| # taz.de -- Flüchtlinge: Ohne Papiere, mit Problemen | |
| > Flüchtlinge Der Verein für innere Mission übernimmt Aufgaben, die die | |
| > Behörden verweigern. Der Sozialarbeiter Holger Dieckmann erzählt, wie er | |
| > helfen kann. | |
| Bild: Ein seltenes Bild: Sprechstunde für Menschen, die ohne gültige Papiere … | |
| Wenn Holger Dieckmann mit etwas nicht dienen kann, dann damit: Mit | |
| Menschen, die einer Journalistin erzählen, wie das ist, ein "Papierloser" | |
| oder eine "Papierlose" zu sein. In Deutschland zu leben, ohne ein Schreiben | |
| vorzeigen zu können, auf dem steht, dass der Staat dazu offiziell die | |
| Erlaubnis erteilt hat. | |
| Dieckmann weiß, welche Probleme Menschen bekommen, wenn dieses Papier | |
| fehlt. Sie kommen täglich zu ihm in die Beratung beim Verein für innere | |
| Mission, der einzigen Anlaufstelle dieser Art in Bremen. Der Sozialarbeiter | |
| weiß auch, wie wichtig es ist, dass nicht nur er und seine Kollegin deren | |
| Geschichten hören, wenn sich die Lage der papierlosen Flüchtlinge | |
| verbessern soll: Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema wächst, wenn | |
| Betroffene ihre Lebensgeschichte schildern. | |
| Doch in den anderthalb Jahren, in denen die Beratungsstelle exisitiert, war | |
| niemand dazu bereit. "Entweder haben sie Angst davor entdeckt und | |
| abgeschoben zu werden oder sie sind gerade auf dem Weg zu einem legalen | |
| Aufenthaltstitel und schämen sich für ihre Zeit in der Illegalität", sagt | |
| Dieckmann. | |
| Also erzählt er. Von den drei Frauen, die unabhängig voneinander in der | |
| vergangenen Woche bei ihm waren, weil sie dringend von der Ausländerbehörde | |
| die Bescheinigung eines legalen Status brauchen. Eine ist schwanger und | |
| könnte jetzt für die Zeit des gesetzlichen Mutterschutz eine Duldung | |
| bekommen, die sie vor Abschiebung schützt. Und sie berechtigen würde, mit | |
| einer Krankenversicherungskarte zur Frauenärztin und ins Krankenhaus zu | |
| gehen. Eine zweite hat gerade ein Kind geboren und braucht einen Pass, bei | |
| der dritten läuft die Duldung am 1. Mai aus. | |
| Doch vor August ist in keinem der drei Fälle etwas zu machen. Die Behörde | |
| ist offenbar so überlastet, dass die Mitarbeiter sechszeilige Briefe mit | |
| Tippfehlern verschicken. "Ein früherer Termin ist aufgrund der personellnen | |
| Situartion derzeit nicht möglich", steht in einem, in dem Ende April ein | |
| Gespräch Anfang August angeboten wird. | |
| Für die Adressatin, die wegen ihres neu geborenen Kindes eigentlich nicht | |
| mehr papierlos leben muss, heißt das: Sie kann keine Geburtsurkunde für das | |
| Baby beantragen, denn dafür verlangt das Standesamt ihren Pass als | |
| Identitätsnachweis. Doch um den bei der für sie zuständigen Botschaft | |
| beantragen zu können, muss das Ausländeramt ihr erst erlauben, nach Berlin | |
| zu fahren. | |
| Eine von vielen Vorschriften, die Dieckmann gerne abschaffen würde. Er | |
| fordert, dass die junge Mutter, die ihn gerade um Hilfe gebeten hat, eine | |
| Geburtsurkunde bekommen kann, wenn sie im Standesamt mit dem Baby erscheint | |
| - mit einem Schreiben der Klinik, in der sie es geboren hat. Es würde dann, | |
| anders als jetzt, offiziell existieren. Sie könnte, anders als jetzt, wie | |
| andere Eltern auch mit ihm einfach zum Kinderarzt gehen. Und liefe nicht | |
| Gefahr, dass eine Behörde ihr nicht glaubt, dass es ihr Kind ist. "Die | |
