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# taz.de -- „Diablo 3“ vermischt echte und virtuelle Welt: Mit einem Klick …
> Im neuen Computerspiel „Diablo 3“ können Spieler mit echtem Geld
> virtuelle Gegenstände kaufen. Das fördert fragwürdige neue Arbeitsplätze
> und bedroht nebenbei den Spielspaß.
Bild: Wird in jedem Spiel neu besiegt: Höllenfürst Diablo.
Zwölf Jahre sind vergangen, seit der Dämonenfürst Diablo das letzte Mal
besiegt wurde. Millionen Fans warten seitdem auf einen neuen Teil der
Diablo-Reihe, die mit 18,5 Millionen verkauften Exemplaren zu den
beliebtesten Computerspielen der Welt gehört. Dabei braucht man zum Spielen
nur die linke Maustaste.
Denn Spiele-Entwickler Blizzard hat eines der einfachsten und bis heute
erfolgreichsten Spielprinzipien perfektioniert: jagen und sammeln. Man
steuert eine Figur in der Draufsicht durch die Fantasywelt Sanktuario. Mit
einfachen Mausklicks werden Gegner erledigt und die Gegenstände eingesackt,
die sie fallen lassen. Dafür gibt es Erfahrungspunkte, irgendwann steigt
man im Level auf. Diese simplifizierte Variante des Rollenspiels nennt sich
englisch treffend „Hack and Slay“.
So weit, so bekannt – doch mit einer Neuerung sorgte Blizzard nicht nur bei
Diablo-Fans für Aufsehen, sondern für weltweite Empörung unter
Computerspielern. Der Grund: Die Entwickler schicken sich an, virtuelle und
reale Wirtschaft in großem Maßstab zu vermischen.
In Diablo 3 wird es zwei Auktionshäuser geben: Das eine bietet die
Möglichkeit, seltene Rüstungen und Waffen gegen Goldstücke zu handeln, die
Spielwährung in Diablo. Doch das allein wäre kein Grund für tausende
Kommentare in Onlineforen, schließlich gibt es solche virtuellen Basare
schon länger.
Das Unternehmen plant für Diablo 3 aber noch ein zweites Auktionshaus: Dort
wird man seine virtuellen Waffen und Rüstungen für reales Geld erstehen
können. Blizzard will pro Auktion einen Euro Provision abgreifen. Klingt
erst einmal nicht viel. Doch dieser Schritt rührt an Grundprinzipien des
Computerspielens.
## Abzocke und Geldmacherei
Viele Gamer befürchten eine Beeinträchtigung der Spielbalance, wenn jeder
sich einen mächtigen Charakter einfach zusammenkaufen kann. Andere
kritisieren Blizzards Provisionssystem und werfen dem Unternehmen Abzocke
und Geldmacherei vor. Und wieder andere glauben, die Firma fördere mit
ihrem Auktionshaus Kinderarbeit.
Der Ursprung all dieser Kritikpunkte liegt in Blizzards Entscheidung,
virtuelle und reale Wirtschaft miteinander zu verknüpfen. Zwar gab es schon
vorher Onlinewelten wie „Second Life“ oder „Entropia“, in denen der Han…
zwischen virtuellen und realen Währungen möglich war. Doch beide
Entwicklungen waren nie besonders große oder haben ihre besten Zeiten
hinter sich. Erst ein Blockbuster wie Diablo 3 macht den Deal Echtgeld
gegen Spielgeld zu einem Massenphänomen. Auch wenn einem Großteil der
Menschheit momentan noch nicht einmal klar sein dürfte, was unter
virtueller Wirtschaft überhaupt zu verstehen ist.
„Heutzutage sollte man nicht mehr zwischen realer und virtueller Wirtschaft
unterscheiden“, sagt Edward Castronova. „Schauen sie auf die
Finanzgeschäfte. Da wird auch alles von Computer zu Computer verschoben.“
Der 49-Jährige ist Professor für Telekommunikation an der Indiana
University in den USA. Er gilt weltweit als der führende Experte für
virtuelles Wirtschaften.
Vor einigen Jahren bekam er viel Aufmerksamkeit, weil er das
Bruttosozialprodukt des Online-Rollenspiels „EverQuest“ berechnete und
herauskam, dass es auf dem Niveau von Bulgarien liegt.
Spiele wie Diablo 3 sind zwar eigentlich keine klassischen Onlinewelten,
die Grenzen verwischen aber. Denn: Immer mehr für Einzelspieler gedachte
Spiele müssen zumindest per Internet aktiviert werden. Bei Diablo 3 muss
man sogar die ganze Zeit online sein.
## Geschäfte mit Elfenrüstungen und Drachenhelmen
Castronova ist überzeugt davon, dass die virtuelle Ökonomie einen wichtigen
Teil unseres Lebens einnehmen wird. Doch warum sollte man Geschäfte mit
Elfenrüstungen, Zauberstäben und Drachenhelmen überhaupt ernst nehmen?
