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# taz.de -- Wolfgang Kubicki: Der gelbe Ichling
> Wolfgang Kubicki ist der profilierteste Oppositionelle der FDP. Kein Typ
> Landesvater. Niemand, der das Volk sucht. Von sich aus redet er lieber
> mit Journalisten.
Bild: Zwischen gelben Rosen und Putenwurst im Wahlkampf-Vollmodus: Wolfgang Kub…
GETTORF taz | Jemand hat gelbe Rosen gekauft. Nun steht der Spitzenkandidat
auf dem Gettorfer Wochenmarkt im Gewühl. Es windet, und es naht eine
Bürgerin. „Ich habe gesehen, dass Sie hier sind“, sagt die ältere Dame
herzlich zu Wolfgang Kubicki. Der schaut sie aus seinen blauen Augen an und
reicht ihr eine gelbe Rose. „Machen Sie sich keine Sorgen“, sagt er,
„solange ich hier bin, wird es nicht regnen.“ Gut möglich, dass er das
ernst meint.
Am 6. Mai möchte der Sechzigjährige … tja, was? Die einen sagen, er und
seine FDP können froh sein, wenn sie überhaupt noch in den Kieler Landtag
kommen. Wolfgang Kubicki sagt, er wolle der nächste Finanzminister
Schleswig-Holsteins werden. Irgendwo zwischen dem Verglühen seiner
liberalen Partei und den aktuell sechs Prozent in den Meinungsumfragen
bewegt sich das Wollen und Können des Wolfgang Kubicki. Für ihn ist
Scheitern keine Option. „Wir werden ein Ergebnis erzielen, das deutlich
über fünf Prozent liegt. Deutlich heißt irgendetwas zwischen 6,5 und 9
Prozent. Das ist für mich selbstverständlich“, sagt Kubicki und pikt mit
der Gabel in seinen Streuselkuchen.
Es ist Freitagmittag in Schleswig-Holstein. Wolfgang Kubicki ist im
Wahlkampf-Vollmodus. Abends zuvor haben er und andere Spitzenkandidaten bis
spät mit Gewerkschaftern die Polizeireform diskutiert. Heute morgen dann
der Gettorfer Marktbesuch mit Shakehands, Röschen und Smalltalk. Mittags
Besuch einer Fahrzeugbaufirma, bei düsenjetlautem Stahlschneiderlärm mit
dem Juniorchef die Belange des Mittelstands besprechen. Jetzt, es ist erst
ein Uhr und der Tag noch lange nicht zu Ende, das taz-Interview in der
Cafeteria des Edeka-Markts. Auch hier enervierender Lärm: piepsende Kassen,
Lautsprecherdurchsagen, zischende Milchschaumdüsen. Es ist spürbar, wie ihn
das anstrengt. Aber er braucht Aufmerksamkeit.
Denn Kubicki mag ein König in Kiel sein. Im Lande da draußen, zwischen
Schwerin, Hannover und Stuttgart, ist er auch nur einer dieser Verlierer
von der FDP. Die Wahlen in Schleswig-Holstein finden zu einem für Kubicki
ungünstigen Zeitpunkt statt. Die Bundespartei hat in zweieinhalb Jahren
Regierungsbeteiligung eine so schlechte Figur abgegeben, dass die
Wählerinnen und Wähler sie mit der Höchststrafe belegt haben:
Nichtbeachtung. Reihenweise ist die FDP aus den Landesregierungen und
Landtagen geflogen ist. In Stuttgart mussten die Liberalen einer grün-roten
Landesregierung weichen. In Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt flogen sie
aus dem Landtag. In Berlin und im Saarland sogar hochkant: Mit 1,8 und 1,2
Prozent machen sie nicht einmal mehr Splitterparteien Angst.
