| # taz.de -- Zuhause im Schrebergarten: Kein Platz fürs Wohnen im Grünen | |
| > Angesichts wachsender Wohnungsnot überlegt Rot-Grün in Bremen, das Leben | |
| > in Kleingärten wieder zu erlauben. Bislang war das ein großes Tabu. | |
| Bild: Ein "Kaisenhaus" in Bremen: 1948 im Kleingartengebiet gebaut, bis heute l… | |
| BREMEN taz | Wohnen im Schrebergarten? Noch ist das in Bremen streng | |
| verboten und jene, die das doch dürfen – von Alters her – die sind eine | |
| aussterbende Spezies, entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg. Wegen der | |
| Wohnungsnot. Doch die kehrt zurück. Zugleich wächst die Zahl derer, die in | |
| der Stadt, aber nicht in Wohnsilos oder Doppelhaushälften leben wollen. | |
| Und nicht nur Reiche leben gern im Grünen. In Bremen überlegen nun die | |
| regierenden Fraktionen von SPD und Grünen, ob man das Wohnen „auf Parzelle“ | |
| nicht doch wieder erlauben kann. Einigen zumindest. Und sie sehen ihren | |
| Vorstoß auch als „Vorbild“ für andere Städte. | |
| Alles fing damit an, dass das grüne Bauressort jüngst, mitten im Winter, | |
| mithilfe der Polizei und eines Abrissbaggers das Parzellenhaus eines | |
| Mittsechzigers „zwangsgeräumt“ hat. Die Kosten: rund 12.000 Euro. Die | |
| Medien berichteten wiederholt über den Fall des „Ex-Szenewirts“ Harry | |
| Geiger, der schließlich in einer „Baracke ohne Heizung“ landete, wie die | |
| BILD schrieb. | |
| Geiger – das war sein Fehler – hatte nicht nur im Kleingarten gewohnt, | |
| sondern auch seinen Erstwohnsitz dort angemeldet. Während sowas in manchen | |
| Orten Niedersachsens geduldet wird, ist Bremen da streng. Es ist verboten, | |
| also wurde das Haus, das als „Kaisenhaus“ mal legal bewohnt war, gleich | |
| ganz abgerissen. „Bereinigung“ nennt die Behörde das. | |
| „Das ist skandalös“, sagt SPD-Sozialpolitiker Klaus Möhle – „moralisc… | |
| sozialpolitisch“. Auch wenn es baurechtlich „in Ordnung“ war, so Möhle, … | |
| selbst lange Jahre in einem Öko-Dorf wohnte. Nun fordern SPD und Grüne im | |
| Parlament, den Abriss bewohnter Parzellenhäuser vorerst zu stoppen. Eine | |
| Petition verlangt, das Wohnen in Kaisenhäusern „grundsätzlich zu | |
| genehmigen“, und zwar „rückwirkend“, auch für jene, die illegal dort | |
| wohnten. Mehrere Hundert haben die Petition bis jetzt schon unterschrieben. | |
| „Es gibt in Bremen ohne Ende Mangel an billigem Wohnraum“, sagt | |
| SPD-Politiker Möhle. Pro Jahr fallen momentan über 800 Sozialwohnungen weg, | |
| zwischen 2005 und 2010 sank ihre Zahl von 8.579 auf 4.586. Zuletzt gab‘s | |
| jedes Jahr 50.000 Euro für den Abriss von Kaisenhäusern, aber gar kein Geld | |
| für Wohnraumförderung. | |
| Großzügig neu entstanden sind nur Quartiere, in denen das Wohnen besonders | |
| teuer ist. Nun sollen bis Ende kommenden Jahres 700 Wohnungen mit | |
| Mietpreisbindung neu entstehen oder saniert werden. | |
| Auch die Grünen fordern, „angesichts des angespannten Wohnungsmarktes“, die | |
| zuletzt 2000 festgesetzten Regeln für den Erhalt und Abriss von | |
| Parzellenhäusern neu festzulegen. All jene, die jetzt in solchen Häusern | |
| wohnten, müssten „geschützt“ werden, so die Grünen-Politikerin Maike | |
| Schäfer. Ein Fall wie jener von Harry Geiger „darf nicht nochmal | |
| vorkommen“. Zugleich müsse neu geprüft werden, wo in Bremen besondere, | |
| preiswerte alternative Wohnformen mehr Platz finden könnten, so Schäfer. | |
| Es müsse in Bremen möglich sein, dem „offensichtlichen Bedarf“ daran | |
| „Rechnung zu tragen“, heißt es dazu in dem SPD-Antrag. „Es geht um eine | |
| einzigartige Architektur und Lebenskultur“, sagt Möhle mit Blick auf die | |
| Kaisenhäuser, aber auch darum, alternative Lebensentwürfe zu fördern – für | |
| jene, die „Lust haben so zu leben“. Keinesfalls dürfe das auf Kosten | |
| sozialpolitischer Maßnahmen gehen, sagt die SPD. | |
| Keinesfalls dürften neue Schwarzbauten oder Spekulationsobjekte entstehen, | |
| sagen die Grünen. Und keine „speziellen Wohnbereiche für Geringverdiener | |
| und Erwerbslose“. Ohnehin, sagt Möhle, gehe es „nicht nur um ein | |
| Armutsproblem“. Viele derer, die heute urban im Grünen wohnen wollen, | |
| hätten das Geld für eine klassische Mietswohnung. Sie wollten nur keine. | |
| Den Linken geht die Initiative von Rot-Grün nicht weit genug: „Wie man mit | |
| alternativen Wohnformen umgeht, ist eine Frage des politischen Willens“, | |
| heißt es. „Da muss mehr kommen als eine Schonfrist und eine | |
| Auslaufregelung.“ Die Baubehörde des grünen Senators Joachim Lohse wiederum | |
| reagiert bislang zurückhaltend. Man wolle die Diskussion „weiterführen“, | |
| sagte eine Sprecherin. | |
| Die „dauerhafte Wohnnutzung in Kleingartengebieten“ will die Behörde weiter | |
| verhindern, das machte sie jüngst im Parlament erneut klar. Auch will sie | |
| Leute wie Geiger nicht einfach dulden. Weil sonst ein „rechtsfreier Raum“ | |
| entstünde und „Funktion und der Charakter“ der Kleingärten als reine | |
| Naherholungsgebiete „gefährdet“ wäre. | |
| Zwar gebe es einen Ausweg – man müsste die Gebiete entsprechend anders | |
| ausweisen. Das wiederum müsse aber „durch städtebauliche Gründe“ | |
| gerechtfertigt werden, so die Behörde. | |
| 5 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Zier | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kommentar Gernot Knödler über Wohnen im Kleingarten: Alternatives Leben | |
| Wenn der Grundsatz "ein jeder soll nach seiner façon selig werden" auch im | |
| übertragenen Sinne gelten soll, dann muss das Wohnen im Kleingarten | |
| toleriert werden. | |
| WOHNEN IN BREMEN: Improvisiertes Idyll | |
| Von einer Notunterkunft auf der Parzelle zur Wohnkultur im Grünen: | |
| Kaisenhäuser sind viel mehr als ein Dach überm Kopf. Und vom Aussterben | |
| bedroht | |
| STÄDTEBAU: Der Traum vom "Gartenheim" | |
| Nicht nur Reiche leben gern im Grünen. Aber Arbeiter konnten diesen Traum | |
| nur illegal in den Kleingärten verwirklichen - Ausnahme: die | |
| "Kaisen-Auswohner" |