„Viele Leute halten den Handel von virtuellen Gütern für schwachsinnig,
weil sie die Produkte nicht anfassen können“, sagt Castronova. Vor allem
Menschen, denen die Welt der Videospiele fremd sei. „Doch man muss nur
sehen, wie wir heute bereits mit Urheberrechten oder Reservierungen für
einen bestimmten Webseitennamen handeln. Das sind genauso virtuelle Werte,
die aber schon in der realen Welt angekommen sind.“
Zudem ist das wirtschaftliche Potenzial der Branche gigantisch: Laut
Schätzungen der Weltbank beläuft sich allein 2012 der Markt für
Onlinespiele auf über 21 Milliarden Dollar.
Einer der großen Profiteure davon ist bislang Facebook. Das soziale
Netzwerk hatte letztes Jahr die virtuelle Währung „Facebook Credits“
eingeführt, um beim Kauf von Gegenständen in Onlinespielen mit
abzukassieren. Bald soll man damit aber auch Filme oder Klamotten kaufen
können. „Die virtuelle Wirtschaft steht erst ganz am Anfang. Das wird alles
noch viel größer“, prophezeit Castronova.
Ein Phänomen der virtuellen Wirtschaft hat es bereits zu einiger
Bekanntheit geschafft: Goldfarming. Damit ist das gezielte und fabrikmäßig
organisierte Dauersammeln von Gold und seltenen Gegenständen in
Onlinespielen gemeint, um diese anschließend, meist illegal, im Internet zu
verkaufen. Seit Blizzard das Auktionshaus in Diablo 3 angekündigt hat, wird
den Entwicklern vorgeworfen, Goldfarmern eine legale Verkaufsplattform zu
bieten.
Eine heikle Angelegenheit: Der Großteil der Goldfarmer stammt aus Asien.
Die Arbeitsbedingungen sind meist hart. In langen Schichten kämpfen sich
die Arbeiter – oft noch halbe Kinder – durch virtuelle Welten. Darauf
angesprochen, entgegnete Diablo-Chefentwickler Jay Wilson in einem
Interview: „Moralische Fragen spielen für uns keine Rolle.“
Vor kurzem verarbeitete der kanadische Autor Cory Doctorow das Thema in
seinem neuesten Buch „For the Win“. Er entwarf darin ein detailliertes Bild
vom Leben jugendlicher Goldfarmer in China, Indien und Singapur, die sich
nach und nach zu einer Gewerkschaft zusammenschließen, um gemeinsam für
bessere Arbeitsbedingungen einzutreten. Die Gamer können am Ende den
Spieleanbietern ihre Forderungen diktieren, weil sie eine derart umfassende
Kontrolle über die virtuellen Wirtschaften verschiedener Spiele erlangt
haben, dass sie die reale Wirtschaft bedrohen können.
Doctorow, der sich einen Namen mit Romanen rund um Netzthemen gemacht hat,
sieht die Entwicklung in Onlinewelten äußerst kritisch: „Mit diesen Spielen
kreieren wir Welten, in denen es kein vernünftiges Rechtssystem gibt.“ Der
40-Jährige sieht darin sogar ein Bürgerrechtsproblem: „Für die
Spielbetreiber sind Charaktere in Onlinewelten keine Bürger mit Rechten,
sondern Kunden, die Geschäftsbedingungen zu akzeptieren haben.“
## Absolute Kontrolle über die Spielwelt
Auf den Warenhandel in Diablo 3 übertragen, bedeutet das, dass Blizzard
jederzeit sämtliche Werte in seinem Spiel ändern kann. Die Entwickler haben
die absolute Kontrolle über die Wirtschaft in ihrem Spiel: War ein
Drachenschwert eben noch selten und damit teuer, kann Blizzard einfach
100.000 Stück ins Spiel integrieren, um den Markt nach ihren Vorstellungen
zu regulieren. Genauso einfach kann das Unternehmen Accounts von Spielern
schließen, die ihnen nicht passen. Die Gamer können dagegen fast nichts
tun.
Doch der unwiederbringliche Verlust hart erspielter Anlagewerte wird nicht
das einzige Problem bleiben, wenn virtuelle und reale Wirtschaft immer
weiter verschmelzen. Noch ganz andere Fragen ergeben sich: Verstößt so ein
Auktionshaus gegen das Glücksspielgesetz? Müssen Spieler Einkommenssteuer
zahlen, wenn sie haupt- oder nebenberuflich vom Handel mit virtuellen
Waffen leben? Und muss nicht auch Blizzard gesellschaftliche
Verpflichtungen erfüllen – Mehrwertsteuer abführen, ein Rückgaberecht
anbieten – wie andere Unternehmen, die Onlinehandel organisieren? Und wo
bleibt die Finanzkrise?
Wird das Geschäft mit virtuellen Währungen eines Tages so lukrativ sein,
dass sich Spekulationsgeschäfte im großen Stil lohnen? Wie groß könnte
deren Auswirkung auf die „reale Wirtschaft“ tatsächlich sein? Müssen wir
eine Zaubertrankblase fürchten?
Blizzard hat mit dem Auktionshaus einen Präzedenzfall in der Gaming-Branche
geschaffen. In Südkorea wurde das Feature deshalb bereits von der Regierung
vorsichtshalber verboten. Was in Deutschland passiert, wird sich ab
Dienstag zeigen, wenn Diablo 3 erscheint und Millionen Spieler wieder in
den Kampf gegen den namensgebenden Höllenfürst ziehen werden. Sieben Tage
später sollen dann auch die Auktionen starten.
15 May 2012
## AUTOREN
Robert Iwanetz
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