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# taz.de -- Kolumne Depesche: Kaukasische Cowboys
> Unterwegs zum Song Contest? Finden die Männer in der Seidenstadt Seki
> etwas plemplem.
Bild: Die Grenze zu Aserbaidschan.
Tbilissi ist eine ganz wunderbare Stadt, verfallene Holzbalkone, riesige
Baustellen und repräsentative Bauten bestimmen das Stadtbild. Auf einer
Tour mit unserer georgischen Begleiterin erfahren wir viel über aktuelle
Bausünden und den schlechten Geschmack des Präsidenten. Der befiehlt von
seinem Palast aus wohl, man solle jenes Dach vergolden und dort einen
glitzernden Fernsehturm hinbauen, um sein Auge zu erfreuen, wenn der Blick
aus dem Palastfenster über die Stadtlandschaft streift.
Beim Gang durch die Straßen fällt auf, dass es hier viele, auch junge
Menschen mit verdrehten Gliedmaßen gibt, die sich mühsam und elend auf
groben Holzkrücken über die Straßen schleppen. Das georgische
Gesundheitssystem wird ja gerade modernisiert, das heißt privatisiert, und
wer kein Geld und keine Familie hat, die hilft, kann sich eine Behandlung
nicht leisten. Hilfsorganisationen vor Ort arbeiten mit der Regierung an
der Verbesserung der Lage, einige der deutschen Mitarbeiter treffen wir am
nächsten Tag bei unserem Auftritt im Goethe-Institut.
Unsere musikalischen Darbietungen – Themenschwerpunkt Überbewertung der
Liebe, allgemeine Sinnlosigkeit des Daseins – werden vor allem von den
jungen Frauen mit Freude und Verständnis aufgenommen. Aber als das
Champions-League-Finale Bayern München – Chelsea übertragen wird, ist es
aus mit der anregenden Konversation. Der sprachinteressierte Mensch kann
sich ja immer helfen und dann für die georgischen Kommentatoren begeistern,
die an alle Spielernamen ein i hängen: Schweinsteigeri, Mülleri, Neueri,
Robbeni.
Die letzte Grenze unserer Reise liegt zwischen Georgien und Aserbaidschan.
Zutrauliche junge Grenzsoldaten umlagern neugierig unseren Bus, wollen
vieles wissen, lachen viel, sprechen aber leider nur persisch, russisch,
aserbaidschanisch und türkisch, was ihnen bei uns nicht viel nützt. Auch
die Deutschkenntnisse eines belarusstämmigen Soldaten: „Achtung! Hände
hoch, du Russenschwein!“, können nur wenig zur Vertiefung des Gesprächs
beitragen.
Nach der Grenze ändert sich, wie so oft auf dieser Reise, sofort die
Landschaft – im Nordwesten Aserbaidschans wartet eine grüne idyllische
Weidenebene mit blühenden Bäumen, großen Tierherden, Schafen, Kühen,
Wasserbüffeln, begleitet von echten Kaukasus-Cowboys auf Pferden.
Zum ersten Mal auf der Reise durch neun Eurovisionsländer – Deutschland,
Tschechien, Slowakei, Ungarn, Serbien, Bulgarien, Türkei, Georgien,
Aserbaidschan – ist der ESC ein Thema. In den Spätis der alten Seidenstadt
Seki fragen die Männer „Eurovision Song Contest?“ Sagt man dann ja,
schütteln sie halb belustigt, halb fassungslos den Kopf – eine Geste, die
man vielleicht mit dem deutschen Wort „plemplem“ übersetzen könnte.
Alle zwei Kilometer sind riesige Plakatwände mit dem Konterfei des
aserbaidschanischen Präsidenten Alijew aufgestellt. Er hat das Amt quasi
von seinem Vater geerbt und regiert nun das Land „mit harter Hand“, wie es
so schön heißt.
Auf der Strecke nach Baku werden neue Städte aus dem Boden gestampft, alles
sieht gleich aus, die Hauptstraßen heißen immer Alijew-Prospekt. Vielleicht
wurden sie auch von einem Präsidentenverwandten gebaut? Der ganze Clan ist
ja finanziell an den Telekommunikationsunternehmen, der Gold- und
Silberförderung und anderen Industrien beteiligt.
Aserbaidschanische Journalisten, die darüber recherchieren, oder über den
Konflikt in Nagorny Karabach oder über Umweltskandale, werden
zusammengeschlagen, verhaftet, mundtot gemacht. Umso wichtiger ist es, dass
die aus aller Welt angereisten Journalisten neben der Freude über das tolle
ESC-Spektakel auch Interesse für die weniger schönen Seiten Aserbaidschans
aufbringen. Ansonsten machen wir uns hier alle zu Jubelpersern eines
totalitären Regimes.
23 May 2012
## AUTOREN
Christiane Rösinger
## TAGS
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
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