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# taz.de -- Balkanplatte zum ESC: Des Staatsfeinds Nummer 1
> Es ist der ultimative Hit zur Krise: Im Halbfinale des Eurovision Song
> Contest singt Rambo Amadeus für Montenegro „Euro Neuro“. Nicht hirnlastig
> und wirklich groovy.
Bild: Er schaffte mit „Euro-Neuro“ den Hit zur Krise: Rambo Amadeus.
Ein Mann mit langem Bart und archaischer Mütze entsteigt einer
geheimnisvoll-gruseligen Nebelwolke und singt mit opernhafter, von tiefen
Bratschen unterlegter, drohender Stimme: „Eurosceptic. Analphabetic. Try
not to be hermetic.“ Dann lacht er fies. So beginnt das Musikvideo, eine
Mischung aus Piraten- und Vampirfilm.
Basseinsatz und Szenenwechsel: Ein unrasierter Typ in unvorteilhaften,
schlabbrigen Klamotten reitet, eine Wollmütze auf dem Kopf, auf einem Esel
durch sonnendurchflutete Landschaften. Dazu loopt ein Keyboard einen
orientalischen Riff. Und der Wollmützenträger beginnt, in gebrochenem
Englisch zu rappen:
Euro neuro
Don’t be sceptic, hermetic, pathetic, analphabetic
Forget old cosmetic, you need new poetic, esthetic, eclectic, dialectic
Euro neuro
Don’t be dogmatic, bureaucratic, you need to become pragmatic
To stop change climatic, automatic
Need contribution from the institution
To find solution for pollution
To save the children of the evolution
Euro neuro – monetary break-dance
Euro neuro – give me change to refinance
Euro neuro I don’t like snobism, nationalism, puritanism, I am different
organism
My heroism is pacifism, altruism, I enjoy bicyclism
Liberalism, tourism, nudism, optimism, it-is-good-for-rheuma-tism
Euro neuro – give me change to refinance
Euro neuro I got no ambition for high position, in competition with the air
condition
Different mission, different school, I only got one rule
Always stay cool, like a swimming pool
Euro neuro – monetary break-dance
Euro neuro – give me change to refinance
Das ist der Beitrag der Balkanrepublik Montenegro zum Eurovision Song
Contest 2012. Und der Sänger, Rambo Amadeus, ist wirklich ein fremder
Organismus. Denn der 1963 als Antonije Pusic in Kotor an der damals
jugoslawischen Adria geborene Sänger und Gitarrist war und ist tatsächlich
„Pazifist und Altruist“. Rambo sang zu Zeiten gegen „Snobismus,
Nationalismus und Puritanismus“, in denen das Karrieren vernichten konnte.
Und blieb dabei nicht immer „cool wie ein Swimmingpool“.
## Der Pazifist und Altruist
Frühsommer 1992. Slobodan Milosevic, der starke Mann in Serbien, lässt
mitten in der Hauptstadt Belgrad ein Rockfestival ausrichten. Während seine
Truppen ein paar hundert Kilometer entfernt die nichtserbische Bevölkerung
Bosnien-Herzegowinas vertreiben und töten, will das Regime den Menschen in
Serbien selbst zeigen: Krieg gibt’s nur bei den anderen.
Auch Rambo soll auftreten. Doch statt sich die Gitarre umzuhängen, geht der
kräftige Exprofisegler schnurstracks auf das Publikum – und die laufenden
Kameras von Milosevics Staatssender Radio-Televizija Serbien RTS – zu,
richtet sich zu voller Größe auf und brüllt: „Hallo, Wählerschaft! Währe…
ihr hier Bier trinkt, bombardieren die Schweine in Bosnien Städte. Schämt
euch!“ Schmeißt das Mikrofon weg. Und verlässt die Bühne.
Das in Millionen serbische Wohnzimmer live übertragene Ende von Milosevics
Normalitätssimulation hat das Regime Rambo nie verziehen. Bis zum Sturz des
starken Mannes von Belgrad im Jahr 2000 kam er in den großen Medien nicht
mehr vor. Für den Mainstream in Serbien – und im bis Mitte der 1990er mit
Milosevic verbündeten Montenegro – war Rambo tot.
Doch er hat den Boykott genutzt. Statt in Serbien in der ersten Reihe zu
rocken, erspielte er sich seinen Platz unter den Subkultursuperstars in
ganz Exjugoslawien. Er spielte gegen Krieg und Nationalismus, für Frieden
und Hilfe für Flüchtlinge – nicht in den großen Hallen, sondern in den
Clubs und auf den Open-Airs. Da, wo die Leute sind. Und denen erklärte er
bei jeder Gelegenheit satirisch, unterhaltsam und deutlich, wer warum Krieg
in Exjugoslawien führte.
## Früher machte er „Torbo-Folk“
Der Montenegriner mit Wohnsitz in Belgrad war der erste Musiker aus
Serbien-Montenegro, der nach Kriegsende in Slowenien wieder dort spielen
konnte. Rambo eröffnete aber auch die Nachkriegszeit in Kroatien und
Bosnien. Seine ersten Hits, „Vanzemaljc“ (Außerirdischer, 1988) und „Bal…
Boy“ (1989) gehören zu den Hymnen jeder guten Balkandisko.
