Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- WOHNEN IN BREMEN: Improvisiertes Idyll
> Von einer Notunterkunft auf der Parzelle zur Wohnkultur im Grünen:
> Kaisenhäuser sind viel mehr als ein Dach überm Kopf. Und vom Aussterben
> bedroht
Bild: Wilhelm Grützke wohnt hier seit 1949: Kaisenhaus im Zaunkönigweg in Wal…
Die Mieten steigen, günstige Wohnungen werden knapp. Das Viertel kämpft
gegen die Stadtaufwertung, Tenever dafür. Wohnungsbündnisse werden
geschmiedet, zugleich Luxuswohnungen gebaut. Wie leben die Menschen in
armen und reichen Vierteln? Die taz.bremen beleuchtet in loser Folge, wie
BremerInnen wohnen und sich der urbane Raum verändert.
Hinter dem Eingang am Zaunkönigweg, gleich an der hölzernen Pforte mit
ihren stilisierten Sechskantschrauben obenauf, wächst links und rechts ein
grüner Buchsbaum. Ordentlich in runde Form geschnitten. Dahinter blüht es
üppig, beidseits des Weges, der zum Haus Nummer 15 führt – weiß und gelb
und lila – ein bisschen wie in einem Bauerngarten. Linkerhand steht eine
alte Laterne, der weiße Lack blättert schon etwas, das Glas ist matt
geworden über die Jahre. Früher stand sie an der Insel am Lankenauer Häöft.
„Martimer Kram“, sagt Wilhelm Grützke dann, und dass er ihn „gerne“ ha…
Aber er war ja auch beim Hafenamt, die letzten 20 Jahre seines Berufslebens
– Grützke ist Elektriker, wie zuvor schon sein Vater. Bald wird er 76. Und
lebt „auf Parzelle“, wie man hier sagt. Er darf das: „Willy“, wie seine
Frau Ursel ihn nennt, ist „Kaisenhauswohner“. Einer der letzten seiner Art.
1951 gab es in der kleinen Sackgasse in der Waller Feldmark 19 bewohnte
Parzellen, sagt das Adressbuch von damals. 1979 waren es noch 13. Heute
sind es noch drei. Wilhelm Grützke gehörte immer dazu. Seit 1945. Der Krieg
war zu Ende, das Elternhaus ausgebombt, der Vater in den letzten
Kriegstagen bei einem Betriebsunfall ums Leben gekommen. „Meine Mutter
sagte, jetzt gehen wir inne Stadt oder wie bauen hier“, sagt Grützke. Und
hier, da war ein kleines Wochenendhaus im Kleingartenverein Union – er
nennt sie eine „Holzbude“. Sie wurde zum Überlebensstützpunkt. 1948
entstand das heutige Siedlerhaus mit Satteldach, es misst sechs mal sechs
Meter – 36 Quadratmeter waren zunächst genehmigt worden. Auf Widerruf. Das
Holz aus der alten Bude verwendeten sie wieder, die Nägel ebenso, sie
wurden gerade geklopft, Baumaterial war schließlich knapp, Stein und Zement
gab‘s nur auf Bezugsschein. Oder mit Beziehungen. Doch der Onkel war
Maurer, die ersten Jahre lebte er mit seiner Schwester Klara, Wilhelms
Mutter und den Kindern unter einem Dach, ehe er selbst baute, nebenan im
Rotkehlchenweg.
„Der erhebliche Ausfall von Wohnungen durch den Krieg zwingt dazu, Bedenken
gegen das Wohnen in Kleingärten zeitweise zurückzustellen“, steht in dem
Erlass von SPD-Bürgermeister Wilhelm Kaisen vom 1. August 1945. Vier Jahre
später wurde dieser sogenannte Kaisenerlass wieder zurückgenommen. Wer
schon hier wohnte, durfte bleiben. Natürlich nur „vorrübergehend“. Familie
Grützke war gerade in ihren Neubau gezogen.
1963 heiraten Wilhelm und Ursel, die zunächst in einem ausrangierten
Eisenbahnwaggon in Findorff gelebt hatte. Sie zog zu ihm, bekam zwei
Kinder. Später war sie die Küsterin der Waller Fleetkirche, bald wird sie
70. Sohn Bernd hat heute eine Parzelle gleich nebenan. Das Tor dazwischen
ist offen.
„Bin im Garten“ steht auf dem Schild, das an Grützkes Haustür klemmt.