## Familienwachstum? Haarwachstum?
Es ist also nicht überraschend, dass Wolfgang Kubicki, ein blitzgescheiter
Ichling, einer, der stolz erzählt, wie er im Kieler Landtag einer
SPD-Kollegin am Rednerpult mal zugerufen hat: „Sie sehen so gut aus, wenn
Sie wütend sind!“ –, wenn also so einer die norddeutsche Noblesse außen v…
lässt, wenn man ihn nach der Lage der Liberalen fragt. „Die Tatsache, dass
wir von 15 Prozent auf drei Prozent abgerutscht sind, kann nicht an den
Menschen liegen, die uns verlassen haben. Das muss an uns liegen“, räumt er
ein. Was heißt „an uns“? Kürzlich erst hat er über den Parteivorsitzenden
Philipp Rösler und seinen Wischiwaschi-Wachstumskurs gelästert: „Was soll
das denn sein? Familienwachstum? Haarwachstum?“ Die FDP habe zugelassen,
dass der Wähler sie als „kalt“ wahrnimmt, sagt er. Und er sei jetzt auch
„nicht unbedingt der warmherzige Typ Politiker“. Aber Rösler? Seine
Geringschätzung für den 39-Jährigen kleidet er in ein vergiftetes Lob:
„Philipp Rösler war genial locker und souverän. Solange er sich in
Niedersachsen aufgehalten hat.“
In Karlsruhe, beim Programmparteitag eine Woche drauf, hatte er dann Kreide
gefressen. Scheinbar. Noch vor der Rede des Parteivorsitzenden hatten die
beiden Wahlkämpfer aus NRW und Schleswig-Holstein Gelegenheit, den „lieben
Parteifreunden“ ihre Sicht der Dinge darzulegen. Rösler und er, erklärt
Kubicki, „sagen seit gestern Philipp und Wolfgang zueinander“. Dann: „Wir
werden die Wahlen gemeinsam gewinnen.“ Und schließlich: „Nach mir kommt
Christian Lindner, und vor uns allen liegt eine goldene Zukunft.“ Ein
Schlusssatz, der der ausdrücklichen Erwähnung des Parteivorsitzenden eher
nicht bedarf. Solange die Partei einen wie ihn und einen wie Lindner hat.
In seiner Heimat gehört Wolfgang Kubicki zum Inventar des Landeshauses. Er
ist länger im Kieler Landtag, als Kohl Kanzler war: Seit 1992 ist er
Parlamentarier, seit 1996 ist er durchgängig Fraktionsvorsitzender. Er hat
sich schnell seinen Ruf erarbeitet: klug, pointensüchtig, immer zu einer
verbalen Rempelei bereit – im Parlament, aber auch gerne in Talkshows oder
Interviews. Nein, Kubicki ist auf keinen Fall der Typ Landesvater. Beim
Wahlkampf in der Gettorfer Fußgängerzone geht er kaum auf Leute zu, die
Passanten kommen zu ihm – oder werden von den lokalen FDP-Granden zu ihm
gebracht. Ehrenbürger, Lokalhistoriker, Schon-immer-FDP-Wähler – alte
Menschen. Von sich aus redet er lieber mit Journalisten.
## Der geborene Oppositionspolitiker
Im Parlament ist er aber der geborene Oppositionspolitiker: Ein
Lautsprecher, der seinen Landesverband, seine Fraktion und – natürlich –
sich selbst immer etwas größer scheinen lassen kann, als sie wirklich sind.
In der Zeit von SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis galt er als der
eigentliche Oppositionsführer, auch wenn die CDU ein Vielfaches der
FDP-Stimmen bekommen hatte.
Es dauert bis 2009, dann hat Kubicki das erste Mal wirklich Macht in der
Hand: Bei der Landtagswahl fährt die FDP sensationelle 14,9 Prozent der
Stimmen ein. Trotzdem reicht es nur für eine hauchdünne schwarz-gelbe
Mehrheit. Und Kubicki? Der wird nicht Minister, sondern bleibt
Fraktionschef, der die Fäden zieht – und kann nebenbei weiter als
Strafverteidiger arbeiten. Selbst diese knappe Mehrheit kommt nur aufgrund
eines eigenwilligen Wahlgesetzes zustande. Das Landesverfassungsgericht
kippt es im August 2010 und ordnet Neuwahlen an.
