# taz.de -- 1. Mai in Berlin: Die lästige Krawallfrage | |
> Der 1. Mai ist der Tag für widerständige Praxis, sagt der Sprecher der | |
> Demo-Organisatoren. Darum ist er wieder dabei. Er sieht sich selbst nicht | |
> als „Bilderbuch-Autonomen“. | |
Bild: Das Symbol muss gepflegt werden: 1. Mai in Berlin. | |
BERLIN taz | Draußen strahlt noch die Sonne, aber im Kreuzberger Café | |
Kommune schummert’s schon. Stehlampen, Sofas, Sessel – Wohnzimmerstimmung. | |
Wären da nicht die Skamusik vom Tresen und das rote Plakat an der Wand, „25 | |
Jahre 1. Mai“. Jonas sitzt auf einem der Sofas. Das Plakat hat er | |
mitentworfen. Der Mittzwanziger stellt sich als Zuständiger der | |
Öffentlichkeitsarbeit für das „Revolutionäre 1. Mai Bündnis“ vor. So vi… | |
Professionalität gönnt sich die autonome Szene inzwischen. | |
Vor ihm liegen zwei Handys, ein privates und eins für die Presse. Es ist | |
ein umgänglicher, höflicher Mann, der da im Café einen Kaffee ordert und | |
Zigaretten rollt. Hornbrille, graue Trainingsjacke, Jeans – wenig vom | |
Klischee eines Autonomen. Immerhin trägt er ein schwarzes Basecap mit | |
„Refugees welcome“-Aufschrift. | |
Ein „Bilderbuch-Autonomer“ sei er nicht, gesteht Jonas gern. Dieser | |
militante Gestus sei nicht so seins. Was nicht heiße, dass er das System, | |
diesen „Wahnsinn Kapitalismus“, nicht ablehnen würde. Zum Privaten gibt es | |
nur Stichworte: 26 Jahre alt, Student der Ingenieurwissenschaften. Das muss | |
reichen. Und natürlich ist Jonas nicht sein richtiger Name. | |
Der 1. Mai, sagt er, sei hierzulande immer noch die stärkste linksradikale | |
Manifestation und deshalb wichtig. Ein Ritual? Jonas spricht lieber von | |
einem Symbol. „Jeder weiß, dass dieser Tag für widerständische Praxis | |
steht, dass die Linke da gegen Kapitalismus und Krieg auf die Straße geht.“ | |
## Von Kreuzberg ins Machtzentrum | |
Das Symbol muss gepflegt werden. In diesem Jahr haben die Demoorganisatoren | |
etwas Neues vor. Von Kreuzberg wollen sie ins Stadtzentrum ziehen. Richtung | |
Regierungsviertel. Der Widerstand soll ins Zentrum der Macht. Auf dem Weg | |
dorthin wollten sie auch an der Zentrale des Springer-Verlages | |
vorbeilaufen. Die Polizei untersagte das, aus Sicherheitsgründen. | |
Eine Behördensprecherin nannte die Entscheidung einen „Kompromiss“, nach | |
gegenseitigem Entgegenkommen. Pah, sagt Jonas, „reine Polizeipropaganda“. | |
Jetzt ist er in der Autonomenrolle. Über die lästige Krawallfrage will er | |
eigentlich nicht sprechen. Warum diskutiere man Sicherheitsfragen, die | |
eigentlich politische seien?, entgegnet Jonas. | |
Als Autonome kürzlich ein Freiluft-Forum von BMW und Guggenheim aus | |
Kreuzberg vertrieben, beschimpfte Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) | |
die Gegner als „Chaoten“. Eigentlich sei es bei dem Konflikt um | |
Gentrifizierung und die PR-Show eines Unternehmens gegangen, sagt Jonas. | |
Aber alle diskutierten über Gewalt, dabei sei kein Stein geflogen. Dann | |
schickt er einen markigen Satz hinterher: „Wir lassen uns in unserem | |
Widerstandsrepertoire nicht auf das bürgerlichen Gesetzbuch begrenzen.“ Und | |
er selbst? Er hält kurz inne. „Der Satz gilt auch für mich.“ | |
## Wegen der Musik gekommen | |
Jonas war 16 Jahre, als er zum ersten Mal den 1. Mai in Kreuzberg erlebte. | |
Da hatten die Autonomen Kreuzberg schon fast verloren – an das Myfest, ein | |
Straßenfest, mit Bühnen an jeder Ecke. Auch Jonas war wegen der Musik | |
gekommen. Aber das Rebellische faszinierte ihn. Das Großbanner über der | |
Oranienstraße: „Keine Befreiung ohne Revolution“. | |
Am Abend die Demo der Linksradikalen. Später macht er bei | |
Anti-Nazi-Aktionen mit, mit 21 Jahren wird er Mitglied einer Berliner | |
Antifa-Gruppe. 2008 gehört er zum Organisationsteam der 1.-Mai-Demo. Am | |
Dienstag wird er auf einem Lautsprechertruck mitfahren, Reden verlesen. | |
Sein Thema, sagt er, sei Armut, da bekomme er die Wut. Es gebe ja keinen | |
Mangel auf der Welt, nur sei der Kapitalismus nicht für eine gerechte | |
Verteilung seiner Güter vorgesehen. Mit dieser Position stünde der Student | |
auch in linken Parteien nicht allein. „Die Sache ist doch“, sagt Jonas, | |
„wie ernsthaft stelle ich die Frage nach dem Grundsätzlichen, nach | |
Gesellschaftsalternativen?“ | |
## Lächerliche Parole? | |
Das vergangene Jahr macht ihm Hoffnung. In Arabien rebellierten die Bürger, | |
in New York und Europa besetzten sie Plätze. „2011 hat den Leuten gezeigt, | |
dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist.“ Aber erscheint da | |
die Parole nach Revolution in Kreuzberg nicht umso lächerlicher? Auch in | |
Deutschland gehe es den Leuten dreckig, widerspricht Jonas. Hartz IV, | |
Mietsteigerungen, Billiglöhne. | |
Dass der 1. Mai erstmals seit Jahren wieder unter einem CDU-Innensenator | |
stattfindet, interessiert Jonas weniger. „Wir haben unter dem alten Senat | |
nicht gekuschelt und wir tun das auch jetzt nicht.“ Auch dass Berlins | |
Polizei gerade von einer Frau geführt wird, einer liberalen noch dazu, | |
sieht Jonas unproblematisch. Es gehe ja nicht um Personen, es gehe um die | |
Verhältnisse. Dann schaut er aufs Handy. Er muss los. Eine andere | |
Journalistin wartet. | |
29 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
## TAGS | |
Tag der Arbeit, Tag der Proteste | |
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