| Zuordnung wäre dann klar." Im schlimmsten Fall würde sie ohne das Kind | |
| abgeschoben. "Das ist alles schon passiert", sagt Dieckmann, zuletzt in | |
| Bremen einer Frau, die ohne Erlaubnis gearbeitet hatte, dabei erwischt und | |
| in Abschiebehaft genommen wurde, während eine Freundin auf ihre zweijährige | |
| Tochter aufpasste. | |
| Es sind oft Schwangere, die in den ehemals herrschaftlichen Altbau der | |
| inneren Mission in Schwachhausen kommen. Sie stellen auch die größte Gruppe | |
| in der im Herbst 2009 eröffneten humanitären Sprechstunde des | |
| Gesundheitsamts. Montag und Donnerstag Vormittag können sich dort | |
| Papierlose mit gesundheitlichen Anliegen an einen Arzt oder eine Ärztin | |
| wenden - ohne ihre Identität preis geben zu müssen. | |
| Dieckmann arbeitet auch dort, entsendet von der inneren Mission. Der | |
| 43-jährige, ein studierter Politikwissenschaftler, verkörpert die | |
| "Clearingstelle". Seine Aufgabe ist eigentlich, zu klären, ob es andere, | |
| nicht gesundheitsbezogene Probleme gibt und soll die Leute an die Stelle | |
| vermitteln, die sie lösen können. Theoretisch gibt es eine Reihe von | |
| Zuständigen in den Behörden: Doch in der Praxis helfen die selten, hat | |
| Dieckmann erfahren. "Das Problem ist, dass alle eine Schere im Kopf haben | |
| und immer zuerst nach dem Aufenthaltstitel fragen und die Leute zum | |
| Ausländeramt schicken." Selbst die, die es nach dem Gesetz nicht mehr | |
| müssen wie Schulen. "Viele weigern sich, papierlose Kinder aufzunehmen, | |
| weil sie das nicht wissen oder weil ihnen der Aufwand zu groß ist", sagt | |
| Dieckmann. | |
| Wegen dieser Erfahrungen hat die innere Mission vor anderthalb Jahren | |
| "Salutissimo" gegründet, ein auf drei Jahre befristetes Projekt, finanziert | |
| aus Spenden der Aktion Mensch. Der Schwerpunkt liegt auf der Unterstützung | |
| papierloser junger Migrantinnen und Migranten in Bremen. 159 Beratungsfälle | |
| haben Dieckmann und seine Kollegin in dieser Zeit gezählt - verteilt auf | |
| 655 Gespräche. "Das zeigt", sagt er, "dass das zum Teil sehr intensive | |
| Beratungen waren, weil wir an niemand das Staffelholz übergeben konnten." | |
| Grundsätzlich wird sich daran nichts ändern, so lange Menschen in diesem | |
| Land in "Legale" und "Illegale" sortiert werden. Es gibt aber, das hat | |
| selbst Dieckmann trotz seiner jahrelangen Arbeit mit Flüchtlingen | |
| überrascht, eine große Gruppe, die sich in einem Graubereich dazwischen | |
| befinden. Und denen mit etwas gutem Willen leicht zu helfen wäre. Dieckmann | |
| denkt dabei an jemand, der nach einem abgelehnten Asylantrag untergetaucht | |
| ist und jetzt erneut einen gestellt hat. Den Behörden also bekannt ist, | |
| aber keinen legalen aufenthaltsrechtlichen Status hat. Oder an die Frau, | |
| die keine Verlängerung der Duldung bekommen kann, weil das Ausländeramt | |
| keine Zeit für sie hat. | |
| Und dann ist da noch eine Gruppe, die durch alle Raster fällt: EU-Bürger | |
| ohne Geld und Krankenversicherung, fast immer kommen sie aus Rumänien oder | |
| Bulgarien. Auf ihre Probleme will bald ein neu gegründeter Arbeitskreis | |
| aufmerksam machen. Mehr kann auch Dieckmann nicht tun. | |
| 29 Apr 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Eiken Bruhn | |
| ## TAGS | |
| Bremen | |
| Flüchtlinge | |
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