# taz.de -- Kolumne Depesche: Zwischen Kühen und Blattgold | |
> Frühling in Batumi: Die berühmtesten Bewohner dieser georgischen Stadt | |
> sind Joseph Stalin und Katie Melua. Doch in der Altstadt regiert Medea. | |
Bild: Chefsache von Präsident Saakaschwili: Der Ausbau der Strände in Batumi. | |
Nicht weit nach der türkisch-georgischen Grenze liegt die Stadt Batumi. | |
Schon in den Vororten ist es zauberhaft, betörender Frühlingsduft liegt in | |
der Luft, Tierherden laufen auf den Straßen, große platanenartige Bäume | |
säumen den Weg. | |
Die weit gereiste Frau Fierke muss an Kambodscha denken, mich trägt die | |
Erinnerung zurück in die Kindheit, in mein badisches Dorf und den Duft der | |
Akazienbäume am Rand der Erdbeerfelder. Warm ist es, südlich und | |
gleichzeitig östlich und postsowjetisch – man weiß gar nicht, wohin man | |
zuerst schauen soll. | |
Immer wieder will man „Kühe! Kühe! Kühe!“ – „Esel! Ziegen!“ ausruf… | |
interessant zerfallenen Holzbalkone betrachten, den Duft der Stadt | |
einsaugen und gleichzeitig das Glücksgefühl genießen, die 4.000 Kilometer | |
von Berlin bis Georgien tatsächlich geschafft zu haben. In Georgien ist die | |
Zeit schon zwei Stunden weiter und seltsamerweise macht sich diese | |
Umstellung stark bemerkbar. Nachts findet man keinen Schlaf und morgens | |
liegt man bleischwer im Bett. Ist es theoretisch möglich, vom Autofahren | |
einen Jetlag zu bekommen? | |
Die Schwarzmeerstrände von Batumi sind das Sommerreiseziel der Georgier, | |
der Aufbau der Stadt wurde von Präsident Saakaschwili zur Chefsache | |
erklärt. Russische und türkische Investoren haben hier schon Millionen | |
verbaut, das Hotel-Resort Kempinski steht im Rohbau. Die Strandpromenade | |
ist für Hunderttausende Sommergäste angelegt, Shopping- und Eventcenter und | |
andere Prunkgebäude, Fontänen, Aussichtstürme und Riesenräder machen aus | |
der Küste ein unwirkliches, in der Vorsaison unbelebtes Disneyland. | |
In der recht glatt renovierten Altstadt stößt man immer wieder auf Medea: | |
Medeastatuen mit Blattgoldbelag, Medea-Friseursalons und | |
Medea-Kleiderboutiquen, denn Medea hat für die Georgier eine große | |
Bedeutung. Nach der berühmten Sage des Altertums segelte Jason auf der | |
Suche nach dem Goldenen Vlies mit seinen Argonauten bis in das Königreich | |
Kolchis, das heutige Georgien. Medea, die Königstochter mit göttlichen | |
Zauberkräften, führt Jason zu dem goldenen Widderfell. | |
Der Rest der Geschichte ist bekannt: Es entwickelt sich eine romantische | |
Zweierbeziehung zwischen Jason und Medea, die in einer zutiefst unguten von | |
Rache und Grausamkeit geprägten Horror-Ehe mündet. Den historischen Kern | |
der Sage entdeckten Archäologen im Westen Georgiens. | |
Hinter dem Neubaugebiet am Meer ist das alte Zentrum Batumis: altertümliche | |
Märkte, kleine Handwerkerverschläge, Imbissbuden, Holzhäuser, Steinhäuser | |
im Kolonialstil und überall ganz freundliche, heitere Menschen. Die | |
berühmtesten Bewohner Batumis sind ja Joseph Stalin und Katie Melua, sie | |
ist sogar in Batumi geboren. Beim Song Contest in Baku tritt aber dieses | |
Jahr nicht Katie, sondern der als Trash-Künstler verschriene Sänger Anri | |
Jokhadse mit dem Titel „I’m a Joker“ auf. | |
Die Georgier sind aus weltgeschichtlichen Gründen erst seit 2007 beim Song | |
Contest dabei. Sie konnten immer mittlere Plätze belegen, mussten aber | |
wegen der Kaukasuskrise auch pausieren. 2009 wurde ihr Lied für den ESC in | |
Moskau „ I don’t want to put in“ disqualifiziert. (Gesungen hört es sich | |
nämlich nach „I don’t want Putin“ an.) | |
Letzte Station vor Tbilissi ist Gori, eine Stadt, die touristisch recht | |
wenig zu bieten hat, wäre sie nicht Geburtsstadt Josef Stalins. Ganze | |
Straßenzüge sind verfallen, aber in der Stadtmitte regiert Stalin noch mit | |
eiserner Hand. Dort stehen sein Museum, sein Geburtshaus, sein gepanzerter | |
Eisenbahnwagen, sein Denkmal und ein Souvenirshop. | |
20 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Christiane Rösinger | |
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