Gleich gegenüber stehen zweireihig die Ställe, mit Hasen und Kaninchen und
Meerschweinchen drin, ein paar Meter weiter leben mehrere Hühner. Und ein
paar Tauben. Manche der Tiere landen auch mal im Kochtopf. Früher wuchsen
Obst, Gemüse auf jedem freien Quadratmeter, alles andere war Luxus. Heute
trocknen auf dem Gartentisch, unter der mit Efeu bewachsenen Pergola,
Scharlotten. Die Kartoffeln hat Grützke gerade geerntet, der Mangold,
gleich daneben, wächst noch, ein paar Zucchini blühen auch. „Da sind wir
schon eher die Ausnahme“, sagt Wilhelm Grützke. „Wer macht das noch so
intensiv?“
Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger, ja, da überlegte er mal, doch
wegzuziehen. Aber irgendwie fehlte es am Geld, am Grundstück, und Schulden
wollte Grützke keine machen. Also blieb er. Und stockte das Haus auf, in
Eigenregie und Leichtbauweise. „Das musste schnell gehen“. Eine Eisenleiter
führt von draußen auf den Anbau mit der kleinen Dachterasse vor dem
Obergeschoss. Viele solcher Häuser sind ganz ohne Genehmigung entstanden,
bisweilen an einem Wochenende. Bei einigen zog Elektriker Grützke die
Leitungen, manchmal war die Wand dann, am Sonntag, noch feucht. „Der eine
war für den anderen da“, sagt Grützke. Solidarität schrieb man groß in
dieser Kleingartenkolonie, die meisten dort waren Arbeiter und Handwerker
aus dem Bremer Westen, viele bei der 1983 untergegangenen AG Weser
beschäftigt.
In Grützkes Garten weht am Fahnenmast die grün-weiß-gelbe
Kleingärtnerfahne. Grün wie die Hoffnung, Weiß wie die Parteilosigkeit,
Gelb wie die Lebensfreude. Graue Hochhaussiedlungen, wie sie in der Vahr
oder in Tenever entstanden, als Antwort auf die Wohnungsnot – „das wär
nichts für mich“, sagt Grützke. „Da kannste keine eigenen Interessen
entwickeln.“ Und musst zusehen, wie die anderen beim Essen „auf deinen
Teller glotzen“. Im Zaunkönigweg guckt niemand. Geht gar nicht.
„Die ersten Jahre waren die härtesten“, sagt Grützke. Der Jahrhundertwint…
1946/47 dauerte bis März, mit Temperaturen bis -30 Grad. Strom hatten
Grützkes da noch nicht, nur Petroleumlampen, dazu einen Kanonenofen in der
Ecke. Fließend Wasser kam erst in den Sechzigern, vorher wusch man sich mit
Regenwasser, um nicht so oft zur Zapfstelle zu müssen, die hier anfangs
immerhin zweieinhalb Kilometer entfernt lag. Im Winter blieb er manchmal zu
Hause, weil er kein Schuhwerk hatte. „Und wenn du als Kind vor ‘48 einen
Tennisball hattest, dann warst du schon der König“, sagt Grützke. Trotzdem:
„Wir haben in unserer Jugendzeit nichts vermisst.“ Man kannte es ja auch
nicht anders. „Du hast nicht so viele Ansprüche gestellt.“
1974 sicherte die Dienstanweisung Nummer 286 des Bausenators auch Grützkes
zu, lebenslang auf der Parzelle bleiben zu dürfen. Das „Auswohnrecht“ wurde
eingeführt. Gleichzeitig beschloss der Senat Sanierungsmaßnahmen und eine
Kontrolle aller Dauerkleingartengebiete – wer seine Parzelle freiwillig
aufgab, bekam bisweilen Entschädigung. „Bereinigung“ nannte man das.
Parallel dazu entstand an der Bayernstraße, bei Grützkes nebenan, ein
Gewerbegebiet – dort wo früher Parzellen standen. In der Waller Feldmark
war der Widerstand gegen beides groß. Von „Zwangsumsiedlung“ war die Rede.
Für das Bauordnungsamt sei das Gebiet eine „no-go-area“, schrieb die taz
damals. 2002 wurde, in einem Kompromiss, das „Auswohnrecht“ in Walle
erweitert. Auch Bernd Grützke, Jahrgang 1965, könnte davon profitieren.
Jüngst war im politischen Bremen wieder mal davon die Rede, dass das
Gewerbegebiet an der Bayernstraße wachsen soll, um 20 Hektar, auf Kosten
jener Kleingärten, in dem auch Grützkes leben. Von günstigem Wohnraum, vom
Leben im Grünen nicht für Reiche redet dagegen niemand mehr. Zwar ist die
Industriebrache momentan offenbar vom Tisch. Vorerst. Doch Wilhelm Grützke
ist sich sicher: „Das wird kommen.“
Es wäre das Ende der Freiheit, wie Grützkes sie kennen.
5 Aug 2012
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
Bremen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Streit um Kaisenhäuser: Friede den Hütten
Kaisenhäusern soll kein Abriss mehr drohen, wenn sie als Gartenlauben
dienen, schlägt der grüne Bausenator vor. Die SPD ist sauer.
Zuhause im Schrebergarten: Kein Platz fürs Wohnen im Grünen
Angesichts wachsender Wohnungsnot überlegt Rot-Grün in Bremen, das Leben in
Kleingärten wieder zu erlauben. Bislang war das ein großes Tabu.
Wohnen in Bremen: Die Angst vor dem Auszug
Die rot-grüne Koalition will die Flüchtlingsheime auflösen. Doch trotz der
Enge empfinden viele BewohnerInnen diese als sichere Orte und wollen
bleiben.
Wohnen in Bremen: WG de luxe
Studentenresidenzen gelten als gute Anlage: Private Investmentfonds setzen
auf Wohnheime - und gerade Bremen ist für sie ein ziemlich attraktiver
Markt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.