Damals lag Rambo musikalisch irgendwo zwischen Funk, Rap, Rock und
Balkanfolklore. Er selbst nannte das „Turbo-Folk“ – Jahre bevor das
gleichnamige Genre zum Soundtrack von Nationalismus und Krieg in
Exjugoslawien wurde. 2005 rappte Rambo auf „Oprem dorbo“ (Gut bestückt) wie
zur Entschuldigung: „Ich habe den Turbo-Folk nicht erfunden. Ich habe ihm
nur den Namen gegeben.“
Da ist seine Musik schon weniger zugänglich. Die Alben und Auftritte sind
nach wie vor streckenweise sehr groovy. Was fehlt, sind Songs. An ihre
Stelle hat Rambo seit Mitte der 1990er immer mehr, immer kompliziertere
Jazzläufe gestellt, zu denen er spricht, singt, dichtet, rappt,
kommentiert, kommuniziert.
Das macht durchaus Spaß – zeigt aber, dass „Rasmc“ (Rambo Amadeus Svjets…
Mega Car, Deutsch: Welt-Mega-Kaiser), wie er sich zeitweise nennt, seiner
auf dem letzten tanzbarem Album „Titanik“ (1996) selbst gesungenen
Forderung ein klares „Nein!“ entgegengesetzt hat: „Philosophiere nicht,
Rambo, mach uns einen Hit.“
## Heute ist er der „Intellektuellen-Rambo“
Stattdessen nervt Rambo seit Jahren mit musikalischen Experimenten. Auf
Konzerten spielt er kaum ein Stück zu Ende. Oft ist er nur schwer von einem
Stand-up-Comedian oder Slampoeten zu unterschieden. Böse Zungen nennen ihn
schon „Intelektualac“ (Intellektueller). Darauf hatte er 1989
balkanisch-explizit gereimt: „oko kurca lanac“ (um den Schwanz eine Leine).
Auf Deutsch würde der Vorwurf weniger explizit lauten: Aus dem primitiven,
freien Balkanboy ist ein zivilisierter, gefesselter Kopfmensch geworden.
Und „Euro Neuro“? Ist ein Lied! Nicht hirnlastig. Und wirklich groovy.
Belgrader Musikkritiker vermuten, Rambo hätte den ESC schon lange im Auge
gehabt – als Promo für seinen ersten Hit seit Jahren. Dafür spricht, dass
pünktlich zur Nominierung eine Compilation erschienen ist, mit „Euro Neuro“
als einzigem neuen Titel – auf dem Majorlabel Dallax, das unter anderem EMI
in Südosteuropa vertritt.
Auf die Frage nach seinem Plan für Baku antwortet Rambo wie immer
selbstbewusst: „Ich denke, dass ich die Kriterien für zukünftige
Eurovisions-Beiträge dauerhaft verändern werde.“ Tatsächlich ist es ihm
gelungen, ein Lied über das sperrige Thema Eurokrise zu schreiben, das kein
Politsong ist – und trotzdem eine Message transportiert.
Doch versteht wirklich jemand außerhalb, was für jeden Exjugo
offensichtlich ist: Dass der montenegrinische Primitivling, der im Video
mitten im Sommer wollbemützt auf seinem Esel von den schwarzen Bergen
herabreitet und den Touristen Schnickschnack für Euros andreht, Europa rät,
angesichts der Euro- und anderer Krisen „cool like a swiming pool“ zu
bleiben? Und dass er weise spricht?
## Message: Europa ist mehr als der Euro
Jugoslawien ist nicht an einer Wirtschaftskrise gescheitert. Es wurde von
politischen Eliten zerstört, die unfähig waren, mit dieser Krise umzugehen.
Die Bevölkerung wurde in Völker geteilt und gegeneinander aufgehetzt, um
vom Versagen der politischen Führung abzulenken. Das kann – Stichwort
Euro-Abschaffungs- und Schengen-Grenzschließungsfantasien nicht nur auf der
politischen Rechten in den EU-Staaten – auch dem vereinigten Europa
passieren.
„Im TV lief täglich dasselbe Muster“, erinnert sich Rambo: „Die Serben
werden von allen Seiten bedroht. Das war schon immer so. Aber wir haben
jedes Mal gesiegt. Und das glauben die Leute. So funktionierten die Regime
auf dem Balkan. Und wahrscheinlich auch andere Regime.“ Auch das in
Aserbaidschan? „Es erinnert mich schon an die gute, alte Zeit.“
Rambo Amadeus – Selbstbeschreibung: „Musiker, Poet und Medienmanipulator“…
kennt die Schliche der Propaganda. Im Kommunismus. Und im Kapitalismus. Im
„Euro Neuro“-Video spielt er den eurogeilen montenegrinischen Dorfdeppen,
dem am Ende der Esel die sauer verdienten Scheine aus der Tasche wegfrisst
– und der doch eine Menge Spaß mit einer Menge netter Leute hatte.
Rambos frohe Botschaft vom Balkan lautet: Gut zu leben ist mehr wert als
Geld. Und Europa ist mehr als der Euro.
22 May 2012
## AUTOREN
Rüdiger Rossig
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