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# taz.de -- Debatte Parlamentarismus: Das Ende der Demokratie
> Die Grundlagen des parlamentarischen Systems erodieren zusehends. Die
> Gefahr geht dabei von seinen treuesten Wächtern aus.
Bild: Marjana Simonovska ist als mazedonische Soldatin sechs Monate Teil einer …
Welche Vorstellungen verbinden sich mit den Feinden der Demokratie? Vor dem
geistigen Auge entstehen Bilder von zynischen Diktatoren und Putschisten.
Niemand denkt an nette, umgängliche Leute, die sich selbst für aufrechte
Demokraten halten. Das ist ein Fehler. Diejenigen, von denen derzeit
höchste Gefahr droht, gehören nicht zu den politischen Verbrechern. Sie
meinen es gar nicht böse. Viele Totengräber des Parlamentarismus sehen sich
als seine treuesten Wächter.
Die parlamentarische Demokratie war niemals eine ungefährdete Staatsform,
aber bisher ist sie nirgendwo lautlos und undramatisch abgeschafft worden.
Das ändert sich gerade.
Spiegelstriche in öffentlich zugänglichen Dokumenten werden zu Waffen gegen
das System. Es ist gar nicht mehr nötig, Geheimpapiere zu veröffentlichen.
Die Lektüre der Tagespresse genügt für die Erkenntnis, dass die Grundlagen
des Systems erodieren.
Das Haushaltsrecht – auch als Königsrecht des Parlaments bezeichnet – ist
eine der wichtigsten Aufgaben der Abgeordneten. Was davon übrig bleibt,
wenn es ernst wird, lässt sich angesichts der Krise in Griechenland
beobachten.
Dort wurde das Budgetrecht bereits eingeschränkt. Ein Teil der
Staatseinnahmen fließt auf ein Sperrkonto. Das war im Februar eine
Bedingung der Euro-Finanzminister für weitere Gelder und entsprach auch und
vor allem dem Wunsch der deutschen Bundeskanzlerin.
## Es gibt immer gerade Wichtigeres
Außerhalb Griechenlands war die Erleichterung, eine drohende Staatspleite –
zunächst – abgewendet zu haben, so groß, dass jede demokratietheoretische
Kritik weltfremd wirkte. Es gab doch wahrlich Wichtigeres! Das ist übrigens
ein wiederkehrendes Element, wenn demokratische Strukturen verändert
werden: Es gibt immer gerade Wichtigeres.
Sollte infolge der griechischen Krise wirklich einmal Zahltag sein, dann
bleibt auch vom Haushaltsrecht des Bundestages nicht viel übrig. Es ist
dann nämlich einfach kein Geld mehr da für Gestaltung des Etats.
Die Festung Haushaltsrecht ist also geschleift. Aber das Parlament hat ja
noch weitere, bedeutende Aufgaben. Es entscheidet über Krieg und Frieden.
Noch.
Da Waffen teuer sind, teilen sich militärische Bündnispartner ihre
Aufgaben. Die Idee ist übrigens so neu nicht, wie kürzlich auf dem
Nato-Gipfel in Chicago suggeriert wurde, wo der Eindruck von
Kostenbewusstsein und Innovationskraft erweckt werden sollte. Diese
Arbeitsteilung wird bereits seit Jahren praktiziert und sie wird „Synergie“
genannt.
Früher wurde allerdings behauptet, das ändere selbstverständlich gar nichts
daran, dass auch künftig der Bundestag autonom über die Teilnahme an jedem
Militäreinsatz entscheiden dürfe und müsse. So lästig der so genannte
Parlamentsvorbehalt allen deutschen Bundesregierungen stets gewesen ist, so
wenig glaubten sie, einen Krieg ohne Zustimmung des Parlaments führen zu
können. Auch das hat sich offenbar geändert.
## Stichwort Bündnisfähigkeit
Das Stichwort heißt jetzt Bündnisfähigkeit, und um die gewährleisten zu
können, darf angeblich niemand mehr ausscheren. Die deutsche
Bundesregierung hat bereits signalisiert, am Parlamentsvorbehalt in seiner
bestehenden Form nicht festhalten zu wollen. Jetzt müssen nur noch die
Abgeordneten zustimmen.
Sie werden es schon tun. Hätte nicht Bundestagspräsident Norbert Lammert
tapfer Widerstand geleistet, dann wäre ja kürzlich sogar eine Änderung der
parlamentarischen Geschäftsordnung durchgewunken worden, die das Rederecht
von „Abweichlern“ im Bundestag verkürzt hätte – also von Abgeordneten, …
nicht die Meinung ihrer jeweiligen Fraktion vertreten. Dabei hat der
Fraktionszwang keinen Verfassungsrang. Das Gewissen der Abgeordneten
hingegen schon.
Die Rechte der Parlamentarier genießen in der öffentlichen Diskussion
derzeit keinen hohen Stellenwert mehr. Ihre wichtigste Aufgabe besteht
übrigens darin, die Regierung zu kontrollieren. Wie sollen sie das tun,
wenn ihnen die meisten wirksamen Instrumente erst einmal genommen worden
sind?
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschien kürzlich ein
erhellender Kommentar. Der Autor kritisierte die SPD dafür, dass sie im
Bundestag gegen eine Ausweitung des Mandats der Militäroperation vor dem
Horn von Afrika gestimmt hat.
Wenn es den Sozialdemokraten ernst gewesen wäre mit ihrer Überzeugung, so
meint der Verfasser, „dann hätten sie viel früher in befreundeten
Staatskanzleien der EU-Mitgliedsländer ihren Argumenten Geltung verschaffen
müssen“. Da ja fast immer Parteifreunde in irgendeinem anderen EU-Land an
der Regierung seien, wäre das „eigentlich das Mittel der Wahl“, um einen
einstimmigen Beschluss der EU-Regierungen zu verhindern. Statt „einer
folgenlosen Demo im Bundestag“.
## Demo im Bundestag
Hoppla. So weit sind wir also inzwischen. Wenn Abgeordnete im Bundestag das
tun, wofür sie gewählt wurden – nämlich entsprechend ihrer politischen
Überzeugung zu stimmen –, dann ist das eine folgenlose „Demo“. Vielleicht
sollte die Opposition die Abgabe ihres Votums demnächst bei der Polizei als
politische Kundgebung anmelden.
Wahr ist: Je enger die supranationale Verzahnung, desto geringer der
Handlungsspielraum auf nationaler Ebene. Niemand hat je bestritten, dass
die EU gravierende strukturelle Defizite im Hinblick auf die Demokratie
aufweist. Aber stets wurde so getan, als ließe sich das schon regeln –
irgendwann, wenn die Sonne mal ganz lange scheint. Als ob es eine neue
Erkenntnis wäre, dass jede Exekutive gefräßig ist und ihre Macht vergrößern
will. Das gilt auch für demokratisch gewählte Regierungen. Die
Gewaltenteilung ist ja nicht zum Spaß eingeführt worden.
Diese Gewaltenteilung wird gerade abgeschafft. Möglich, dass Historiker
unsere Gegenwart einmal das „postdemokratische Zeitalter“ nennen werden.
Und sagen werden, dass der Systemwandel von der Bevölkerung achselzuckend
hingenommen wurde. Das wäre traurig.
3 Jun 2012
## AUTOREN
Bettina Gaus
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