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# taz.de -- Wohnen in Bremen: Die Angst vor dem Auszug
> Die rot-grüne Koalition will die Flüchtlingsheime auflösen. Doch trotz
> der Enge empfinden viele BewohnerInnen diese als sichere Orte und wollen
> bleiben.
Bild: Kaum Platz für Persönliches: Gegen Massenunterbringung demonstrierten F…
Die Mieten steigen, günstige Wohnungen werden knapp. Das Viertel kämpft
gegen die Stadtaufwertung, Tenever dafür. Wohnungsbündnisse werden
geschmiedet, zugleich Luxuswohnungen gebaut. Wie leben die Menschen in
armen und reichen Vierteln? Die taz beleuchtet, wie BremerInnen wohnen und
sich der urbane Raum verändert.
Wenn die fünfjährige Zeinab von „zu Hause“ spricht, dann meint sie: Zwei
Zimmer im ersten Stock des ehemaligen Bauamts in Bremen-Vegesack. 23
Quadratmeter für sie, ihren drei Jahre älteren Bruder Basem und ihre
Eltern, Jihad und Hiba. Vor einem Jahr sind sie als Verfolgte des syrischen
Regimes nach Deutschland geflohen, genau solange leben sie in dem
Flüchtlingsheim in der Johann-Lange-Straße in Bremen-Nord. Doch nächste
Woche ziehen sie um, in eine Vier-Zimmer-Wohnung in Sankt Magnus, 60
Quadratmeter größer als die Räume, die sie jetzt bewohnen. „Eine gute
Wohnung in einer guten Gegend, so wie ich es mir gewünscht habe, mit Schule
und Kindergarten in der Nähe“, sagt der 35-jährige Jihad Matouk, der anders
heißt, aber aus Angst vor Racheakten darum gebeten hat, ihm, seiner Frau
und den Kindern andere Namen zu geben.
## Ein Auszug löst nicht alles
Dass die Familie jetzt schon die Sammelunterkunft mit Gemeinschaftsküchen
und -toiletten verlassen kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Bis 2011
mussten Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Bremen mindestens drei Jahre in
den Einrichtungen leben, die offiziell „Übergangswohnheime“ heißen. Jetzt
sind es noch 12 Monate und nach dem Willen der rot-grünen Koalition sollen
die Wohnheime ganz aufgegeben werden. Flüchtlingsinitiativen fordern dies
schon lange. Der Zwang, mit Angehörigen, aber auch Fremden auf engstem Raum
zusammenzuleben, mache krank und hindere am Lernen, argumentieren sie.
Dieser Argumentation schloss sich in diesem Jahr die Bremer SPD an. Auf
ihre Initiative beauftragte im April die Bremische Stadtbürgerschaft den
Senat, ein Konzept zu erarbeiten, wie die Frist auf drei Monate verkürzt
werden kann.
Doch bereits jetzt zeigt sich, wie schwer dies umzusetzen sein wird. Zum
einen gibt es wenig geeignete Wohnungen. „Deutsche haben es schon schwer,
etwas zu finden, Ausländer erst recht“, sagt Mageda Abou-Khalil, die
Leiterin des Flüchtlingsheims in der Johann-Lange-Straße. Die günstigen
Wohnungen liegen in Problemvierteln wie in Bremen-Nord in der Grohner
Dühne, einer Hochhaussiedlung am Bahnhof Vegesack.
Viele kämen zunächst dort unter, erzählt Abou-Khalil. „Die meisten wollen
aber nach kurzer Zeit wieder weg.“ Jene Wohnungen, in denen man gerne
länger bleibt, sind oft zu teuer. Höchstens 600 Euro inklusive Betriebs-
aber ohne Heizkosten durfte die Wohnung kosten, die Jihad Matouk nach
sechsmonatiger Suche und vielen Misserfolgen aufgetrieben hatte. Sie lag
aber zehn Euro darüber. Der auszahlenden Behörde war dies zu viel. Dass sie
sie trotzdem mieten können, ist der Heimleiterin Abou-Khalil zu verdanken.
Sie überredete die Vermieterin, den Mietpreis um die strittigen zehn Euro
zu senken.
In dieser Geschichte zeigt sich der zweite Haken in der gut gemeinten Idee,
den Flüchtlingen ein möglichst normales Leben zu ermöglichen, in dem sich
nicht drei Fremde eine Dusche und manchmal auch das Zimmer teilen müssen.
Und das Wohnzimmer gleichzeitig Schlaf-, Arbeits- Ess- und in einigen
Fällen auch Kinderzimmer ist. Denn ohne Hilfe von Menschen, die Deutsch
sprechen und sich hier auskennen, findet niemand eine Wohnung. Und selbst
dann: Auf Übersetzungshilfe sind die meisten weiter angewiesen.