Eigentlich wollte Kubicki schon aufhören: „Wäre die Legislaturperiode nach
fünf Jahren vorbei gewesen, wäre ich 2014 nicht mehr angetreten“, sagt
Kubicki. Doch jetzt meint er, die FDP retten zu müssen. Danach ist es Zeit,
Bilanz zu ziehen. Der Zwischenstand: Er ist 20 Jahre im Landtag, nur
zweieinhalb Jahre davon konnte er Regierungspolitik mitbestimmen. Die
meiste Zeit war er Anführer einer kleinen Oppositionspartei im Parlament
eines unbedeutenden Bundeslandes.
Sein Image ist schillernder. Wohl dank seiner Präsenz in bundesweit
relevanten Medien, weil er sich selbst in Szene setzen kann und weiß, mit
welchem Zitat er es in die Abendnachrichten schafft. Im Gespräch behauptet
Kubicki tapfer: „Es geht mir nicht um Schlagzeilen.“ Doch wer soll ihm das
glauben? Seine sachliche Erklärung ist eine Polit-PR-Binsenweisheit: „Sie
müssen zunächst Aufmerksamkeit bei den Menschen erregen, damit Sie in
Erinnerung bleiben.“ Das hat Kubicki reichlich getan in den letzten 20
Jahren.
Jetzt steht er also wieder im Wahlkampf. Nach Gettorf geht es nach
Rendsburg, eine Provinzstadt in der Mitte des Landes. Der FDP-Ortsverein
hat hier ein neues Diskussionsformat entwickelt: Politikboxen. Kubicki
duelliert sich mit dem grünen Spitzenkandidaten Robert Habeck. Die Bühne
steht auf dem Altstädter Markt, vor dem leerstehenden Hertie-Gebäude und
neben dem alten Rathaus. Seile begrenzen den Boxring, daneben ein Gong.
Kubicki und Habeck stehen in ihren Ecken und haben Zeit für dreiminütige
Kurzstatements, sollen auf Fragen der Zuschauer reagieren und
Ja-Nein-Fragen des Moderators beantworten. Ein Format, gemacht für
schlagfertige Politiker: für eine Kubicki-Show.
## Grüner Django, gelber Geck
Er steht im schwarzen Anzug im Ring, seine Krawatte leuchtet magentafarben
in der Dämmerung. Kubicki verteidigt den Sparkurs der Landesregierung, er
redet über Bildungspolitik. Ein paar Zuschauer brüllen Kommentare. Kubicki
gibt sich irritiert: „Ich weiß gar nicht, warum die wenigen verstreuten
Grünen, die hier vorne rumstehen, immer dazwischenrufen müssen.“ Im
Publikum stehen viele örtliche FDPler, ein paar Bürger, Journalisten, ein
einsamer Abgesandter der Piratenpartei und eben ein paar Grünen-Anhänger.
Auch Kubickis Frau, eine Kieler Rechtsanwältin, steht auf dem Markt, auch
sie wird laut, wenn Habeck spricht. Es geht munter hin und her. Hier stehen
der grüne Django und der gelbe Geck. Typen, die den öffentlichen Dissens
lieben.
Persönlich schmeichelt Kubicki Habeck: Ja, die Grünen würden es wohl in die
Regierung schaffen, sagt er. Und ja, sein Kontrahent im Ring sei geeignet,
einen Ministerposten zu bekleiden – „gemessen an dem, was wir hier sonst
noch haben“. Das Publikum johlt. FDP und Grüne gemeinsam. Und wie kann die
Regierung aussehen? Eine schwarz-gelb-grünes Jamaika-Bündnis mag sich
Habeck nicht vorstellen, eine rot-grün-gelbe Ampel-Koalition lehnt Kubicki
ab. Jedenfalls solange der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner dabei sei.
„Der Kollege Doktor Stegner“, nennt Kubicki den Erzrivalen. Übrig bleiben
angesichts der aktuellen Umfragezahlen nur noch eine große Koalition und
vielleicht eine Zusammenarbeit von SPD, Grünen und der Minderheitenpartei
SSW. Ohne FDP. Ohne Kubicki. Es ist nicht klar, ob der König von Kiel das
gut verkraftet.
30 Apr 2012
## AUTOREN
A. Maier
D. Kummetz
## TAGS
Schwerpunkt Parteispenden-Watch
Schwerpunkt Parteispenden-Watch
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