| # taz.de -- STÄDTEBAU: Der Traum vom "Gartenheim" | |
| > Nicht nur Reiche leben gern im Grünen. Aber Arbeiter konnten diesen Traum | |
| > nur illegal in den Kleingärten verwirklichen - Ausnahme: die | |
| > "Kaisen-Auswohner" | |
| Bild: Parzellenkultur in Bremen (1942) | |
| „Ihr seid 30 Jahre mit dem Kopf durch die Wand gegangen. Und das ist 30 | |
| Jahre lang gut gegangen“. So hat einmal, anerkennend, der CDU-Politiker | |
| Peter Kudella eine besondere Spezies von Bewohnern Bremens kritisiert – die | |
| „Kaisenhaus“-Bewohner. Wie viele es davon heute noch gibt, wird offiziell | |
| nicht gezählt, es sind aber wenige und sie sind oft schon über 70 Jahre | |
| alt. | |
| Denn die Bezeichnung „Kaisen-Bewohner“ bezieht sich auf eine Zusage des | |
| Nachkriegs-Bürgermeisters Wilhelm Kaisen (SPD), der den halblegalen | |
| BewohnerInnen in Kleingarten-Kolonien – deren Bauten in den Jahren 1945-49 | |
| „widerruflich“ genehmigt worden waren – lebenslängliches Wohnrecht zusag… | |
| 1974 wurden alle, die dort seit 1955 ununterbrochen polizeilich gemeldet | |
| waren, in dieses „Auswohnrecht“ einbezogen. | |
| Erstmals gibt es nun eine historische Studie über diese | |
| „Gartenheim“-Wohnform. Das Bremer Zentrum für Baukultur (bzb) hat Kirsten | |
| Tiedemann damit beauftragt. Denn das „Gartenheim“ ist als Alternative zu | |
| den Großwohnanlagen nach wie vor interessant, sagt Sunke Herlyn vom bzb. | |
| Das Wohnen in Kleingärten war nicht nur aus der Not geboren. Schon 1932 ist | |
| Kaisen – er war damals Wohlfahrtssenator – von rund 1.000 „illegalen“ | |
| BewohnerInnen in Kleingartengebieten ausgegangen. In den Jahren nach 1945 | |
| waren rund 25 Prozent der Kleingärten bewohnt von Flüchtlingen und von | |
| Menschen, deren Häuser zerbombt waren. Die Kleingartenvereine selbst | |
| besorgten die offizielle Meldung derer, die da im Grünen bauten und wohnen | |
| wollten. Am 1. August 1945 sorgte der „Kaisenerlass“ dafür, dass sie | |
| Baugenehmigungen bekamen. | |
| Kaisen rief die Kleingarten-Bewohner dazu auf, ihre Häuser „winterfest“ zu | |
| machen. Die Baugenehmigungen waren aber ausdrücklich als „widerruflich“ | |
| gekennzeichnet, denn die Stadt wollte sich nicht in die Pflicht nehmen | |
| lassen, Strom, Kanalisation, Schulen und Infrastruktur für die weitläufigen | |
| Kleingartengebiete zu finanzieren. Verdichtetes Wohnen war das | |
| städtebauliche Leitbild. 1949 wurde der Kaisen-Erlass aufgehoben. | |
| Die „Gartenheim“-Kultur, in der die Bewohner sich auch selbst mit Obst und | |
| Gemüse versorgten, war für manche so attraktiv, dass sie dort wohnen | |
| bleiben wollten. Weil ein Vorgehen gegen die Bewohner der nach dem | |
| Kaisen-Erlass genehmigten Häuser unpopulär gewesen wäre, setzen die | |
| SPD-Politiker immer Kompromisse gegen die zu einem härteren Vorgehen | |
| neigende Bauverwaltung durch. | |
| Die Historikerin Tiedemann hat viele biografische Zeugnisse gesammelt und | |
| alte Kaisen-BewohnerInnen befragt, um die Kulturgeschichte dieses Wohnens | |
| rekonstruieren zu können. Ein Kapitel davon ist zum Beispiel die | |
| „kommunistische“ Tradition: In dem Kleingartengebiet am Hohweg hatte die | |
| KPD 1955 satte 23,4 Prozent der Stimmen erhalten, die DKP 1975 immerhin | |
| noch 17,5 Prozent. | |
| Drei Kleingartengebiete wurden im Laufe der Baugeschichte Bremens zu | |
| „Gartenheim-Wohngebieten“ umgewidmet und das Bauen dort damit legalisiert �… | |
| die Wilhelm-Busch-Siedlung hinter der Rennbahn, eine Siedlung an der Ochtum | |
| und die Wolfskuhle, deren Name jüngst bekannt wurde, weil deren | |
| BewohnerInnen sich heute gegen die Autobahn-Pläne wehren. Für das | |
| Weidedamm-Gebiet war die Umwidmung zum „Gartenheim-Wohnen“ lange in der | |
| Diskussion, wurde am Ende aber verworfen. 1995 wurden die Kleingärten | |
| abgeräumt – zugunsten klassisch urbaner Bebauung. | |
| 6 May 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Wolschner | |
| Klaus Wolschner | |
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| Ochtum | |
| Bremen | |
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