Deshalb ist Mageda Abou-Khalil in ihrem Büro auch selten alleine. Jetzt, im
Fastenmonat Ramadan, wenn viele HeimbewohnerInnen länger schlafen, hat sie
vormittags etwas Ruhe, um Verwaltungsaufgaben nachzukommen, für ihre
KlientInnen mit Behörden oder Ärzten zu telefonieren. Spätestens gegen
Mittag ist der Raum im Erdgeschoss voll. Ein junger Mann, ein ehemaliger
Bewohner, sagt, er sei „zu Besuch“. Abou-Khalil lacht. „Von wegen Besuch�…
sagt sie und deutet auf Briefe, die er bei sich hat.
Andere kommen der Geselligkeit wegen. Auch Jihads Frau Hiba Matouk hat
angekündigt, trotz eigener Wohnung jeden Tag vorbeizukommen. Wie so viele
ist sie Abou-Khalil dankbar für die Unterstützung. Sie habe die ersten zwei
Monate nur geweint, ihre Familie in Syrien vermisst, erzählt die
Heimleiterin über die Frau. Wer ihr in dieser Zeit beistand? Die
Dreißigjährige lächelt und zeigt auf Abou-Khalil. „Sie.“
Trösten, Streit schlichten, zwischen Eltern und Kindern vermitteln: Dies
gehört neben der Hilfe bei Behördenangelegenheiten und der Wohnungs- und
Arbeitssuche genauso zu Abou-Khalils Aufgaben wie die Kontrolle der
Gemeinschaftsräume und das Durchsetzen von Putzplänen.
Seit 1993 ist die 51-Jährige in der Johann-Lange-Straße. Sie, die selbst
aus dem Libanon stammt und deshalb arabisch spricht, kam über ihre
Mitarbeit in Flüchtlingsinitiativen zu dem Job. Natürlich, sagt sie, sei es
für sie ein Problem, wenn das vom Arbeiter-Samariter-Bund betriebene Heim
tatsächlich geschlossen wird. „Ich bin schon so lange hier, ich kennen
jeden Winkel.“ Und die Johann-Lange-Straße befinde sich anders als viele
andere Heime nicht in einem Gewerbegebiet, sondern in einer guten Lage,
Bahnhof, Schulen und Kindergärten seien nahe. Das Heim selbst liegt am Ende
der schmalen Straße mit seinen bürgerlichen Einfamilien-Häusern. Hinter dem
Haus gibt es einen großen Garten: Die Kinder spielen hier oder im
Gemeinschaftsraum direkt neben dem Büro der Heimleiterin.
Ja, auch hier müssen die BewohnerInnen über lange, im Winter dunkle Flure
zu ihren Zimmern laufen. Immerhin sind diese mit Kinderzeichnungen von
Bremer Sehenswürdigkeiten geschmückt. So etwas fehlt in den karg
ausgestatteten Küchen, vor den Schränken hängen Vorhängeschlösser. 63
Menschen, darunter 14 Kinder zwischen sieben Monaten und 15 Jahren leben
hier, verteilt auf 37 Zimmer in drei Stockwerken. Viel Platz für
Persönliches bleibt da nicht: Acht Quadratmeter stehen laut
Verwaltungsvorschrift einem Haushaltsvorstand zu, allen weiteren
Haushaltsmitgliedern nur noch jeweils vier.
## Beratung bleibt nötig
Dennoch wollen viele im Wohnheim bleiben. Auch die Matouks wollten zunächst
gar nicht ausziehen, sondern erst die Sprache noch besser lernen, erzählt
die Heimleiterin. Das Problem ist, dass die Flüchtlinge erst dann einen
Sprachkurs finanziert bekommen, wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis haben.
Das kann Monate oder Jahre dauern. Bei Jihad Matouk ging es vergleichsweise
schnell, aber er spricht nach ein paar Monaten Deutschunterricht noch nicht
so gut, um Verhandlungen führen zu können. Aber die Sozialbehörde habe die
Plätze gebraucht und im Februar mehreren BewohnerInnen eine dreimonatige
Auszugsfrist gesetzt.
Selbst einer älteren Frau, die zu 80 Prozent schwer behindert ist. „Die saß
weinend hier und fragte, ’warum wollt ihr mich loswerden, was habe ich
getan?‘“, erinnert sich Abou-Khalil. Zum Glück habe die Behörde im Mai
einen Rückzieher gemacht und setzt jetzt wieder auf Freiwilligkeit. Aber
selbst wer froh über eine eigene Bleibe ist: Ohne eine ambulante Beratung,
da sind sich Abou-Khalil und die Flüchtlingsinitiativen einig, werden die
Menschen aufgeschmissen sein.
19 Aug 2012
## AUTOREN
Eiken Bruhn
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