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# taz.de -- Depesche: Die Wahrheit heißt Nescafé
> Kein Meer an der Hafenstadt Samsun, schlechter Kaffee, Atatürk und
> Militärmusik zum Frühstück: taz-Autorin Christiane Rösinger auf dem Weg
> zum ESC in Baku.
Bild: Atatürk ist non-stop, aber wo ist das Meer in der Hafenstadt Samsun?
## Tag 5
Ein bisschen Wehmut kommt beim Abschied von Istanbul auf: Vielleicht ist es
doch die schönste Stadt der Welt? Das nächste Fernziel heißt Samsun, die
Hafenstadt am Schwarzen Meer.
Riesige Raststätten liegen auf dem Weg. Große Hallen mit Rezeption, Kellner
in schwarzen Anzügen eilen durch Restaurantlandschaften.
Selbstbedienungsmärkte mit undurchschaubarem Vorkassesystem, daneben liegen
die Waschräume, Gebetsräume, Textilmärkte.
Nach dem Autobahnkreuz Richtung Küste wird die Schnellstraße zu einer Piste
aus Split oder anderen fragwürdigen Belägen, es regnet in Strömen.
Schlammlöcher entstehen, die Lkws vor uns bremsen jäh, fahren im
Schritttempo, dann wird die Straße kurz vierspurig und mündet in einem
löchrigen Kiesweg. Prasselnder Regen, keine Sicht, der Wagen schlingert,
Lkws donnern mit aufgeblendetem Fernlicht entgegen. Da hilft nur:
Durchhalten, keine Angst haben, sich nicht reinsteigern! Wie herrlich ist
es nach so einer Strecke ein Hotel zu finden, eines mit Betten, Minibar und
Internet!
Ach, warum können wir denn nicht einfach zwei Wochen lang in diesem Zimmer
bleiben! Warum müssen wir denn immer weiter, wir Getriebene des ESC? Der
Grand Prix ist im Fernsehen genauso schön, und die letzten 40 Jahre hat das
doch gereicht!
## Tag 6
Am nächsten Morgen tut sich eine liebliche Vorgebirgslandschaft auf. Der
viele Regen hat die Felder unter Wasser gesetzt – ein Hochwassergebiet.
Seltsam nur, dass zwischen den überfluteten Feldern immer kleine gerade
Wege sind und das Hochwasser so ganz ordentlich in immer gleich
abgezirkelten, gleich großen Parzellen steht – und überall werden so kleine
Säckchen an der Straße zum Verkauf angeboten! Recht rätselhaft alles – bis
der Bauerstochter auffällt: Das kann kein Zufall sein – hier wird Reis
angebaut! Von der Reisgegend kommen wir in die Zwiebelgegend, dann in die
Haselnussgegend, und vor Trabzon nehmen die Akazienbäume überhand. Wurde
hier vielleicht der türkische Film „Bal“ gedreht?
Die Landschaft ist wunderschön, das gastronomische Angebot recht karg. Die
Cappuccino-Sitzklo-Lightgetränke-Grenze ist längst überschritten, und bevor
wir eine Raststätte ansteuern, geben wir überkandidelte
Fantasiebestellungen auf: eine Rhabarbersaftschorle und einen
entkoffeinierten Latte macchiato mit Sojamilch, bitte! Die Wahrheit heißt
dann Nescafé, denn der berühmte türkische Mokka wird eher ungern
zubereitet.
Bei Samsun sollten wir auf das Schwarze Meer – Karadeniz – treffen, es ist
auch tatsächlich da, aber man kommt nicht ran. Hafenanlagen,
Industriegebiete, private Park- und Sportflächen, und dann ist es lange
Kilometer lang hinter Gittern eingesperrt.
Dafür ist Kemal Atatürk allgegenwärtig, schließlich hat er von Samsun aus
am 19. Mai 1919 seinen Befreiungskampf gegen die griechische Besatzung
begonnen. Alle drei Meter ein Atatürk-Denkmal und morgens Militärmusik auf
den Straßen und Umzüge, wahrscheinlich weil er am 15. Mai auch schon was
für die Befreiung der Türkei getan hat.
## Tag 7
Nahe der georgischen Grenze bei Rize taucht ein riesiges schneebedecktes
Gebirge auf. Ist das etwa schon der Kaukasus? Das kann nicht sein! Nach
Tiflis sind es noch über 500 Kilometer. Es ist natürlich nicht der
Kaukasus, auch nicht der Kleine Kaukasus, sondern das Pontische Gebirge.
Es scheint eine arme Gegend zu sein, eine Teegegend mit Teeplantagen und
Teefabriken. Der auch agrarisch interessierte Atatürk hat verfügt, dass
hier Tee angebaut wird, um die Wirtschaft zu stärken. Hier leben viele
blauäugige, blonde Türken, die sogenannten Lasen, über deren vermeintlich
hinterwäldlerisches, naives Wesen in der Türkei viele Witze gemacht werden,
es sind also die Ostfriesen oder Burgenländer der Türkei.
17 May 2012
## AUTOREN
Christiane Rösinger
## TAGS
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
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