angelegenheit ist bislang nicht gefallen und wird | |
kurzfristig auch nicht erfolgen“, erklärten Peter Altmaier (Union) und Jörg | |
van Essen (FDP). Zunächst würden sich die Fraktionen in der nächsten | |
Sitzungswoche umfassend mit der Thematik befassen. | |
Altmaier und van Essen betonten: „Ziel der Gespräche ist eine Lösung, die | |
dem freien Mandat des Abgeordneten und der Arbeitsfähigkeit des Parlaments | |
in gleicher Weise Rechnung trägt.“ Auch SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas | |
Oppermann trat verbal den Rückzug an: „Diese Vorschläge sind nicht | |
ausgereift und werden so nicht kommen.“ | |
Schließlich hätten die Fraktionen noch keine Möglichkeit zur Beratung | |
gehabt – und Änderungen der Geschäftsordnung sollten möglichst im Konsens | |
beschlossen werden. | |
## „Im Benehmen mit den Fraktionen“ | |
Damit reagierten die Parlamentarier auf eine Welle der Empörung, die sich | |
nach einer Beschlussempfehlung des Geschäftsordnungsausschusses im | |
Bundestag Bahn brach. Darin hatten Vertreter von Union, FDP und SPD am 22. | |
März gegen die Stimmen von Grünen und Linkspartei beschlossen, das | |
Rederecht von Abgeordneten einzuschränken. Bisher können Abgeordnete nach | |
einer Aussprache eine bis zu fünf Minuten dauernde Erklärung abgeben. | |
Stattdessen sollte es künftig nur schriftliche Erklärungen geben, die zu | |
Protokoll genommen werden müssten. Alternativ könne der Parlamentspräsident | |
auch mündliche Reden erlauben, allerdings nur drei Minuten lang. Zudem | |
schlugen die drei Fraktionen vor, der Präsident – im Moment ist das Norbert | |
Lammert (CDU) – könne in laufenden Debatten „im Benehmen mit den | |
Fraktionen“ weiteren Rednern das Wort für in der Regel drei Minuten | |
erteilen. | |
Mit dieser Reform wollten Union, FDP und SPD auf einen strittigen Fall | |
reagieren. Lammert hatte bei einer Debatte über den Euro im September 2011 | |
auf eigene Faust zwei Abweichler auf die Rednerliste gesetzt – den | |
FDP-Abgeordneten Frank Schäffler und seinen CDU-Kollegen Klaus-Peter | |
Willsch. Beide waren von ihren Fraktionen nicht als Redner vorgesehen. Die | |
Vorschläge stellen deshalb auch Präzisierungen dar. | |
## Viel Kritik | |
Dennoch war die Empörung über die Ideen groß: Quer durch alle Fraktionen | |
protestierten prominente Parlamentarier gegen die Änderungen. So sprachen | |
sich zum Beispiel die Bundestagsvizepräsidenten Hermann Otto Solms (FDP), | |
Wolfgang Thierse (SPD), Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Petra Pau | |
(Linkspartei) gegen den Entwurf aus. Auch innerhalb der | |
Koalitionsfraktionen äußerten viele Kritik. Neben Willsch und Schäffler | |
wandten sich zum Beispiel die in der Fraktion angesehenen | |
Unions-Abgeordneten Wolfgang Bosbach und Ruprecht Polenz gegen den Plan. | |
Mehrere Abgeordnete kündigten an, die geplante Einschränkung durch das | |
Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen. „Die geplanten Änderungen der | |
Geschäftsordnung sind evident verfassungswidrig“, sagte etwa der | |
Linkspartei-Abgeordnete Wolfgang Neskovic. | |
Die helle Empörung in den eigenen Reihen und die Angst vor Karlsruhe | |
alarmierten am Montag die Fraktionsspitzen von Union, FDP und SPD – und | |
ließen sie zum Rückzug blasen. Was die Kritiker mit Genugtuung | |
kommentierten. „Parlamentarismus und Redeverbote widersprechen sich. Das | |
hat nun endlich auch die SPD verstanden“, sagte | |
Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck. „Gut, dass sie der Koalition | |
nun von der Fahne geht.“ | |
16 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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