# taz.de -- Debattieren im Bundestag: Einfach so loslegen geht nicht | |
> Im Bundestag bestimmen fast immer die Fraktionen, wer ans Rednerpult | |
> darf. Ein Alleingang von Bundestagspräsident Lammert hatte einen | |
> Präzedenzfall geschaffen. | |
Bild: Bundestagspräsident Lammert bestimmt die Reihenfolge der Redner im Bunde… | |
BERLIN taz | Das Rederecht der Bundestagsabgeordneten wird in einem | |
komplizierten Verfahren ausgehandelt. Wenn der Ältestenrat des Parlaments – | |
in dem Vertreter aller Fraktionen und Parlamentspräsident Norbert Lammert | |
(CDU) sitzen – die Themen für einen Sitzungstag festgelegt hat, wird die | |
Redezeit verteilt. | |
Grundlage ist die so genannte Berliner Stunde, bei der die Fraktionen gemäß | |
ihrer Mandate berücksichtigt werden. Die CDU bekommt derzeit 23 Minuten, | |
die SPD 14, die FDP 9 und Grüne und Linkspartei je 7 Minuten. Dauert eine | |
Debatte länger als eine Stunde, werden die Zeiten entsprechend verlängert. | |
Dann bestimmen die Fraktionen ihre Redner. Meist haben die ChefInnen und | |
die fachpolitischen Sprecher den ersten Zugriff. Das ist auch sinnvoll, | |
weil sie die Mehrheitsmeinung der Fraktionen abbilden. Es ist angesichts | |
solch knapper Zeiten also nicht möglich, jeden Kritiker eigens zu | |
berücksichtigen. | |
Lammert brach diese Verabredung im September 2011, indem er selbst zwei | |
Kritiker des Euro-Rettungsschirmes aus CDU und FDP auf die Rednerliste | |
setzen. Er berief sich dabei auf einen Paragrafen in der | |
Bundestagsgeschäftsordnung, wonach der Präsident die Reihenfolge der Redner | |
bestimmt. Lammert legt diesen Paragrafen so aus, dass er auch nicht | |
gewünschte Redner besetzen darf. | |
Damit produzierte er einen Präzedenzfall: Im parlamentarischen Betrieb ist | |
Usus, dass die Fraktionen die Festlegung der Redner selbst übernehmen. | |
Entsprechend erteilte ihm der Ältestenrat nach der Debatte eine Rüge. Die | |
Rüge unterstützten damals alle Fraktionen – auch Grüne und Linkspartei. | |
Ebenso erteilte der Ältestenrat dem Geschäftsordnungsausschuss den Auftrag, | |
die Geschäftsordnung zu präzisieren. | |
## „Verfassungsrechtlich bedenklich“ | |
Aus diesem Anliegen heraus erklärt sich die Idee von Union, FDP und SPD, | |
Lammert die Möglichkeit zu geben, „im Benehmen mit den Fraktionen weiteren | |
Rednern (...) das Wort für in der Regel drei Minuten zu erteilen“. | |
Ursprünglich wollte besonders die FDP hier sogar eine stärkere Formulierung | |
– etwa „im Einvernehmen“ mit den Fraktionen. Dies hätte geheißen, dass | |
Lammert ihre Zustimmung für überraschende Redner benötigt hätte. | |
Eine solche Zustimmungserfordernis wäre „verfassungsrechtlich bedenklich“, | |
argumentiert etwa der Grüne Volker Beck. Wobei zumindest fraglich ist, ob | |
dies auch für die gefundene Formulierung zutreffen würde – weil „im | |
Benehmen“ auch als reine Informationspflicht gelesen werden kann. | |
Der zweite strittige Punkt ist die Frage, ob jeder Abgeordnete vor einer | |
Abstimmung weiterhin bis zu fünfminütige Erklärungen abgeben darf. Dieses | |
Recht wollten Union, FDP und SPD ursprünglich beschneiden – zugunsten von | |
schriftlichen Erklärungen oder dreiminütigen Reden. Ein solcher Vorschlag | |
ist angesichts übervoller, langer Plenartage durchaus sinnvoll. Zum einen | |
haben Fraktionen durch dieses Recht ihre Redezeit in der Vergangenheit | |
künstlich ausgedehnt. | |
Bei der Sitzung zu Hilfen für Griechenland im Februar gaben nach der | |
Debatte acht Linkspartei-Abgeordnete Erklärungen ab. Und wiederholten die | |
Argumente ihrer vorher gesetzten Redner. Außerdem ist es durchaus üblich, | |
dass selbst ganze Reden zu Themen im Parlament zu Protokoll gegeben werden | |
– etwa, wenn sie spätabends stattfinden sollen. Wie nach der Empörung und | |
dem Rückzieher die Geschäftsordnung geändert wird, ist unklar. | |
16 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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