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# taz.de -- Kommentar Prozess Breivik: Das Recht der Täter
> Breiviks Tiraden anzuhören, werden Angehörige der Opfer und alle anderen
> aushalten müssen. Die Berichterstattung über den Prozess eindämmen zu
> wollen, ist ein Trugschluss.
Bild: Im Ziel, Recht zu sprechen, müssen alle Beteiligten die Möglichkeit hab…
Ein Strafprozess ist ein Strafprozess ist ein Strafprozess. Ein solches
Verfahren hat nicht die Aufgabe, die Öffentlichkeit zu unterhalten. Es geht
auch nicht darum, Tätern oder Opfern eine Bühne für ihre Selbstdarstellung
zu bieten. Ziel ist einzig und allein, Recht zu sprechen. Und dazu zählt
allerdings, dass alle Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit haben, sie zu
äußern. Der wohl wichtigste Beteiligte aber ist der Angeklagte. Es sollte
darum eine Selbstverständlichkeit sein, dass dieser auch ausführlich zu
seinen Motiven der Tat Stellung nimmt, so menschenverachtend sie auch sein
mögen.
Vor 30 Jahren gab es Bemühungen der bundesdeutschen Justiz, genau diese
Möglichkeit des Angeklagten einzuschränken. Das betraf die vermeintlich
politischen Prozesse gegen Mitglieder der RAF, denen es damals darum ging,
ihre Sicht der Dinge ausführlich und bisweilen weitschweifig erklären zu
können.
Die linke und liberale Öffentlichkeit hat diese Versuche der Einschränkung
von Rechten des Angeklagten zurecht verurteilt, und das nicht, weil sie die
RAF-Taten etwa guthieß. Nun ist der 77-fache Täter Anders Behring Breivik –
ein Mörder ist er übrigens solange nicht, bis er nicht wegen Mordes
verurteilt worden ist – gewiss nicht mit dem Tätern aus den Reihen der RAF
vergleichbar.
Allerdings bemüht sich auch Breivik, aus seinem Prozess ein politisches
Verfahren zu machen, weil er in dem Irrglauben lebt, die norwegische
Gesellschaft mit seinen Taten retten zu wollen. Das aber ist angesichts der
Montrösität des Geschehenen ein Versuch, der von Vorneherein zum Scheitern
verurteilt ist. Allein Breiviks Versuch, sich selbst als Aktivist gegen das
Böse zu stilisieren, ist nicht strafbar und daher erlaubt. Er hat im Rahmen
der Strafprozessordung jedes Recht dazu.
Es mag für die norwegische Gesellschaft schmerzhaft und für die
überlebenden Opfer und ihre Angehörigen furchtbar sein, den Tiraden
Breiviks zuhören zu müssen. Aber es führt kein rechtstaatlicher Weg daran
vorbei. Etwas ganz anderes ist es, was die Medien aus dieser Öffentlichkeit
des Gerichts machen. Und das gibt es natürlich auch diejenigen, die
angesichts des Verbrechens glauben, ihre Leser mit besonders ekelhaften
Zitaten im Fettdruck bedienen zu sollen, weil das Verbreitung und Auflage
steigern könnte. Aber alleine deswegen auf die Idee zu verfallen, die
Berichterstattung als solche nun eindämmen zu wollen, ist ein Trugschluss.
Es ist auch keineswegs unbedeutend, ob Breivik bei seiner Tat
unzurechnungsfähig war oder nicht. Denn davon hängt ab, ob er überhaupt
bestraft werden kann oder ob er für immer in einer Anstalt verschwinden
muss.
Aber auch jenseits des Strafrechts kann man nicht einfach mit einem
Achselzucken über diese Frage hinweg gehen. Die Taten Breiviks mögen uns
wahnsinnig vorkommen. In einer anderen Zeit und in einer anderen
Gesellschaftsordung aber wären sie möglicherweise auf breiten Beifall
gestoßen. Breivik war nach allem, was wir wissen, ein Einzeltäter. Aber
auch Einzeltäter konnten in der Vergangenheit quasi repräsentativ für eine
Gesellschaft ihre Taten verüben, ja, sie konnten mit ihren Taten Geschichte
machen.
Schon gar nicht lassen sie sich ohne genaueste Prüfung und psychiatrische
Gutachten umstandslos als Irre qualifizieren. Das wäre zwar schön, weil wir
uns dann nicht näher mit ihnen befassen müssen, das entspräche zudem dem
verständlichen Impuls, sich mit solchen Taten grundsärztlich überhaupt
nicht befassen zu wollen – aber grundfalsch. Denn möglicherweise ist dieser
Anders Behring Breivik auch ein Sypmton für Tendenzen in einer
Gesellschaft, die es zu bekämpfen und abzustellen gilt.
Einzeltäter, wenn auch in einer kleinen Gruppe und unterstützt von einem
Netzwerk, deren Maschen wir noch nicht in allen Einzelheiten kennen, waren
auch die Täter der rechtsradikalen NSU in Deutschland. Im nächsten Jahr
wird sich voraussichtlich die einzige Überlebende des Trios, Beate Zschäpe,
für ihre Beteiligung in einem Strafprozess verantworten müssen. Es ist noch
nicht sicher, ob das ein Mordprozess sein wird. Anders als bei Breivik kann
sie auf einen Kreis von Sympathisanten zählen, anders als bei ihm spricht
nichts dafür, dass sie unzurechungsfähig ist. Es ist durchaus denkbar, dass
Zschäpe in dem Verfahren ihr bisheriges beharrliches Schweigen bricht.
Sollte das der Fall sein, sollte sie ihre Sicht der Dinge darstellen
wollen, einschließlich einer zutiefst menschenverachtenden, rechtsradikalen
Gesinnung – dann, ja dann muss ihr dieses Recht so selbstverständlich
gegeben werden wie beim kleinsten Eierdieb.
Die deutsche Gesellschaft wird es aushalten müssen, die Angehörigen der
Ermordeten werden es aushalten müssen und die Medien werden jeder für sich
entscheiden müssen, wie weit sie solche Aussagen wiedergeben.
18 Apr 2012
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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