| # taz.de -- Die Image-Konstrukte der Pokalfinalisten: Malochermythos und Weißb… | |
| > Borussia Dortmund stilisiert sich mit Hilfe einer Agentur zum | |
| > Gegenentwurf von Bayern München – das steht für einen Volksstamm, doch | |
| > richtig bayerisch ist wenig am Millionenbetrieb. | |
| Bild: Ritualisiertes Brauchtum: Weißbierdusche mit Meisterschale. | |
| ## Markenkern aus Düsseldorf | |
| Borussia Dortmund verkauft neuerdings ein Getränk, „Adrenalin für Berlin“ | |
| heißt der süße Koffeinmix, der für 1,49 Euro zu haben ist. „Mit dem BVB | |
| Energydrink durchströmt schwarzgelbes Adrenalin Deinen Körper“, versprechen | |
| die Marketingstrategen des Deutschen Meisters, die eine beachtliche | |
| Kunstfertigkeit entwickelt haben, die Sache mit den körpereigenen Drogen | |
| auf die Spitze zu treiben. | |
| Im vorigen Sommer wurde ein gewitztes Imagefilmchen produziert, in dem | |
| BVB-Fans das viel zu hoch dosierte Adrenalin spenden, das durch ihre Adern | |
| strömt. Jetzt ist der Stoff käuflich zu erwerben – der neueste Gag einer | |
| ganz erstaunlichen Erfolgsgeschichte, in deren Mittelpunkt die Suche nach | |
| dem wahren Selbst steht. | |
| Und derzeit ist sich BVB näher als je zuvor. „Borussia Dortmund hat schon | |
| viele Titel gewonnen, aber ich behaupte, dass es noch nie eine solche | |
| Symbiose zwischen Fans und Mannschaft gab, wie das hier im Moment der Fall | |
| ist“, sagt Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Denn die Mannschaft und ihr | |
| Fußball sind wie die Menschen hier. Oder zumindest wie sie glauben zu sein: | |
| leidenschaftlich, nahbar, offen, witzig und authentisch. Der Glamour | |
| Münchens oder Hamburgs und große Namen zählen hingegen wenig hier im | |
| Nordosten des Ruhrpotts. | |
| Es scheint, als hätten die Dortmunder gefunden, wonach die halbe | |
| Fußballwelt dürstet: ein ganzheitliches Vereinskonzept, in dem die | |
| Mentalität der Menschen in der Stadt eine zentrale Rolle spielt. Während | |
| ihrer Rettung vor der Pleite Mitte des vorigen Jahrzehnts hatten sie mehr | |
| Glück als Verstand, was danach passierte, ist aber noch viel verrückter. | |
| Weil es so unfassbar einfach klingt und man fragen muss: Warum habt ihr das | |
| nicht hinbekommen in Köln, Berlin oder Schalke? | |
| ## „Echtheit und Intensität“ | |
| Als das Überleben des BVB 2006 gesichert war, „haben wir versucht, eine | |
| Vision von der Borussia zu entwickeln, wie sie heute ist“, sagt Watzke. Er | |
| spricht von einem „Markenkern“, der mithilfe einer Düsseldorfer Agentur | |
| entstanden sei, von einem Wertesystem, das von zwei Begriffen geprägt wird: | |
| „Echtheit und Intensität“. Als der Erfolgs-BVB der Gegenwart erfunden | |
| wurde, haben sie sich einfach auf den Charakter der Menschen im Ruhrpott | |
| besonnen. | |
| So entstand ein Corporate Design, dem nicht nur sämtliche | |
| Kommunikationsmaßnahmen wie Anzeigen, Plakate, das Stadionmagazin Echt und | |
| die Autogrammkarten angepasst wurden, sondern – noch viel wichtiger – auch | |
| der Spielstil: „echt und intensiv“. Und weil diese Spielweise „am besten | |
| mit jungen Leuten realisierbar“ sei, wurden Fußballer wie Marcel Schmelzer, | |
| Kevin Großkreutz, Neven Subotic oder Mats Hummels zum BVB gelockt. In | |
| Jürgen Klopp haben sie auch noch den perfekt passenden Trainer gefunden. | |
| Die „große Show“, die gehöre anderswohin, sagt Watzke, „der Westfale hat | |
| andere charakterliche Ausprägungen als der Hanseat oder der Bayer, der | |
| Westfale ist sehr geerdet.“ Solche trockenen Analysen klingen im ersten | |
| Moment gar nicht besonders echt, weil sie in irgendwelchen gläsernen Büros | |
| erdacht wurden. Aber der Plan ist bemerkenswert konsequent auf alle | |
| Bereiche des Klubs ausgeweitet worden. Selbst die unglaubliche Südtribüne, | |
| wo das Herz dieses BVB pulsiert, hat längst Spaß daran, diese aufregende | |
| Fußballmarke zu repräsentieren. | |
| ## Ein Stück Malochermythos | |
| Es ist ein Stück vom alten Malochermythos des Ruhrpotts, den die Dortmunder | |
| hier wiederbeleben, dieser Aspekt war ja während der mondänen Erfolgsphase | |
| der 90er ein bisschen verloren gegangen. Eine wichtige Rolle spielt aber | |
| auch etwas anderes: die Suche nach einer zeitgemäßen Identität. | |
| Damit ist ja die gesamte Region nach dem Ende der Bergbauära beschäftigt. | |
| Im Stadion entstand dieses neue Selbstbild über den fein durchdachten und | |
| laufintensiven Pressingfußball des schwäbischen Trainers Klopp, der ja | |
| durchaus ein Mann mit Talent für die große Show ist. Aber eben geerdet. | |
| Zumindest noch. | |
| Ob Klopp in Hamburg, wo er wegen seiner zerschlissenen Jeans aus dem Kreis | |
