| # taz.de -- Wahlen in Serbien: Die Taktik des Rufmords | |
| > Unglaubwürdig, gespalten, hässlich: Der serbischen Regierungspartei und | |
| > ihrem Chef Boris Tadic droht am Sonntag eine Wahlniederlage. | |
| Bild: Präsidentschaftskonkurrenten: Boris Tadic (links) für eine „sichere Z… | |
| BELGRAD taz | „Wählt eine sichere, europäische Zukunft, wählt uns“, ruft | |
| Boris Tadic auf seinen Reisen durch Serbien. „Wir haben die Visapflicht für | |
| die Schengen-Staaten abgeschafft und den EU-Kandidatenstatus bekommen. | |
| Helft uns zu beenden, was wir gemeinsam begonnen haben, helft uns Serbien | |
| in die Europäische Union zu führen“, sagt der Präsidentschaftskandidat und | |
| Chef der regierenden Demokratischen Partei (DS). Er verspricht mehr | |
| Auslandsinvestitionen, neue Jobs und einen besseren Lebensstandard. | |
| Am kommenden Sonntag finden Präsidentschafts-, Parlaments- und | |
| Kommunalwahlen statt. Doch es ist fragwürdig, ob Tadic’ Versprechen beim | |
| Volk noch ankommen. Die soziale Misere drückt, Unternehmen machen | |
| massenhaft Konkurs, die Arbeitslosigkeit liegt bei 23 Prozent, der | |
| serbische Dinar erreicht Rekordtiefwerte. Mit einem Durchschnittseinkommen | |
| von rund 360 Euro kommen die meisten kaum über die Runden, eine Million | |
| Menschen leben an oder unter der Armutsgrenze. | |
| Das ist die Bilanz der Koalitionsregierung, die die DS anführte. Aus der | |
| Sicht der Bürger zog Tadic als Präsident in den vergangenen vier Jahren | |
| alle Fäden im Lande und führte durch die Hintertür das | |
| Präsidentschaftssystem ein. „Das sind doch alles Diebe“, kann man überall | |
| hören, wo über Politik gesprochen wird. Die DS muss Wahlabstinenz ihrer | |
| Anhänger fürchten. | |
| Tadic trat als Präsident neun Monate vor dem Ende seiner Amtszeit zurück, | |
| um zu ermöglichen, dass alle Wahlen an einem Tag stattfinden können. Er | |
| konnte so in die Wahlkampagne der DS eingespannt werden. Prompt redeten | |
| Kritiker von einer „Verhöhnung des höchsten Staatsamtes aus | |
| Parteiinteressen“ und von „Amtsmissbrauch“. | |
| ## Die alte Taktik geht nicht mehr auf | |
| Noch vor vier Jahren konnte Tadic die Wahlen zu einem schicksalhaften „Ja | |
| oder Nein zu Europa“ stilisieren. Damals stand der DS die | |
| ultranationalistische Serbische Radikale Partei (SRS) mit ihrem wegen | |
| Kriegsverbrechen vom UN-Tribunal angeklagten Führer Vojislav Seselj | |
| gegenüber. Europa atmete auf, als Tadic mit einer hauchdünnen | |
| parlamentarischen Mehrheit eine proeuropäische Regierung auf die Beine | |
| stellte. | |
| Heute geht diese Taktik nicht mehr auf. Die SRS hat sich gespalten, unter | |
| Führung von Tomislav Nikolic entstand die Serbische Fortschrittspartei | |
| (SNS). Über Nacht änderte Nikolic den Kurs, setzte sich für den Beitritt | |
| Serbiens zur EU ein. Auf der Welle der Unzufriedenheit überholte die SNS in | |
| Umfragen die konsequent europafreudige DS. | |
| Nikolic hat gute Chancen, Tadic in der Stichwahl zu schlagen. 2008 betrug | |
| der Unterschied zwischen den beiden knapp 2,5 Prozent. „Glaubt denen | |
| nicht“, warnt Tadic, dessen Partei Nikolic massiv attackiert. Werbespots | |
| zeigen, wie Nikolic gegen Europa wetterte, sich heute aber für die EU | |
| einsetzt. Wie er von Kriminellen umgeben ist und dass er sein Diplom | |
| gefälscht haben soll. „Spielt nicht mit eurer europäischen Zukunft“, laut… | |
| der Slogan. „Schenkt euer Vertrauen jenen, die immer für eine europäische | |
| Zukunft Serbiens waren.“ | |
| ## Negative Wahlkampagne | |
| Die DS setzt auf Rufmord, ihre Wahlkampagne ist rein negativ und ansonsten | |
| inhaltsleer. „Serbien geht in Korruption unter“, entgegnet Nikolic und | |
| verspricht „ein ehrliches, sauberes“ Land. Seine kriegshetzerische, | |
| nationalistische Rhetorik hat er abgelegt. Er baut auf den Unmut der | |
| Bevölkerung. | |
| „Ich werde einen ungültigen Stimmzettel abgeben“, sagt die emeritierte | |
| Professorin Srbijanka Turajlic. „Eine Partei in Serbien zu wählen hieße, | |
| ihr einen Persilschein für noch mehr Korruption und den Abbau | |
| demokratischer Institutionen zu geben.“ Die prominente Kämpferin für | |
| Demokratie trifft ins Schwarze. Für viele bürgerliche Wähler hat die DS an | |
| Glaubwürdigkeit verloren, die Ex-Kriegshetzer sind keine Option. Zwölf | |
| Jahre nach der Wende herrsche in Serbien ein „partitokratisches System“, | |
| erklärt Turajlic. Alles werde Parteiinteressen untergeordnet, das Parlament | |
| habe sich in einen Ort des „Händchenhebens“ verwandelt. | |
| Mit ihrem Statement löste Turaljic eine heftige Debatte aus. Der Wahlkampf | |
| dreht sich populistisch um soziale Themen. Alle 18 Parteien und Bündnisse | |
| und die 12 Präsidentenkandidaten versprechen einen Kampf gegen Korruption | |
| und für neue Jobs, Auslandsinvestitionen und einen besseren Lebensstandard. | |
| Das Kosovo wird kaum erwähnt, außer von der SRS und der Demokratischen | |
| Partei Serbiens (DSS) von Expremier Vojislav Koctunica, die gegen die EU | |
| sind. Die DS und SNS haben keine Chance auf eine absolute Mehrheit, sie | |
| brauchen Partner für eine Koalition. Doch egal wer an die Macht kommen | |
| wird: Ein Reformwille ist nicht zu erkennen. | |
| 4 May 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Andrej Ivanji | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Eurovision Song Contest | |
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