| der Trainerkandidaten eliminiert wurde, oder in München ähnlich erfolgreich | |
| wäre, ist in jedem Fall sehr ungewiss. Denn manchmal passt es eben einfach, | |
| und dann können mitunter erstaunliche Kräfte frei werden. DANIEL THEWELEIT, | |
| DORTMUND | |
| ## Trachten-Incentive für Zugezogene | |
| Weißbier? Aber sicher doch! Im Erfolgsfall werden aus sehr großen Gläsern | |
| wieder sehr viele Liter des bayerischen Nationalgetränks fließen – weniger | |
| durch durstige Sportlerkehlen als vielmehr über Trainer-, Spieler- und | |
| Präsidentenschädel. Ungetrunken wird der Gerstensaft im Rasen versickern, | |
| nur Sekunden nachdem er von gar lieblich bedirndelten Damen angereicht | |
| wurde. Bayerisches Finalbrauchtum. Ein Prosit der Unwirklichkeit! | |
| Ausnahmezustand. Denn ansonsten ist die Unternehmenskultur des FC Bayern | |
| München nur mäßig bayerisch geprägt. | |
| In der Sportberichterstattung geht es um Verknappung. So wird aus dem FC | |
| Bayern München der FC Bayern, dann heißt es „die Bayern“ und schließlich | |
| nur noch: Bayern. Ein Fußballverein steht für ein ganzes Bundesland, einen | |
| kompletten Volksstamm. Dass der kickende Teil des Klubs aus aller Herren | |
| Länder stammt, ist längst überall Sitte, wo mit Fußball viel Geld verdient | |
| wird. Aber auch der Kern des Klubs, der Führungszirkel des | |
| Millionenunternehmens FC Bayern AG, ist längst nicht mehr in der Hand von | |
| Bayern. | |
| Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge kommt aus Lippstadt, wirkt | |
| in Lodenmantel oder Lederhose eher verkleidet und würde mit seinem | |
| soignierten Habitus viel besser nach Mailand passen. Auch Uli Hoeneß, | |
| Präsident, Bauch und Seele des Klubs, geht als Ulmer nicht wirklich als | |
| Oberbayer durch, auch wenn er am Tegernsee, im Bilderbuch-Oberbayern, lebt. | |
| ## Der Mannschaftsarzt ist Ostfriese | |
| Weit jenseits des Weißwurstäquators ist die Trainerschaft zu Hause: Jupp | |
| Heynckes kommt vom Niederrhein, sein Assistent Peter Hermann aus | |
| Kleinmaischeid bei Montabaur. Torwarttrainer Toni Tapalovic ist | |
| Gelsenkirchener. Sportdirektor Christian Nerlinger kam in Dortmund zur | |
| Welt. Und Klubarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ist Ostfriese. Na servus! | |
| Nur gut, dass wenigstens die Fahrerin des Bayern-Busses ein wenig krachert | |
| daherkommt: Sandra König verbirgt ihr heimisches Idiom nicht. Im Gegensatz | |
| zum Großteil der Profis, deren Dialektfärbung eher fernsehtauglich neutral | |
| ist. Mit Philipp Lahm und Diego Contento gehören zwar zwei Münchner Kindl | |
| zum Kader, doch so, wie man sie reden hört, könnten sie auch beim HSV | |
| spielen. Lediglich Bastian Schweinsteiger (Kolbermoor bei Rosenheim) und | |
| Thomas Müller (Pähl bei Weilheim) traut man herzhaft-bairische | |
| Kraftausdrücke zu. Franck Ribéry lernt lieber Wienerisch – von David Alaba. | |
| „Bist du deppert!“ kann er angeblich schon. | |
| Immerhin: Die Schafkopfrunden gibt es noch. Sogar Saupreißn wie Manuel | |
| Neuer dürfen mitspielen: Liberalitas Bavariae! Auch immer dabei: | |
| Physiotherapeut Fredi Binder. Er hat schon mit dem bekennenden | |
| Weißbiertrinker Klaus Augenthaler gekartelt. Überhaupt: das Bier. Logisch, | |
| dass ein Klub aus der Bierstadt eine Brauerei im Sponsorenpool hat. | |
| Pokalsiege in Berlin feiern die Bayern aber nicht im Wirtshaus, sondern in | |
| der Repräsentanz des Hauptsponsors, eines rheinischen | |
| Kommunikationsunternehmens. | |
| Die seligen Zeiten des Maier Sepp, der „Katze von Anzing“, oder der | |
| Giesinger Franz und Katsche sind lange vorbei. Wobei: Den Bürobedarf bezog | |
| der Klub jahrelang vom kleinen Schreibwarenladen des Georg „Katsche“ | |
| Schwarzenbeck in der Ohlmüllerstraße. Und den noblen Holzständer für die | |
| bleischwere Bayern-Chronik ordert der Verein nicht irgendwo, sondern beim | |
| Möbelmacher Udo Horsmann, dem Europapokalsieger von 1976. | |
| Dennoch: Der FC Bayern ist längst ein klassisch globalisiertes Unternehmen. | |
| Einmal im Jahr schmeißt man sich zum Firmen-Incentive „Oktoberfest“ | |
| kollektiv in Tracht, trinkt Bier aus zu großen Gläsern und tut sich | |
| rechtschaffen schwer beim finalen „Pfiats eich!“. Kölns Expräsident | |
| Wolfgang Overath konnte sich am Ende der Klüngelei wenigstens im korrekten | |
| Slang verabschieden: „Maat et joot!“ Beim FC Bayern der Jetztzeit hieße es | |
| wohl eher „Tschüß“. THOMAS BECKER, MÜNCHEN | |
| 11 May 2012 | |
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| Fußball | |
| Uli Hoeneß | |
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